Die US-Schauspielerin und zweifache Oscar-Preisträgerin Hilary Swank erzählt im Interview von den Dreharbeiten für den neuen Western „The Homesman“ von Tommy Lee Jones. Und warum ihr die Emanzipation zu langsam geht.

Stuttgart - Hilary Swank zählt zu einem erlesenen Kreis. Die amerikanische Schauspielerin gehört nämlich zu den wenigen Darstellerinnen, die gleich zweimal mit dem Oscar als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet worden sind. Im Jahr 2000 gewann sie die Trophäe für das Transsexuellen-Drama „Boys don’t cry“, 2005 für Clint Eastwoods Boxergeschichte „Million Dollar Baby“. Im Interview erzählt die 40-Jährige von den Dreharbeiten für den neuen Western „The Homesman“ von Tommy Lee Jones.

 
Miss Swank, „The Homesman“ spielt in Nebraska. Welchen Bezug haben Sie zu dieser kargen Westernwelt?
Ich wurde dort geboren, meine Familie stammt aus dem benachbarten Iowa. Und fast alle in meiner Familie waren und sind Farmer. Ich erinnere mich noch, dass die Hand meines Großvaters doppelt so groß war wie meine jetzt. Das waren große Leute, harte Arbeiter, und sie waren und sind den Menschen in diesem Film nicht unähnlich. Meine Großeltern waren Waliser und Deutsche, es gibt spanische und indianische Spuren in meiner Familie. Ich bin also eine Mischung aus allem, und irgendwie fließt die ganze Siedlergeschichte auch in meinen Adern.
Auf die ungemütlichen Drehbedingungen waren Sie also vorbereitet?
Naja, mühsam war es trotzdem. Der Wind war das Schlimmste. Es war meistens eiskalt und ich hatte noch Wochen nach Drehschluss Sand in Ohren, Mund und Nase. Dieser gnadenlose Wind macht einen verrückt. Da gibt es kein Entkommen, man ist ihm permanent ausgesetzt, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Natürlich störte er auch oft unsere Mikrofone. Wir mussten am Ende unglaublich viel im Studio noch einmal einsprechen, weil auf den Aufnahmen nur der Wind zu hören war.
Für viele Kritiker ist „The Homesman“ der erste feministische Western – oder zumindest endlich einmal ein Western aus weiblicher Perspektive.
Diese Einschätzungen gefallen mir. Allerdings weiß ich, dass Tommy Lee, der den Film ja inszeniert hat, solche Begriffe nicht wirklich mag, was ich auch gut verstehen kann. Aber heutzutage versucht einfach jeder, ständig alles in bestimmte Schubladen zu stecken. Sobald wir etwas nicht genau definieren können, fühlen wir uns plötzlich verloren. Dabei ist es letztlich unwichtig, ob man unseren Film nun ein historisches Drama oder einfach nur einen Western nennt – es ist doch toll, dass man ihn auf so verschiedene Weisen klassifizieren kann.
Schon in „Boys don’t cry“ und „Million Dollar Baby“ haben Sie Frauen gespielt, die sich gesellschaftlichen Konventionen widersetzen. Wählen Sie Ihre Rollen auch nach feministischen Kriterien aus?
Absolut. Denken Sie nur daran, wie herrisch George Briggs ist, der männliche Protagonist in „The Homesman“. Anfeinden würde ihn deswegen natürlich niemand. Aber meiner Figur Mary Bee Cuddy wird genau diese Eigenschaft ständig vorgeworfen. Einfach weil sie eine Frau ist, die sich so nicht zu verhalten hat. So etwas macht mich wirklich wütend. Wenn Frauen zu Objekten gemacht werden, wenn sie trivialisiert und nicht ernst genommen werden.
So schlimm wie im Wilden Westen ist es heute aber nicht mehr.
Natürlich nicht. Aber dafür, dass wir mittlerweile das Jahr 2014 schreiben, hat sich seit 1800 nicht wirklich viel geändert. Zumindest bei Weitem nicht genug. Ich frage mich oft, wie lange es noch dauern wird, bis wir wirkliche Gleichberechtigung haben. In dem Fernsehfilm „Alice Paul – Der Weg ins Licht“ habe ich eine Suffragette gespielt, die dafür kämpft, dass Frauen wählen dürfen. Das war 1920, und irgendwie sind die Veränderungen seither nicht im gleichen Tempo weiter voran geschritten.
Haben Sie als erfolgreiche Schauspielerin auch schon Diskriminierung erfahren?
So ziemlich überall und definitiv auch in der Filmindustrie. So weiß ich zum Beispiel aus eigener Erfahrung, dass in neun von zehn Fällen bei einem Film zuerst die männliche Rolle besetzt wird, was natürlich auch meistens gleich die Hauptrolle ist. Erst danach wird entschieden, welche Frau am besten dazu passt. Die Folge ist dann oft, dass es weiter heißt: Dem männlichen Darsteller haben wir bereits so und so viel bezahlt, also bleibt für seine Kollegin nur noch ein Rest des Budgets übrig.
Versuchen Sie, mit Hilfe Ihre Popularität gegen solche Zustände anzugehen?
Nein, denn ich kann diese Denkweise nicht ändern. Ich kann aber mit bestimmten Leuten zusammenarbeiten, von denen ich weiß, dass sie außerhalb dieses Schemas denken und damit beweisen, dass es auch anders geht. Clint Eastwood zum Beispiel, und natürlich Tommy Lee – auch wenn er in diesem Fall für die Hauptrolle sowieso feststand, weil er eben selbst die Regie geführt hat.
Apropos Tommy Lee Jones: Journalisten erleben ihn meistens ja eher schlecht gelaunt. Wie war haben Sie denn die Zusammenarbeit mit ihm empfunden?
Ich finde Tommy Lee wahnsinnig erfrischend, denn es gibt in diesem Geschäft so viele Ja-Sager und Schleimer. Genau das ist er eben nicht. Wenn ich zum Beispiel eine Szene drehe und selbst weiß, dass ich es nicht gut gemacht habe, aber der Regisseur mir trotzdem sagt: „Oh, das war so großartig“, dann finde ich das bedenklich. Da werde ich sofort misstrauisch. Bei Tommy Lee muss man sich diese Sorgen nicht machen. Er ist brillant! Ein Harvard-Absolvent und gleichzeitig ein unglaublicher Praktiker. Ein Cowboy mit akademischem Hintergrund – das ist eine ebenso geniale wie faszinierende Mischung.
Hat er Ihnen dabei geholfen, Sie in die Verzweiflung Ihrer Figur einzufühlen?
Welche Verzweiflung meinen Sie?
Mary Bee Cuddy scheint daran zu zerbrechen, dass sie keinen Mann findet – oder?
Sie will natürlich geliebt werden, aber das ist doch zutiefst menschlich. Können Sie sich vorstellen, wie das ist, in der Prärie zu leben? Wo im Umkreis von 50 Kilometern niemand ist? Wo du dein Land selber pflügst und komplett auf dich allein gestellt bist? An dieser Einsamkeit kann man doch nur zerbrechen.
Kann man das denn heute noch nachvollziehen?
Ehrlich gesagt, konnte ich mich gerade deswegen so gut in sie hineinversetzen, weil ihr Alltag und unserer kaum weiter voneinander entfernt sein könnten. Wir sind heutzutage ständig von Menschen umgeben. Wir können uns innerhalb weniger Minuten etwas zu Essen bestellen. Wenn wir Unterhaltung wollen, machen wir einfach den Fernseher an. Sie dagegen ist immer allein. Sie hat nichts – oder nur das wenige, was sie sich selbst geschaffen hat. Wir einsam ihr Leben ist und wie gefährlich die Zeit, in der sie lebt, erschloss sich mir sofort.