Das Schauspiel Stuttgart muss die Spielzeit noch in der Ersatzspielstätte Arena eröffnen. Der Intendant Hasko Weber macht das Beste draus.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Das Schauspiel Stuttgart muss die Spielzeit noch in der Ersatzspielstätte Arena eröffnen. Der Intendant Hasko Weber macht das Beste draus. Er startet mit einem weiterhin brisanten Thema in die neue Saison: Stuttgart21.

 

Sie können erst 2012 ins sanierte Schauspielhaus zurückziehen. Liegen Ihre Nerven nicht allmählich blank?

Die Entscheidung, die Eröffnung auf Februar zu verlegen, fiel zu einem frühen Zeitpunkt. Wir sind deshalb nicht in die Situation geraten, vor der Sommerpause auf eine Baustelle ziehen zu müssen. Unvorhersehbarkeiten gibt es immer noch sehr viele, aber das Baugeschehen bringt uns momentan künstlerisch nicht in Bedrängnis.

Aber Sie haben weiterhin weniger Sitzplätze und dadurch Umsatzeinbußen.

Dazu gibt es keine Alternative, das ist bei Sanierungsfällen normal. Natürlich sind Aufwendungen erforderlich, allein mit einem ganzen Theaterapparat umzuziehen kostet Geld. Glücklicherweise sind wir in der Türlenstraße sehr nah am Stadtzentrum geblieben. Unsere Zuschauer finden die Lösung sehr gut.

Sie haben viel Herzblut in die Sanierung gesteckt. Wie fühlt sich das an, dass Ihr Nachfolger Ihre Früchte ernten wird?

Es ist dann noch ein Jahr Zeit. Wenn wir die Kinderkrankheiten bis Ende der Saison einigermaßen in den Griff kriegen, so dass wir in der nächsten Spielzeit in Ruhe arbeiten können, wäre es für mich in Ordnung.

Sie wurden auch engagiert, weil Sie aus dem Osten kamen. Fühlen Sie sich noch als Ossi? Oder als Schwabe? Oder Europäer?

Europäer sind wir alle, ein Schwabe bin ich nicht geworden. Es hat viele Annäherungen gegeben an die Stadt, die Arbeitsbedingungen sind für mich ideal. Aber die Unterschiedlichkeit in den Betrachtungsweisen ist geblieben. Ob es die Auseinandersetzung um Stuttgart 21 betrifft oder um andere komplexe Themen geht wie zum Beispiel den Freiheitsbegriff, den wir in dieser Spielzeit thematisieren - ich merke, dass es spannungsvoll ist, aus dieser Gegensätzlichkeit Energie zu gewinnen.

Werden Sie nach Vertragsende in Stuttgart wohnen bleiben?

Nein, ich glaube nicht.

Warum nicht?

Ich will noch einen anderen Lebensversuch starten.

Wann verraten Sie, was Sie tun werden?

Wenn ich etwas dazu sagen kann.

Was Sie jetzt noch nicht können?

Was ich jetzt noch nicht kann.

Wie findet man im Spielplan die Balance? Wann ist eine weitere Inszenierung zum Beispiel von Volker Lösch richtig, wann zu viel?

Das ist ein Wechselspiel zwischen Kontinuität und Innovation. Mit Volker Lösch arbeite ich seit sechs Jahren zusammen. Die Unterschiedlichkeit und Intensität seiner Inszenierungen, aber auch sein konzentrierter Umgang mit dem Ensemble haben unser künstlerisches Profil mitgeprägt, im Pro wie im Contra. Das halte ich für wichtig und unverzichtbar. Bis 2013 wird unsere Verbindung deshalb Bestandteil dessen sein, was wir hier machen.

Sanierung im Schauspielhaus zieht sich

Auch "Winterreise" von Elfriede Jelinek kommt - wie derzeit in vielen Häusern. Klappern Sie da nicht hinterher?

"Don Karlos" wird auch überall gespielt. Klappert man da auch hinterher - nach 250 Jahren? Das Stuttgarter Publikum hat die "Winterreise" noch nicht gesehen. Dass sie an mehreren Theatern gespielt wird, ist ein Zeichen, dass sie ein zeitrelevanter Text ist, mit dem die Theater sich auseinanderzusetzen haben.

Harald Schmidt ist noch mit im Boot. Was haben Sie mit ihm vor?

Als Ensemblemitglied ist er weiter dem Hause verbunden. Jetzt hat die Fernseharbeit Priorität, man wird sehen, wie sich die Partnerschaft über die Spielzeit hinweg gestaltet. Wenn wir merken, dass unsere Verbindung zum Papiertiger wird, müssen wir sie auflösen, aber das ist jetzt zu früh.

Schmidts Bekanntheit hat sich bezahlt gemacht. Hat er Sie künstlerisch überzeugt?

Sonst hätten wir nicht zusammengearbeitet. Ich glaube, es waren in den Inszenierungen mit Harald Schmidt Leute im Theater, die sonst nie ins Staatstheater gekommen wären. Natürlich haben wir immer eine Balance zwischen Prominentenstatus und Ensembleschauspieler probiert. Das war ein total spannender Versuch.

Nora Schlocker wird inszenieren, sie ist noch keine dreißig. Wie finden Sie neue Talente?

Nora Schlocker hatte das Glück, in Weimar zu arbeiten und als junge Regisseurin auf der großen Bühne zu inszenieren, was eher selten ist. Wir haben uns in Weimar und Berlin Inszenierungen angesehen und sie eingeladen. In anderen Fällen reagieren wir aber auch auf Bewerbungen oder Empfehlungen von Kollegen.

In der neuen Saison inszenieren sechs Frauen und dreizehn Männer. Das ist fürs Theater ein guter Schnitt. Ist die Gleichberechtigung bei Ihnen ein Thema?

Das haben wir schon mit im Blick, das spielt eine Rolle. Das finde ich auch richtig.

Auf der Bühne ist Migration ein großes Thema. Wie sieht es hinter der Bühne aus?

Hinter der Bühne ist der Anteil an Kollegen mit Migrationshintergrund größer, als man glaubt - und das schon seit vielen Jahren. Das ist unser Alltag. Die Frage ist, wie es sich auf der Bühne verhält. Das wird im Moment heftig diskutiert und ist Ausdruck für die Suche nach einer neuen Form von Gegenwartstheater. Die Vermischung unserer Gesellschaft braucht aber auch eine andere Literatur. Es ist nicht damit getan, dass in einer Besetzung jemand eine rumänische oder polnische Herkunft hat. Das bleibt Oberfläche. Da ist ein neues Theatersystem gefragt.

Ist S21 als Thema fürs Theater durch?

Das ist es nicht. "Durch" klingt so nach schnellem Benutzen von Aktualität. Das Theater als Medium ist vergleichsweise langsam und braucht Abstand, um unsere Gegenwart differenziert zu bewerten. Im vergangenen Herbst waren die Ereignisse auf der Straße brisanter als jede Theatervorstellung. Aber was ist aus heutiger Sicht dazu zu sagen? Welche Haltungen haben sich ausgeprägt? Wir werden mit "30. September" starten und hoffentlich Bezüge zu dem Polizeiübergriff schaffen, die über die Tagesaktualität hinausreichen und komplexere Gedanken in sich tragen.

Das Gespräch führte Adrienne Braun.