Nach fünf Jahren als Vorsitzender des Aktionsbündnisses Amoklauf Winnenden hat Hardy Schober seinen Rücktritt erklärt. Im StZ-Interview spricht er über die Hintergründe, über Erreichtes – und warum er von manchen Wegbegleitern enttäuscht ist.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)
Leutenbach - Er hat gegen die Widerstände der Waffenlobby gekämpft, gegen Gewalt und für mehr Sicherheit an Schulen. Jetzt will sich Hardy Schober neu orientieren. Sein Abschied vom Aktionsbündnis hat aber nicht nur damit zu tun. Die internen Querelen, deutet der 55-Jährige an, der bei dem Amoklauf eine Tochter verloren hat, hätten bisweilen mehr geschmerzt als die äußeren.
Herr Schober, nach dem Amoklauf von Winnenden am 11. März 2009 haben Sie das Aktionsbündnis ins Leben gerufen – warum?
Weil ich wollte, dass so etwas Unsägliches nie mehr vorkommt. Und weil ich wollte, dass aus dem völlig sinnlosen Tod unserer Kinder wenigstens im Nachhinein noch etwas Sinnvolles erwächst.
Sie wirken, ohne Ihnen nahe treten zu wollen, nicht wie jemand, den es ins Rampenlicht zieht. Hat es Sie Überwindung gekostet, die Rolle des „Frontmanns“ zu übernehmen ?
Ja, immer wieder. Aber anfangs hat es niemanden gegeben, der die Rolle übernehmen wollte.
Sie haben mit der Gründung des Aktionsbündnisses einen umfangreichen Forderungskatalog formuliert. Was war aus Ihrer Sicht das wichtigste Ziel?
Ein Amoklauf hat in der Regel eine ganze Reihe von Ursachen. Deshalb haben wir auch an verschiedenen Punkten angesetzt. Das letzte Glied in der Kette aber ist immer eine Waffe. Und da war und ist es uns wichtig, alles zu tun, dass Waffen nicht in falsche Hände gelangen können.
Der Initiative des Amokbündnisses ist sicherlich zu verdanken, dass das Waffenrecht verschärft wurde. Sind Sie mit der Gesetzesnovelle zufrieden?
Die Reform des Gesetzes ist gut und richtig. Es gibt jetzt ein internationales Waffenregister, und die Kontrollen sind besser und klar geregelt. Das Problem aber ist, dass das bestehende Gesetz nicht durchgeführt wird, weil den Kontrollbehörden die Kapazitäten fehlen. Nur rund sieben Prozent der Waffenbesitzer sind bisher kontrolliert worden. Das ist viel zu wenig.
Eine Ihrer zentralen Forderungen war, den Privatbesitz von großkalibrigen Waffen zu verhindern.
Den von großkalibrigen Kurzwaffen. Damit haben wir uns bisher leider nicht durchgesetzt. Zum einen, weil die Definition nicht so einfach ist, zum anderen, weil es auch vonseiten der Sportschützen massiven Widerstand dagegen gibt. Dabei widerspricht unsere Forderung nicht dem sportlichen Wettkampfgedanken: Was olympisch ist, darf unseres Erachtens auch zugelassen werden. Waffen aber, die nur zum Töten entwickelt wurden, haben im Sport nichts zu suchen. Sie gehören ausschließlich in die Hände von Justiz, Polizei und Armee.
Sind Sie in allen Bereichen auf Widerstand gestoßen?
Nein, ganz und gar nicht. Ich glaube, das schreckliche Ereignis hat einigen die Augen geöffnet und klar gemacht, dass ein Amoklauf überall und immer passieren kann. Wir haben dafür gesorgt, dass darüber in der Gesellschaft diskutiert wird. Viele Waffenbesitzer hat der Amoklauf von Winnenden und Wendlingen veranlasst, ihre Waffen freiwillig abzugeben. Und in vielen Bereichen haben wir mit unseren Bemühungen offene Türen eingerannt: Eltern sind sensibilisiert, die Polizei ist besser ausgestattet worden, die Alarm- und Schutzsysteme an vielen Schulen wurden verbessert, Notfall- und Ablaufpläne entwickelt. Vor allem in der Präventionsarbeit hat sich einiges getan.
Wo ist am wenigsten erreicht worden?
Im Bereich der Killerspiele. Die Lobby der Spielehersteller ist noch um einiges mächtiger als die Waffenlobby.
Unmittelbar nach dem Amoklauf hat das Aktionsbündnis viel Gehör gefunden. Hat das Interesse vonseiten der Medien und der Politik aber mittlerweile nicht stark nachgelassen?
Natürlich war die Aufmerksamkeit am Anfang viel größer. Aber wir sind grundsätzlich immer noch für bestimmte Themen interessant. Es ist leider aber auch eine Art Wellenbewegung: Immer, wenn etwas passiert, werden auch wir besonders stark nachgefragt.
Für Sie persönlich bedeutet dies, Ihr eigenes Schicksal immer wieder von neuem zu durchleben.
Ja. Es ist jedes Mal eine Art Retraumatisierung. Das ist auch ein Grund, warum ich jetzt zumindest vorerst einen Schlussstrich gezogen habe.
Der Ausstieg hat aber auch eine wirtschaftliche Facette.
Ja. Ich befürchte, dass die Stiftung, die wir aus dem Aktionsbündnis heraus gegründet haben, nicht über die Mittel verfügt, um auf Dauer etwas bewegen zu können. Um langfristig Projekte auf die Beine zu stellen, ist meines Erachtens ein hauptamtlicher Geschäftsführer unabdingbar, der die Dinge koordiniert.
Hat die Stiftung nicht genügend Stiftungskapital dafür akquirieren können?
Viele Leute denken, die Stiftung hätte viel Geld bekommen. Aber das stimmt nicht, da verwechselt man uns vielleicht mit der Stadt Winnenden. Am meisten enttäuscht bin ich in diesem Zusammenhang von der Kirche. Wir haben uns als eine evangelische Stiftung gegründet. Die Kirche hatte anfangs mehr oder weniger zugesagt, dass mehr als die Hälfte der 1200 Kirchengemeinden in Württemberg Gründungsmitglieder werden würden. Letztlich waren es gerade drei – nicht einmal die Gemeinden Winnenden, Leutenbach oder Berglen, wo die meisten Opfer zu beklagen waren, haben mitgemacht.
Worauf führen Sie das zurück?
Auch Waffenbesitzer sind Kirchgänger. Die Kirche hat so viel Druck von der Waffenlobby bekommen, dass sie einen Rückzieher gemacht hat.
Das klingt ja fast nach amerikanischen Verhältnissen.
Das ist auch so. Ich habe diese Mechanismen übrigens in meinem Buch „Mein Sonnenkind“ ausführlich beschrieben.
Aber auch innerhalb der Stiftung sollen sich nicht alle immer einig gewesen sein.
Das stimmt. Es hat leider einige gegeben, die sich an dem Schicksal der Opfereltern bereichern wollten. Das hat mich persönlich sehr enttäuscht. Die internen Querelen haben mir mehr zugesetzt als die äußeren.
Enttäuscht hat Sie auch das Verhalten vom Vater des 17-jährigen Amokläufers.
Der Junge ist ein Opfer der Erziehung seines Vaters gewesen. Dieser trägt die Hauptschuld an der Katastrophe. Sein größter Fehler war, dass er seine Waffen nicht abgegeben hat, nachdem er von den Tötungsfantasien seines Sohnes erfahren hatte. Er hätte diese Schuld auf sich nehmen müssen und nicht versuchen dürfen, sich in dem Prozess aus der Verantwortung herauszuwinden. Außerdem hat er sich bei uns, den Angehörigen der Opfer, nie persönlich entschuldigt.
Ist er durch das Gericht letztlich ausreichend bestraft worden?
Es wäre eine Schande gewesen, wenn er freigesprochen worden wäre. Das Gericht hat ein Zeichen gesetzt, das hoffentlich auch andere Sportschützen wahrgenommen haben. Es war wichtig, dass er verurteilt wurde. Die Höhe der Strafe ist nicht wichtig.
Ihre Tätigkeit beim Amokbündnis war sicherlich auch eine Form der persönlichen Trauerbewältigung. Ist diese jetzt in eine neue Phase übergegangen?
Vielleicht. Ich möchte auf jeden Fall nicht mehr nur ausschließlich über den Tod meiner Tochter identifiziert werden. Ich brauche eine Auszeit, auch, um mich beruflich neu zu orientieren. Ich habe meine zweite Tochter gefragt, ob Sie glaubt, dass die Jana böse wäre, wenn ich jetzt aufhöre. Sie hat gesagt: Mehr als du gemacht hast, hätte kein Vater für seine Tochter machen können. Das hat mir die Gewissheit gegeben, dass meine Entscheidung richtig war.