Der Vorsitzende des Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, appelliert an die Kultusminister, mehr für junge Flüchtlinge zu tun. Man dürfe alte Fehler nicht wiederholen.

Stuttgart- - Die Kultusministerkonferenz (KMK) berät diesen Donnerstag über die Integration von Flüchtlingskindern in der Schule. Lehrerfunktionär Meidinger hat Forderungen an sie.
Herr Meidinger, was muss die KMK leisten?
Sie muss ein Paket an Maßnahmen schnüren, das weit über den Tag hinaus reicht. Es ist höchste Zeit dafür, Vorkehrungen für eine dauerhafte Integration zu treffen.
Welche Lehren ziehen Sie aus der Migrantendebatte der Vergangenheit?
Begleituntersuchungen zu den Pisa-Studien haben ergeben, dass Deutschland bei der Integration von Migranten Versäumnisse aufzuweisen hatte. Studien zeigten, dass die zweite und dritte Generation, insbesondere der Türken, schlechter integriert war und weniger gute Sprachkenntnisse hatte als die erste. Da sind Fehler gemacht worden, die dürfen wir nicht wiederholen: Zum Beispiel sind die Kinder zu früh in den Regelunterricht geschickt worden. Oder auch die räumliche Isolierung von Migrantengruppen, die jetzt wieder droht. Sie führt dazu, dass kein Austausch mit der deutschen Bevölkerung stattfindet und untereinander in der Herkunftssprache gesprochen wird. Vernachlässigt wurde die sprachliche Frühförderung vor dem Schulbesuch.
Sind an Ihrem Gymnasium schon Flüchtlingskinder angekommen?
Nein, obwohl wir hier in Deggendorf eine Erstaufnahmestelle mit 2000 Personen haben. Ein großer Teil der Familien ist nur für ein paar Wochen da. Die Kinder besuchen zunächst Grundschulen, Berufsschulen oder Hauptschulen. Aber es gibt zum Beispiel unter den Syrern eine große Gruppe, die von der Bildung und Eignung her für den Weg zum Abitur und den Hochschulabschluss geeignet ist. Darin wird eine Herausforderung liegen: Wie schaffen wir es, die jungen Leute nach dem Besuch der Willkommens- und Sprachförderklassen ins differenzierte Schulsystem zu integrieren? Man darf nicht erwarten, dass sie sofort im Gymnasium mithalten können. Die zwei bis drei Fremdsprachen sind eine Hürde, zumal viele Neuankömmlinge kein Englisch können. Wir werden jahrelang eine Zusatzförderung brauchen.
Sie haben 3000 bis 4000 neue Deutschlehrer gefordert? Woher stammt die Zahl?
Wir haben bei der Bundesagentur für Arbeit rund 11 000 Lehrer arbeitslos gemeldet, von denen viele Gymnasial- und Realschullehrer in den alten Ländern sind. Eine Gruppe von 3000 bis 4000 davon hat die Lehrbefugnis in Deutsch, es wäre ideal, sie weiterzuqualifizieren für Deutsch als Zweitsprache. Aber insgesamt brauchen wir viel mehr Lehrer, wenn es stimmt, dass über eine Million Flüchtlinge kommen und wir das Lehrer-Schüler-Verhältnis von eins zu 15 beibehalten wollen. Wenn wir jetzt 300 000 Flüchtlingskinder zählen, von denen 150 000 dauerhaft bleiben, brauchen wir sofort 20 000 neue Lehrer bundesweit und für die nächsten Jahre jeweils 10 000 zusätzlich. Das ist konservativ geschätzt. Wir haben in Deutschland jährlich einen Ersatzbedarf bei den 750 000 Lehrkräften von 25 000 pro Jahr, das heißt, statt der 25 000 müssen wir in Zukunft 35 000 einstellen. Da sieht man die gewaltige Aufgabe, die auf die Kultusminister zukommt. Die sind aber nur so stark, wie sie die notwendigen Finanzmittel dafür erhalten.
Müssen wir Bildungsinhalte überdenken?
Ich glaube nicht, dass Inhalte wegfallen müssen. Wenn aber Flüchtlingskindern in unserem Land vorausgesetztes kulturelles Vorwissen fehlt, werden Lerninhalte anders vermittelt werden müssen. Auch die interkulturellen Kompetenzen müssen gestärkt werden. Es kommt darauf an, die Offenheit für andere Kulturen zu fördern. Nehmen wir ein Beispiel aus der deutschen Literatur: Nathan der Weise, das Stück ist prädestiniert, Toleranz, Verständnis und Respekt für andere Kulturkreise und Religionen einzufordern. Das ist ganz wichtig.