Exklusiv Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Nils Schmid gibt Kohlekraftwerken keine Zukunft mehr. Neubauten sollen nur noch die Ausnahme sein. Notfalls will er sich für diese Position auch mit seiner mächtigen Parteifreundin Hannelore Kraft anlegen.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)
Stuttgart – - Der Stuttgarter Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD) handelt den Koalitionsvertrag für die nächste Bundesregierung in Berlin mit aus. Für eine klimaschonende Energiepolitik will er sich notfalls auch mit seiner mächtigen Parteifreundin, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, anlegen.
Herr Schmid, was ist das wichtigste Anliegen, das Sie in den Koalitionsgesprächen für die Betriebe im Land durchsetzen wollen?
Das wichtigste ist, dass der industrielle Mittelstand seine Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit erhalten kann. Es geht nicht mehr so stark um die Lohnnebenkosten und mögliche Sozialstaatsreformen. Da haben die Regierung Schröder und die letzte Große Koalition einiges geleistet. Jetzt geht es um die Stärkung von Forschung und Entwicklung, eine bezahlbare und sichere Energieversorgung sowie Infrastruktur bei Verkehr und Telekommunikation.
Industrie und Verbraucherschützer fordern Strompreisdämpfungen. Muss die Kilowattstunde billiger werden?
Wir brauchen zwei Dinge: ein Sofortprogramm zur Dämpfung des Strompreisanstiegs und zur Sicherstellung von Investitionen in konventionelle Kraftwerke. Als zweites brauchen wir eine grundlegende Reform des Marktdesigns, die weit über die Veränderung des Gesetzes über die erneuerbaren Energien hinausgeht. Es reicht nicht mehr, dass der Staat die Erzeugung von Ökostrom unterstützt. Es nützt nichts, wenn auf dem Land eine Fotovoltaik- oder eine Windkraftanlage erneuerbare Energie erzeugt, der Strom aber nicht im richtigen Moment zum Endverbraucher gelangt. Deshalb muss das Marktdesign über die Produktionsanreize hinausgehen und die Integration der Ökoenergien in Netze und Speicher voranbringen.
Sind Sie da auf einer Linie mit Hannelore Kraft, die die Energiepolitik federführend für die SPD verhandelt? Sie hat klar gefordert, dass Strompreis und Ökoauflagen keine Arbeitsplätze in der Stahl- und Kohleindustrie gefährden dürfen.
Ich bin mit ihr völlig einig, dass die Energiewende so gestaltet werden muss, dass unsere Betriebe eine stabile und bezahlbare Stromversorgung haben. Ich bin mit ihr auch einig, dass wir Anreize brauchen, um Investitionen in neue konventionelle Kraftwerke zu unterstützen, weil wir die noch viele Jahre lang als Übergangstechnologie brauchen. Allerdings werden wir an einem Punkt in aller Freundschaft mit Hannelore Kraft streiten müssen: Für die konventionellen Kraftwerke der Zukunft ist das Ziel der CO2-Armut überragend wichtig. Ich bezweifle, dass man dies mit deutscher Braun- und Schwarzkohle erreicht. Für das Land ist neben der Schwerindustrie, die wir auch haben, der Maschinen- und Anlagenbau zentral. Diese Betriebe profitieren stark von den neuen Technologien. Deshalb wird es mit Baden-Württemberg ein Ausbremsen der Energiewende nicht geben.
Außer denen, die bereits in Planung sind, sollen also keine neuen Kohlekraftwerke mehr gebaut werden?
Wir brauchen eine CO2-arme und klimaschonende Erneuerung des Kraftwerksparks. Da kann im Einzelfall vielleicht auch mal ein Kohlekraftwerk dabei sein. Aber so weit wie möglich müssen wir auf Gaskraftwerke und auf Kraftwärmekopplung setzen. Große Kohlekraftwerke sind nicht mehr der Weisheit letzter Schluss.
Neue Kohlekraftwerke sind für Sie tabu?
An einigen Orten werden wir wohl nicht darum herumkommen, vor allem wo es um den Ersatz alter Kohlekraftwerke an einem vorhandenen Standort geht. Aber das wird die Ausnahme sein und nicht die Regel.
Wie wollen Sie denn die Rentabilität der Kraftwerke sicherstellen, die man für die Versorgung in wind- und sonnenarmen Zeiten braucht?
Ich bin überzeugt, dass wir Anreize setzen müssen. Eine Schlüsselfrage ist, ob die nur für Neubauten oder auch für bestehende Kraftwerke gelten, die nur für relativ kurze Phasen im Jahr in Betrieb sind. Es ist den Schweiß der Edlen wert, ein steuerzahlerschonendes Modell zu finden. Ich fürchte, dass ein Kapazitätsmarkt für neue Anlagen sehr teuer würde. Das muss die Große Koalition genau erörtern. Das wird im Koalitionsvertrag wohl noch nicht präzise festgelegt. Wir müssen genau prüfen, welche Kosten solche Systeme verursachen.
Raten Sie Ihrer Partei, das Energieressort zu übernehmen?
Wichtig ist die Bündelung der Kompetenzen unter einem Dach. Wenn wir das erreichen, ist die Frage der Besetzung fast zweitrangig.