Henning Mankell schreibt nicht nur Wallander-Krimis, sondern auch Romane über Afrika. Im StZ-Interview geißelt er die Einseitigkeit, mit der der Westen über Korruption spricht.

Stuttgart – Er stecke mit einem Fuß im Schnee, mit dem anderem im Sand – so beschreibt der 64-jährige Henning Mankell sein Leben auf zwei Kontinenten. Abwechselnd wohnt er in Göteborg und Maputo, der Hauptstadt von Mosambik, wo er als Autor und Regisseur am Teatro Avenida arbeitet. Zwei Gründe haben ihn nach Stuttgart geführt: eine Lesung im Neuen Schloss und das nun wegen Erkrankung der Hauptdarstellerin leider abgesagte Gastspiel seiner mosambikanischen Truppe in der Tri-Bühne.
Herr Mankell, woher kommen Sie gerade? Aus Afrika?
Nein, ich bin aus Schweden gekommen, aus Göteborg, wo ich lebe. Aber ich bin in diesem Jahr schon dreimal in Mosambik gewesen, im Frühjahr, im Sommer und im Herbst. Im Frühjahr war ich zwei Monate in Maputo, wo ich am Teatro Avenida Ibsens „Hedda Gabler“ inszeniert habe.

„Hedda Gabler?“ Das ist ein ureuropäisches Stück aus dem Herzen des skandinavischen Bürgertums. Können Afrikaner damit wirklich was anfangen?
Ja, sie können. Ich habe den Stoff in ihre Kultur und Geschichte transportiert. Ibsens Hedda Gabler ist eine Frau, die des Lebens überdrüssig ist und Selbstmord begeht. Sie ist zudem die Tochter eines Generals. Zusammen mit dem Ensemble habe ich das Drama nun nach Mosambik und mittenrein in den Bürgerkrieg gelegt, der 1975 schließlich zur Unabhängigkeit von Portugal geführt hat. Heddas Vater ist ein toter Befreiungskämpfer, der seiner Tochter eine Kalaschnikow statt einer Pistole hinterlässt – und Hedda fragt sich nun, warum man zwar ein ganzes Land befreien kann, aber nicht die Frauen. Auch sie leiden ja unter einer Fremdherrschaft. Diese drängende Frage versteht das Publikum in Maputo sehr wohl.

Sind Sie sicher?
Absolut – zumal hinzukommt, dass die Probleme afrikanischer Frauen unvergleichlich größer und komplexer sind als Frauenprobleme in Europa.

Inwiefern?
In den meisten Teilen Afrikas tragen Frauen eine enorme Verantwortung, wenn es darum geht, die Familie zu ernähren und zu versorgen. Aber sie haben keinerlei politischen Einfluss – das ist das grundsätzliche Problem des Kontinents! Nelson Mandela sagt: Wir können die Lage in Afrika nicht ändern, wenn wir zuvor nicht die Lage der Frauen geändert haben.

Sind Sie ein Feminist?
Ja.

Die Zukunft von Afrika sollte also in den Händen von Frauen liegen?
Nochmals ja. Aber natürlich hat ein Land wie Mosambik noch ein ganz anderes Problem als das frauenverachtende Patriarchat: die Armut. Mit der Armut hängen alle anderen Probleme zusammen. Aids und Arbeitslosigkeit, das schlechte Gesundheitssystem und das marode Bildungswesen – es fehlt schlicht und einfach am Geld. Das freilich ist gerade in Mosambik völlig absurd. Das Land ist reich, es hat enorme Bodenschätze, aber der Kolonialismus hat es arm gemacht. Könnte ich in fünfzig Jahren nochmals dorthin reisen, würde ich prosperierende Landschaften sehen, da bin ich mir ziemlich sicher.

Ich kann Ihren Optimismus nicht teilen, wenn ich sehe, wie China in den vergangenen Jahren Mosambik erobert hat.
Nicht nur Mosambik, sondern weite Teile des Kontinents – stimmt. Ich denke, man muss ein Auge darauf werfen, dass die Chinesen mit all ihren Investitionen keinen neuen Kolonialismus begründen. Einerseits ist es ja logisch, dass die mächtigste Nation der Welt – und das ist China für mich – in der Lage ist, Afrika zu helfen. Andererseits gibt es bereits Beispiele, dass die Chinesen die bei ihnen beschäftigen Afrikaner sehr schlecht behandeln und auf Baustellen auch prügeln.