„Kultur ist elementar für urbane Entwicklung“, sagt Fritz Kuhn im Interview– ein Grund mehr für den OB, sich weiter einzumischen.

Stuttgart - Die Nachricht, dass die Le-Corbusier-Häuser auf dem Weißenhof zum Weltkulturerbe gehören, erreicht das Stuttgarter Stadtoberhaupt Fritz Kuhn (Grüne) in einer kulturpolitisch schwierigen Phase. Seine Entscheidung, das Kulturreferat dem Bürgermeister für Verwaltung und Recht zuzuordnen, hat ihm die geballte Kritik der Kunstszene eingetragen. Er verteidigt aber sein Vorgehen und weist den Vorwurf zurück, die Kultur verkomme zur „Restgröße“. Richtig sei, dass die Stuttgarter aus ihrem Kulturleben noch zu wenig machen würden.
Herr Kuhn, die Stuttgarter Gebäude von Le Corbusier sind von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt worden. Ist das nur Ehrensache, oder hat das auch Auswirkungen?
Wir freuen uns ganz arg, dass das geklappt hat. Le Corbusiers Impuls, günstige Wohnungen mit innovativen Grundrissen und neuen Materialien zu bauen, ist noch immer wegweisend und muss daher Ansporn für unsere Architekten und Stadtplaner sein. Heute haben wir es beim Bauen mit einer Vielfalt an Lebensentwürfen und Lebensformen zu tun. Le Corbusier hatte schon vor knapp 100 Jahren Ideen entwickelt, wie diese Vielfalt beim Bauen umgesetzt werden kann. Zudem wird die Auszeichnung viele zusätzliche Besucher nach Stuttgart bringen. Und sie zeigt, dass modernes Bauen in gesellschaftlicher Verantwortung etwas anderes ist als das Ausrechnen von Renditen. Aus so einer Auszeichnung folgt eine städtebauliche Verpflichtung für die Zukunft.
Die gute Nachricht aus Istanbul dürfte Ihnen auch gelegen kommen in einer Zeit, da Sie große Teile der Stuttgarter Kulturszene gegen sich haben, weil Sie die Kultur der Verwaltung zuschlagen – und darüber auch nicht mehr mit sich reden lassen wollen. Sie erinnern sich bestimmt noch aus eigener Erfahrung, wie sich das angefühlt hat, wenn man als kulturinteressierter Mensch gegen den OB aufsteht. Erzählen Sie uns die Geschichte?
Gerne. Wobei ich gleich die Übertragbarkeit in Frage stelle. In Memmingen, wo ich aufgewachsen bin, hat der damalige Oberbürgermeister Kürzungen am Theater verordnet. Ein Dramaturg wurde angegriffen, der politisch nicht gepasst hat – und dagegen haben wir uns gewehrt als Stadtgesellschaft. Ich war ja nicht nur theateraffin, sondern auch Regieassistent, im Übrigen zusammen mit Claudia Roth. Dann haben wir beide Theaterwissenschaften in München studiert, was ich dann zu Gunsten der Philosophie und der Linguistik in Tübingen getauscht habe.
Von der Geschichte zur Gegenwart. Der Streit in der Stadt schwelt, seit dem von Ihnen verteidigten Neuzuschnitt der Ressorts. Die Kultur wird nurmehr verwaltet – und Teile der Stadtgesellschaft protestieren . . .
Zunächst einmal glaube ich nicht, dass ich Auseinandersetzungen mit der Kulturszene hätte. Das ist eine Erfindung von Ihnen. Ich habe in der Sitzung des Kultur- und Medienausschusses vorgetragen, was meine kulturelle Konzeption für die Stadt ist. Da stellt Kultur keine ,Restgröße’ dar, sondern gilt als elementarer Punkt, wenn die Stadt eine gute Entwicklung machen will. Die Bürgergesellschaft kann nur existieren, wenn sie sich in der Breite der Kultur widerspiegelt und wenn sie Kultur als Kritikpunkt hat. Die Gemeindeordnung sagt, der OB ist verantwortlich für die Organisation der Verwaltung, im Einvernehmen mit dem Gemeinderat. Das heißt, dass es eine Mehrheit braucht. Das heißt aber auch, dass ich ein Vetorecht habe. Bei dem ganzen Prozess kam diese Lösung raus, und ich bin immer noch stolz darauf. Da können Sie schreiben, was Sie wollen, Herr Nauke . . .
Gott sei Dank . . .
Die beiden neuen Referate Jugend und Bildung sowie Soziales und gesellschaftliche Integration inklusive Jobcenter sind richtige Modernisierungen, die der Stadt Stuttgart gefehlt haben. Im ganzen Paket gab es natürlich auch Kompromisselemente, aber am Ende des Tages hat das Referat von Bürgermeisterin Eisenmann eben nicht mehr Bestand. Ich glaube, dass man der oder dem Neuen die Chance geben muss, zu zeigen, wie es genau geht. Ich kann mir übrigens viele Punkte denken, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Haushaltsaufstellung, wo das kein Nachteil sein wird, wenn das Kulturamt beim Verwaltungsbürgermeister sitzt.
Nominiert worden ist der keinesfalls besonders szeneerfahrene Fabian Mayer, das Vorschlagsrecht ist bei der CDU – und Sie rütteln nicht an Ihrem System. Punkt?
Der Gemeinderat hat die Verwaltungsneugliederung ja inzwischen beschlossen. Aber Sie können in einem sicher sein: Wenn ich nicht überzeugt wäre, dass der Plan gut ist in allen Einzelelementen, dann hätte ich ihn nicht gemacht. Am Ende bleibt der OB verantwortlich für die gesamte Politik. Ich habe mich in der Vergangenheit schon bei wichtigen kulturpolitischen Entscheidungen eingemischt und eingebracht. Ich habe zehn Millionen Euro besorgt für die Cranko-Schule, das war nicht einfach. Ums Theaterhaus und das Stadtmuseum kümmere ich mich aktuell, weiterhin ist die Frage der Opernsanierung entscheidend. Gerade habe ich Dan Ettingers Vertragsverlängerung als Chefdirigent bei den Stuttgarter Philharmonikern unterschrieben – und nicht nur einfach unterschrieben, sondern aus Überzeugung unterschrieben.
Was genau wollen Sie dann kulturell für Stuttgart erreichen, ohne Kulturbürgermeister, aber, wie Sie sagen, als Chef mit starkem Interesse an Bildung und Kunst?
Jetzt kommen Sie doch mal von dem Trip runter, dass von der Frage, ob es einen Kulturbürgermeister gibt, alles abhängt. In München haben sie elf Bürgermeister, wir haben sieben. Wenn ich elf habe, kann ich natürlich sagen, einer macht Kultur. Den Vorschlag habe ich nicht gemacht, weil ich das finanziell für übertrieben halte.
Würden Sie kurz deutlich machen, welche Entscheidungen Sie demnächst treffen?
Bei den wichtigen Sachen bin ich involviert, und das Kulturamt bereitet das vor. Aber das Kulturamt verwaltet und organisiert die städtische Kultur in der ganze Breite. Da gehören die Stadtbibliothek dazu, das Stadtarchiv, die Philharmoniker, die Vorbereitung unserer gemeinsamen Sitzungen mit dem Land beim Staatstheater, die vielen kleinen Theater, die Kunstszene, unser Kunstmuseum – und so fort. Da geht es nicht nur um Förderung, sondern darum, dass das Kulturleben insgesamt funktioniert. Ohne ein gutes Kulturamt mit einer guten Amtsleiterin – es geht übrigens nicht immer nur um den Kulturbürgermeister, sondern auch um die Leitung des Kulturamts – würde städtisches Kulturleben nicht funktionieren. Stuttgart hat ein enorm intensives kulturelles Leben wie kaum eine andere Stadt. Ich finde, wir machen ein bisschen zu wenig draus. Mein Ziel wäre es, dies zu halten und zu intensivieren und einige Perlen noch mehr zu heben: wir sind Jazzstadt, Stadt des Tanzes –und und und.
Aber?
Wir haben zu wenig Räume, vor allem für nichtetablierte Sachen. Wir verhandeln immer wegen Interimsnutzungen. Das zweite, das mich beschäftigt, ist: Können neue Initiativen ans Tageslicht in Stuttgart kommen oder haben die keine Chance, weil wir schon so viel fördern?
Haben wir zu viel Status quo? Sie gehen auch ins Konzert – und sehen die Zuhörer reihenweise vor allem älter werden, ohne dass . . .
Aber was die Bachakademie zum Beispiel für die Jugend macht, das sehe ich auch. Unsere Musikschule zum Beispiel ist eine extrem wertvolle Einrichtung, wo junge Leute im Zusammenhang mit Kultur unterwegs sind. Und dann sehe ich, wenn die Philharmoniker auftreten, also wenn Ettinger spielt, die Jungen.
Aber die Tendenz ist eine andere.
Die Stuttgarter Zeitung wird auch älter.
Das ist uns sehr bewusst, und wir machen uns Gedanken.
Darf ich ein anderes Beispiel nennen? Tun wir noch genug für die Rapper- und Hiphop-Szene? Und vielleicht gibt es mehr Lyriker an den Schulen, als wir denken.
Sind Sie überzeugt, Herr Mayer hin oder her, dass der Kulturbürgermeister wissen wird, wo es hakt und den Kollegen auf Augenhöhe begegnen kann?
Ich gehe davon aus, dass die CDU – das ist der positive Ertrag der Diskussion – sich der Verantwortung bewusst ist. Die nächsten Haushaltsberatungen kommen auch, und ich habe bisher die Politik von Frau Eisenmann, strukturelle Unterfinanzierung abzubauen, immer unterstützt. Wenn die Sorge sein sollte, jetzt kommt ein Neuer und der braucht drei Jahre, bis er alle Einrichtungen abgeklappert hat, dann halte ich diese Sorge für unbegründet.
Stichwort Staatstheater, Sie haben eine Erweiterung in Richtung Königin-Katharina-Stift beschlossen, die für das Gymnasium weitere Jahre auf der Baustelle bedeutet.
Für das Gymnasium wird das eher besser. Ich will vorausschicken, dass wir im Verwaltungsrat bei der Opernsanierung vorankommen. Jetzt entsteht langsam ein Bild, wie es insgesamt ausschauen könnte. Städtebau ist ja auch ein Teil der Kultur. Der Raumbedarf der Oper ist inzwischen sehr genau geprüft. Für das Kulissengebäude wird es eine Lösung geben unter Einschluss der Turnhalle des Gymnasiums. Aber erst dann, wenn eine neue Turnhalle an der Schule gebaut ist. So fällt kein Turnunterricht aus. Und geschafft haben wir auch, dass wir die Oper Richtung Landtag vergrößern können, da hat der Denkmalschutz jetzt grundsätzlich zugestimmt. Aber alles vorbehaltlich der Finanzierungsfragen, vorbehaltlich einer Interimslösung.
Denken Sie beim Ausweichgebäude an eine Interimsnutzung oder an einen Komplex, der danach weiter bespielt werden kann?
Wir werden noch einmal die Flächen scannen, und dann kommt erst einmal die Phase, wo wir mit den Opern- und Ballettintendanten, bestehenden und zukünftigen, die Frage klären: Haben Sie eine Vorstellung, wie eine Interimslösung künstlerisch gehen kann? Muss alles an einem Ort sein? Und dann kommen Standorte ins Spiel. Wenn es etwas gäbe, was auf Dauer bleiben könnte, wäre es natürlich toll. Die S-21-Flächen kommen dafür leider zu spät, also selbst beim normalen Gang der Dinge, und wenn es die Bahn nicht packt, kommen sie noch später.
Der Bedarf einer Konzerthalle ist nicht wegzudiskutieren.
Stuttgart hat einen Bedarf an einer guten modernen Konzerthalle, aber auch an einem guten ethnografischen Museum. Wir haben tolle Exponate im Lindenmuseum, doch die Ausstellungsmöglichkeiten sind beschränkt. Für die Stadtkultur sind ethnografische Museen der Renner. Das ist schon irre, was man da machen könnte. Wenn das mit den Flächen von Stuttgart 21 soweit ist, wird man sicher eine kulturelle Einrichtung dieser Art berücksichtigen können, wenn man’s finanzieren kann.