Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

„Darauf achten“ heißt, dass Sie passiv zuschauen oder sich aktiv einmischen?
Natürlich beteiligen wir uns aktiv über den Lenkungskreis und Arbeitssitzungen. Das Land ist ja Projektpartner, und da ist es schon eine vornehme Aufgabe, darauf zu achten, dass die Kosten nicht aus dem Ruder laufen. Der Kostendeckel von 4,526 Milliarden Euro ist einstimmig vom Kabinett beschlossen. Davon werden wir nicht abrücken.

Manchen Urgrünen gelten Sie dennoch als Verräter. Wo sitzen denn im Moment Ihre größeren Gegner: in den eigenen Reihen oder auf der Oppositionsbank?
Klar, natürlich auf den Bänken der Opposition. Ich hatte in der vergangene Woche eine harte, anstrengende Diskussion mit Stuttgart-21-Gegnern. Dabei habe ich immer wieder betont, dass das Volk das letzte Wort gesprochen hat. In einer Demokratie entscheiden Mehrheiten, und als Ministerpräsident habe ich den Auftrag, dem Willen des Volkes nachzukommen. Unter den Stuttgart-21-Gegnern aber gibt es auch einen Teil, der das Ergebnis der Volksabstimmung nicht akzeptiert und stattdessen weiterhin über die Sache diskutiert. Ich gebe zu, dass es auch für mich sehr schwierig ist, sich darüber zu verständigen.

Dabei führen die Projektgegner doch exakt jene Argumente an, von denen Sie bis vor Kurzem auch überzeugt waren. Können Sie nachvollziehen, dass der eine oder andere Wähler jetzt Loyalität von Ihnen einfordert?
Vor allem bin ich loyal gegenüber dem Spruch des Volkes. Das ist in der direkten Demokratie unter Umständen ein schmerzhaftes Unterfangen – dann nämlich, wenn man verloren hat. Wer jetzt noch Sachargumente vorbringt, die schon Gegenstand der Abstimmung waren, verkennt die Wirklichkeit, in der wir leben. Einige Projektgegner reden immer noch von Betrug, denen muss ich entgegnen: All diese Fragen sind vielfach erörtert, bewertet und entschieden worden. Dieser Kampf ist vorbei, da hilft kein Lamentieren und kein Dagegensein: Was das Volk entschieden hat, gilt. Das ist der Sinn der direkten Demokratie, deswegen heißt sie so, wie sie heißt: Volksherrschaft.

Mit anderen Worten: Sie empfehlen den Stuttgart-21-Gegnern einen Besuch im Gemeinschaftskundeunterricht?
Nein, ich versuche nur, einen Irrtum aufzuklären. In der Demokratie entscheiden Mehrheiten, keine Wahrheiten. Wären Mehrheitsentscheide tatsächlich Wahrheitsentscheide, wäre das für die Minderheit unerträglich. Der Unterlegene müsste sich dann ja vorkommen wie in einer Gesinnungsdiktatur. So etwas sieht unsere Demokratie glücklicherweise nicht vor. Jeder darf an seiner Meinung festhalten und muss nicht plötzlich gut finden, was er vorher schlecht fand. Aber er muss den Spruch des Volkes akzeptieren – notfalls auch mit zusammengebissenen Zähnen.

Weiß das auch Ihre Grünen-Kollegin Clarissa Seitz, die neuerdings Mitglied im Sprecherrat des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 ist?
Die Frage ist, was das Aktionsbündnis erreichen möchte. Es kann den Prozess um Stuttgart 21 kritisch begleiten. Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen, im Gegenteil. Wenn es aber weiterkämpft auf einer Grundlage, die die Volksabstimmung nicht akzeptiert, kann es Probleme geben.

Und wie lösen Sie diese Probleme?
Ich nehme an, dass das Aktionsbündnis diesen Weg nicht gehen wird.

Tatsächlich? Die letzten Veranstaltungen des Aktionsbündnis fanden immer noch unter Bannern statt, auf denen „Oben bleiben“ stand . . .
Auf Dauer gesehen macht diese Form der Opposition wenig Sinn. Aber ich hoffe, dass die Gegner aus dem Aktionsbündnis auch dazukommen, das Ergebnis der Volksabstimmung im Grundsatz zu akzeptieren.