Die Stuttgarter Band Heisskalt hat in den letzten anderthalb Jahren 130 Konzerte gespielt. Der StZ-Redakteur Jan Georg Plavec hat vor dem ersten von zwei ausverkauften Stuttgart-Gigs mit der Band über diese Ochsentour zum Glück gesprochen.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Heisskalt vom Cro-Schwesterlabel Chimperator Department haben am Freitagabend die erste von zwei ausverkauften Shows im Stuttgarter Club Universum gespielt. Die Band ist von hier, und doch hat das große Zuschauerinteresse nicht allein damit zu tun, dass Heisskalt Local Heroes sind.

 

Die Band geht seit ihrer Gründung vor drei Jahren den weiten Weg, die klassische Ochsentour im Musikbusiness: Spielen, Spielen, Spielen. Heisskalt sind für ihre schweißtreibenden, lauten und mitreißenden Shows bekannt – da kommt einfach viel Energie rüber, das kann man sich immer auch noch ein zweites oder drittes Mal anschauen.

Weiterer Grund für die Popularität der Band: ihr Album „Vom Stehen und Fallen“. Es fängt viel von der Live-Energie ein. Und es bekam dank eines Deals mit Sony eine stattliche Promo-Kampagne spendiert.

Jan Georg Plavec hat sich für die StZ-Musikkolumne kopfhoerer.fm am Freitag vor dem ersten der zwei Stuttgart-Auftritte zum Tourabschluss mit der Band unterhalten und sich anschließend den Gig angesehen. Sänger Mathias Bloech, Schlagzeuger Marius Bornmann, Bassist Lucas Mayer und Gitarrist Philipp Koch erzählen im Interview von kleinen Schnitzern im Studio, von einem abgebrochenen Musikstudium – und von den Feinheiten der Genrezuordnung.
 

Ich habe in einem Interview gelesen, dass eure Musik Emo heißt.
Mathias: Der Konsens war Jein. Wir sind alle unter anderem mit dieser Art von Musik groß geworden, deshalb haben wir das in unserer Musik drin. Eigentlich kann man Emo schon in die Stilbeschreibung für Heisskalt-Musik mit aufnehmen. Wir machen einfach emotionale Musik. Also jetzt nicht bezogen auf ein langes Haargewächs vor der Stirn.
Lucas: Das ist ja nur die Klischee-Wahrnehmung von Emo.

Gerade will ich’s sagen! Bei Emo denke ich an die Treffs, die vor einiger Zeit den Berliner Platz in Stuttgart zur No-Go-Area gemacht haben, zumindest für alle Nicht-Emos.
Mathias: Das ist ja dieser ganz dunkle Emo. Bei uns ging es eher um Post-Hardcore und Emocore. So wie bei Funeral for a Friend oder Alexisonfire …

Ich bin kein Post-Hardcore-Experte. Aber ich habe mir euer Album angehört und ich fand, dass es einen neuen Klang hat.
Matthias: Wir wollten nicht so eine typische Rockplatte machen, die nach einer deutschen Band klingt. Sondern wir wollten das irgendwie stylisch umsetzen. Ich weiß nicht genau, was wir gemacht haben oder was wir anders machen als andere, dass du das wahrnimmst. Aber wichtig war, dass wir keine Deutschrockplatte raushauen. Die Amis machen das cooler.
Lucas: Das Album sollte fett klingen und nicht nach Garage. Vielleicht ist es das. Wir sind hauptsächlich mit Musik aus den USA und Großbritannien sozialisiert worden und bringen das auch in unsere Musik rein.


Das Interview findet auf einer Bank im Schlossgarten statt, zwischen dem Club Universum und dem Landtagsgebäude. Wir haben uns extra ein paar Meter vom Club wegbewegt, weil dort einige Heisskalt-Fans warten – jüngere Mädels, die für die Jungs schwärmen, aber natürlich auch für die Musik.

Eine Fünfergruppe Mädels nähert sich schüchtern. Matthias Bloech weist sie freundlich darauf hin, dass hier gerade ein Interview stattfindet. „Wir suchen nur den Eingang zum Club“, sagt eines der Mädchen. Die Band deutet auf das riesige Schild mit Aufschrift „Universum – Eingang“, das über dem Abgang zur U-Bahn-Haltestelle Charlottenplatz hängt.

Die Band weiß, dass viele ihrer Anhänger noch unter 18 sind. Unter anderem deshalb beginnt der Gig schon um 21 Uhr. Das ist die eine Seite. Die andere: Die Fans werden Heisskalt nachher beim Auftritt abfeiern. Sie klatschen bei fast jedem Song mit (und zwar im Takt!), lassen sich begeistern und geben der Band vom Zuschauerraum aus viel Energie zurück.


Der letzte Heisskalt-Auftrtt, den ich gesehen habe, war im August 2013 in den Wagenhallen zum Auftakt des Klinke-Festivals. Damals schien mir die Art, wie ihr das Konzert gespielt habt, ziemlich poppig im Sinne von eingängig.
Marius: Wobei wir da bestimmt auch schon ein Drittel des neuen Albums gespielt haben.
Mathias: Ich finde das Urteil seltsam, eben weil wir viele Songs vom neuen Album gespielt haben und ja eigentlich nicht so die Pop-Band sind – auch live.
Philipp: Vielleicht war das auch der Kontrast zu den beiden anderen Bands des Abends, Die Selektion und Die Nerven.
Mathias: Die haben vielleicht einen anderen Kunstbegriff definiert als wir. Und dann haben wir nach denen vielleicht gewirkt wie die Band, die wir genau nicht sein möchten.

Mir ist noch ein Auftritt von euch in Erinnerung, zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Jugendhaus in Ludwigsburg. Da wart ihr extrem laut, und ich habe mir an dem Abend gemerkt: Wenn Heisskalt können, wie sie wollen, dann hauen sie richtig auf den Putz. Zweitlauteste Band der Welt oder so.
Mathias: Wir haben schon immer gemacht, was wir wollen. Aber wir haben jetzt noch weiter ausdefiniert, was wir wollen. Nämlich das Ganze noch roher, noch echter zu machen. Auch die Bühnenshow soll so sein: Die Energie von einem Song soll wichtiger sein als dass es perfekt klingt. Trotzdem hat unser Produzent Moritz Enders dafür gesorgt, dass die Platte richtig geil klingt.

Zum Teil studiert ihr Musik, richtig?
Mathias: Marius hat es auch mal versucht, aber inzwischen abgebrochen. Ich mache noch den Abschluss, aber ich merke schon lange, dass sich das Ziel des Studiums nicht mit meinem Ziel als Musiker deckt. Da ist das Ziel, ein Mucker zu sein, der gut spielen kann. Das ist nett, aber auf gar keinen Fall der Mittelpunkt von Songwriting, wie ich es machen möchte.

Also konntet ihr da für eure Musik nichts rausziehen?
Marius: Irgendwie ein bisschen natürlich. Aber dieses bisschen macht Popmusik gar nicht aus. Zumindest nicht für das, was wir machen. Das kann im Jazz oder in der Klassik natürlich anders sein.
Mathias: Natürlich habe ich viel gelernt, zum Beispiel, dass man sich intensiv mit seinem Instrument auseinandersetzen muss oder mit seiner Stimme.

Wenn ihr eure Songs ausarbeitet, fließt das also eher aus euch raus?
Philipp: Manchmal sind wir wie Handwerker und werkeln ewig lang an einem Part herum. Aber am geilsten ist natürlich, wenn es einfach aus einem herauskommt.
Mathias: Wir sind ziemlich krasse Soundfetischisten.

130 Auftritte in anderthalb Jahren

Spielen ist bei euch das Motto. Wie viele Gigs habt ihr bis jetzt auf dem Konto?
Lucas: Dieses Jahr schon um die 50. Wir haben im Januar mit Zebrahead getourt, und auf der eigenen Tour sind es insgesamt 35 Shows. Letztes Jahr waren es 80 Shows.
Philipp: Es wären letztes Jahr 100 Shows geworden, wenn Matze nicht krank geworden wäre. Aber im Nachhinein kann man sagen, dass es für das Album so besser war.
Lucas: Man ist ja auch eine Band, um zu spielen. Jedenfalls war es mal so. Ich glaube wir werden auch immer eine Liveband bleiben. Viele Leute sagen, dass ihnen die Platte gefällt, aber dass die letzten zwanzig Prozent live rüberkommen.
Mathias: Das Ziel ist, dass auf Platte die Energie auch ohne das Visuelle rüberkommt.

Macht doch mal ein Livealbum.
Mathias: Na ja, beim Konzert ist es megalaut und wenn da mal jemand von uns total danebenprügelt, ist es für die Leute trotzdem noch cool. Aber … Wir haben viel mitgeschnitten auf Tour, auch Konzerte, die wir sehr geil fanden. Das ist dann beim Anhören teilweise ernüchternd.
Marius: Unser Album haben wir ohne Klick eingespielt. Da ist dann schonmal das Tempo am Anfang des Songs anders als am Ende. Manchmal passieren auch durch Verspieler witzige Dinge, zum Beispiel beim Song „Nicht gewinnen“.
Lucas: Ich hab mich verspielt.
Alle: Der ganze Break, oder?
Lucas: Nee, an einer Stelle. Aber das klang cool. Also habe ich mir den Fehler neu beigebracht.
Mathias: Cool wäre es, wenn wir die Vocals irgendwie live aufnehmen könnten. Klar, das ist viel zu laut, wenn auch noch die Gitarren und das Schlagzeug spielen. Aber die Energie, während man spielt und vor dem Schlagzeug steht – man hat da ein ganz anderes Gefühl.


Gefühlt sind Heisskalt ständig auf Tour. Das ist das klassische Verständnis von einer Band und der althergebrachte Weg, um sich in die Herzen der Fans zu spielen – womit natürlich immer auch die Hoffnung verbunden ist, dass die Anhänger dann auch Tonträger kaufen.

In die Charts schaffte es das neue Heisskalt-Album trotzdem nur für eine Woche: Es stieg auf Platz 29 ein und fiel in der Woche drauf schon wieder aus den Top 100.
 

Euer Quasi-Labelkollege Cro ist durch das Internet groß geworden und hatte auf einen Schlag eine Million Facebook-Freunde. Bei euch ist es anders, wachsen die Fanzahlen viel langsamer – mit jedem Gig kommen ein paar neue Anhänger dazu. Das ist doch viel anstrengender als sich die Fanbase über das Internet zu holen.
Lucas: Wir haben uns bewusst dafür entschieden. Eine Internetblase kann ja auch platzen. Wenn du die Leute live abgeholt hast und Blut, Schweiß und Tränen für sie rausgeschwitzt hast, dann bleiben die auch.
Mathias: Carlo macht ja nicht nur ganz andere Musik, sondern vermittelt auch ein ganz anderes Gefühl, da ist alles Easy. Wenn das auf Platte so gut bei ihm funktioniert, dass es einen Internethype geben kann, ist das doch schön. Er macht ja auch live eine gute Show. Sonst würde er nicht vor so unfassbar vielen Leuten spielen. Er zieht bei einem Konzert wahrscheinlich so viel wie wir bei der gesamten Tour.

Ganz am Anfang hat er auch im Universum gespielt, und zwar nur einen Abend. Ihr habt jetzt zwei ausverkaufte Shows.
Philipp: Das nächste Ziel ist zwei Mal Schleyerhalle!

Sind Auftritte in Stuttgart anders, weil ihr alle im Publikum kennt?
Mathias: Unsere Kumpels verpeilen es immer, sich rechtzeitig Tickets zu kaufen. Wir versuchen dann so viele wie möglich auf die Gästeliste zu bringen, aber …
Lucas: Bei denen ist es noch wir vor zwei, drei Jahren, als du bei Heisskalt-Konzerten immer an der Abendkasse noch Tickets bekommen hast.
Mathias: Auf der Tour haben wir aber eigentlich gesehen, dass wir überall in Deutschland spielen können und es geht was, zumindest ein bisschen was.
Lucas: Toll ist doch, wenn beim letzten Mal hundert Leute da waren und dann kommen 300.
Marius: Lustig: Matze fragt dann immer, wer beim letzten Mal schon dabei war und da gehen dann doch nur wenig Hände hoch.
Mathias: Ich habe mal in der Szene einen befreundeten Musiker gefragt, wie man in einer Szene Fuß fasst. Die Antwort: Du musst es hinkriegen, dass in der Szene niemand mehr an dir vorbeikommt. Und wir haben in den letzten zwei Jahren wirklich so viel gemacht, dass es schwer ist, uns nicht zumindest wahrgenommen zu haben.
Lucas: Jetzt zum Album haben wir auch eine richtige Promo-Kampagne gemacht mit Plakaten und Anzeigen.

Hat das auch mit dem Vertriebs-Deal mit Sony zu tun?
Mathias: Die haben halt eine riesige Keule im Büro liegen, mit der sie einmal über Deutschland fegen. Und gleichzeitig dürfen sie uns musikalisch nicht reinreden.
Marius: Das ist auf unserer Sicht schon ein ziemlich guter Deal. Wobei Sony von den Major-Labels uns am sympathischsten war. Die für uns Verantwortliche schläft heute sogar in meinem Bett. Aber ohne mich. (Lachen)

Mit dem Business ins Bett, so so! Aber mal anders gefragt: Wenn ihr mit dem nächsten Album in den Charts weiter nach vorn wollt als Platz 29 – müsstet ihr dann nicht irgendwann ganz zu einem Major-Label wechseln?
Marius: Perspektivisch wird im Juni wieder ein Chimperator-Künstler mit seinem Album auf Nummer eins gehen.
Mathias: Die Charts, das bringt eher den Leuten um uns herum was, damit die uns besser verkaufen können. Schön ist doch auch, wenn die Leute nach dem Konzert die Platte mit nach Hause nehmen.
Marius: Und dass sich die Platte langfristig bewährt.
Philipp: Wobei Platz 99 in den Charts, das hätte doch auch was.

Sagen’s und nutzen die verbleibende halbe Stunde bis zum Auftritt der ersten Vorband, um noch was zu essen. Neunzig Prozent ihrer Zeit gingen derzeit für Heisskalt drauf, erklären die Bandmitglieder.

Für Nebenprojekte bleibt also keine Zeit. Mit einer Ausnahme: Lucas Mayer und Philipp Koch erklären, dass sie falls irgend möglich mit ihrer Band Big Spin wieder mehr machen wollen. Sich diese Musik anzuhören, lohnt sich auch für Heisskalt-Hörer. Es zeigt, wo die Einflüsse zumindest von zwei der vier Bandmitglieder liegen.

Auf Platz eins kommt aber Heisskalt. Die Band gibt bei ihrem Auftritt im Universum alles, alle sind nach drei Songs völlig durchgeschwitzt. Harte Musik, gefühlvolle Musik. Lucas Mayer beugt sich über die Monitorboxen ins Publikum, wirft den Bass in den Nacken oder spielt auch schonmal auf dem Rücken liegend. Matthias Bloech wirft sich ins Publikum, am Mikro ist eine Kamera festgemacht – zumindest ein Livevideo scheint in der Mache zu sein.

Die „Rockposter-Boys“ („plattentests.de“) sollte man sich tatsächlich am besten live ansehen. Am Samstagabend schaffen das nur jene, die schon ein Ticket haben – die Show ist längst ausverkauft. Aber man darf davon ausgehen, dass nach dem Heisskalt-Gig vor dem Heisskalt-Gig ist.