Der SWR-Korrespondent Jörg Armbruster beobachtet die arabische Revolution von Kairo aus. Seine Bilanz ist gemischt.

Stuttgart - Er ist ein Kenner der arabischen Welt und berichtet seit vielen Jahren als ARD-Korrespondent aus Kairo. Morgen liest Jörg Armbruster in Stuttgart aus seinem Buch „Der arabische Frühling“.

 

Herr Armbruster, Ihr Buch über die arabischen Revolutionen ist bereits vor einigen Monaten erschienen. Haben sich Ihre Prognosen von damals als richtig erwiesen?
Was Ägypten und Tunesien angeht, weitestgehend ja. Beide Länder haben sich positiv entwickelt, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass in diesen Ländern schon während der Diktatur Ansätze zu Zivilgesellschaften existiert haben. Zudem waren die Aufstände im Vergleich zum Jemen und zu Libyen weniger blutig verlaufen. Syrien scheint mir ein Sonderfall.

Die Aufstände werden im Westen gern als „Facebook-Revolution“ gesehen. Was ist an einer solchen Einschätzung dran?
Im Rückblick muss ich sagen, dass ich während der damaligen Ereignisse die Bedeutung von Facebook und Twitter überschätzt habe. Als westliche Fernsehkorrespondenten hatten wir vor allem die jungen, gut ausgebildeten Männer und Frauen aus Kairo und den anderen großen Städten im Auge. Sie haben über das Internet die Initialzündung für den Protest auf dem Tahrir-Platz in Kairo gegeben. Dadurch hatten wir etwas aus dem Blick verloren, dass die meisten Bürger in Ägypten arm und arbeitslos sind, weder lesen noch schreiben können. Die wenigsten dieser Menschen haben Zugang zum Internet oder können mit Facebook etwas anfangen. Sie haben sich trotzdem den Protesten angeschlossen. Vor allem auf dem Land sind die Menschen tiefreligiös und die Islamisten, die erst spät auf den fahrenden Zug der Revolution aufgesprungen sind, fest verankert.

Wie reagieren die jungen Blogger, Twitterer und Facebook-Aktivisten jetzt, nachdem die Islamisten die Wahl gewonnen haben?
Viele sind enttäuscht. Sie hatten sich als der Motor der Revolution begriffen und mussten erleben, wie die von ihnen unterstützten Parteien bei den ersten freien Wahlen bedeutungslos geblieben sind. Dennoch akzeptieren sie das demokratische Ergebnis und versuchen jetzt, sich neu zu organisieren.

Wie haben sich die Arbeitsbedingungen als Fernsehkorrespondent geändert?
Sie sind unendlich viel besser als früher. Zu Zeiten Mubaraks mussten wir jede Story anmelden; wir wurden ständig von Aufpassern begleitet. Manchmal wurde uns die Drehgenehmigung verweigert; manchmal durften wir trotz Genehmigung nicht drehen oder uns wurden nach dem Dreh die Kassetten abgenommen. Das Team und ich sind nicht selten von der Polizei festgenommen worden. 2010 haben wir etliche Stunden auf Polizeiwachen verbracht. Einmal musste sich sogar das Außenministerium in Berlin einmischen, bis wir freigelassen wurden. Diese Verhältnisse haben sich geändert. Wir erfahren heute keine Behinderung unserer Arbeit mehr. Die Menschen reden offen mit uns und sagen uns ihre Meinung, obwohl das Militär noch immer Repression ausübt.

Wie sieht es in den anderen Ländern der Region aus?
In Tunesien ist es ähnlich. Der Übergang zur Demokratie in Libyen, durch das ich gerade zwei Wochen für die ARD gereist bin, gestaltet sich hingegen schwieriger. Dort wird eine schwache Übergangsregierung von schwer bewaffneten Milizen in Schach gehalten. Trotzdem haben mir die Menschen dort gesagt, dass sie mehr Freiheit genießen. Sie haben Spaß an der Politik. Sie dürften sich frei im Land bewegen, lernen erstmals die eigene Geschichte und ihre Landsleute aus anderen Landesteilen kennen. Früher, erzählten mir Schüler an einer Schule in Bengasi, hieß es im Unterricht immer nur: „Gaddafi! Gaddafi! Gaddafi!“.

In Syrien wehrt sich Baschar al-Assad mit Terror gegen die Revolutionäre, die seinen Sturz zum Ziel haben. Wie viel können wir glauben von dem, was an Nachrichten aus diesem Land dringt?
Diese Frage stellen wir Journalisten uns täglich. Ich selbst war zuletzt im Dezember in Damaskus und wurde dort auf Schritt und Tritt von Agenten des Regimes begleitet. Kein Gesprächspartner wagte es, in deren Beisein offen mit mir zu reden. Nur heimlich und ohne Kamera konnte ich mich mit einigen Oppositionellen treffen. Wir Journalisten versuchen zwar, die täglichen Youtube-Videos mit Gräueltaten des Assad-Regimes durch Kontakte mit der syrischen Opposition zu verifizieren, etwa indem wir herausfinden, wann und wo sie gedreht wurden – aber wir können uns nicht immer für ihren Wahrheitsgehalt verbürgen. Das sagen wir den Zuschauern auch.

Immerhin scheint die syrische Opposition das Internet gezielt zu nutzen.
Ja. Wir haben erfahren, dass schon zu Beginn der Aufstände Tausende Handys mit Kamera ins Land geschmuggelt wurden sowie kleine Satellitenschüsseln, mit denen man sich vom staatlichen Zugang zum Internet unabhängig machen kann.

Am 30. November endet Ihr Vertrag als ARD-Korrespondent in Kairo. Sie gehen in Rente. Planen Sie ein neues Buch, in dem Sie mit größerem Abstand auf den Arabischen Frühling zurückblicken?
Ich habe in der Tat ein neues Buch mit dem Verlag vereinbart. Darin geht es um die schwierige Beziehung zwischen dem Westen und dem Nahen Osten,
Das Gespräch führte Markus Reiter.