Sorge ist ein zu starker Begriff. Aber in der Tat ist es für eine Metropole wie Stuttgart wichtig zu wissen, ob etwa die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs, der Stadtentwicklung oder der gemeinsam betriebenen Staatstheater in der bisherigen Form aufrechterhalten bleibt. Und bei den Krankenhäusern gibt es ohnehin einen großen Investitionsstau. Auf all diese Fragen wird die neue Regierung hoffentlich plausible Antworten geben, wie auch im Blick auf die Neuordnung am Karlsplatz, wo Entscheidungen ausstehen.

 

Sie fürchten um das bisher von Breuninger und dem Land vorangetriebene Projekt?

Wir brauchen an dieser zentralen Stelle eine qualitätsvolle städtebauliche und architektonische Neuordnung - auch mit Ladenzeilen und Gastronomie. So, wie es ist, kann es nicht bleiben. Wie Sie wissen, ist das geplante Bauvolumen allerdings äußerst umstritten. Und auch die Debatte über das Hotel Silber, die ehemalige Gestapozentrale, wird neu belebt, da die SPD für einen kompletten Erhalt ist. Wir werden da zu Lösungen kommen müssen.

Die Baumasse wird benötigt, weil das Land Ministerien konzentrieren möchte. Müssen diese Überlegungen hinterfragt werden?

Ich habe schon Erwin Teufel, als der noch Ministerpräsident war, geraten, bevor man an solche Raumkonzepte geht, die Strukturen und die Abläufe innerhalb der Landesverwaltung grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen, um Rationalisierungen zu erreichen und Flächen zu sparen. Und in solche Überlegungen müssten alle Ministeriumsstandorte einbezogen werden, etwa auch der Kronprinzenbau am Schillerplatz oder das Neue Schloss, in das ja, wie Sie geschrieben haben, möglicherweise die Landtagsabgeordneten einziehen werden. Das hielte ich für vernünftig, zumal wir als Stadt eine Erweiterung des bestehenden Landtags im Akademiegarten strikt ablehnen. Und in diesem Zusammenhang könnte sich dann auch eine zentrale Lösung für die Ministerien herauskristallisieren - und zwar jenseits der Adresse Karlsplatz, was die Realisierung des Projekts nicht erschweren würde.

Rhetorische Frage: Gehört dazu zwingend ein Tiefbahnhof?

Da wird Sie meine Antwort nicht sonderlich überraschen...

...jetzt sagen Sie nicht, Sie haben Ihre Meinung über Nacht geändert.

Keineswegs. Stuttgart21, dabei bleibe ich, ist eine Riesenchance für die Stadt, auch weil wir dadurch die von den gewaltigen Gleisanlagen im Talkessel verursachte Wunde heilen und ein im besten Sinne grünes Projekt daraus machen können.

Der Technikvorstand der Bahn, Volker Kefer, hat nach der Landtagswahl mit Ihnen telefoniert. Er soll, so heißt es, die Lust an dem Milliardenprojekt verloren haben?

Über interne Telefonate spreche ich nicht. Wichtig war die Klarstellung von Bahn-Chef Rüdiger Grube, der mir in einem persönlichen Gespräch bestätigt hat, dass das gilt, was er vor der Wahl gesagt hat: Die Bahn wird weiterbauen.

Muss die seit der Landtagswahl veränderte politische Konstellation im Land dem Bauherrn Bahn nicht zu denken geben?

Mit Verlaub, der Bauherr kann nicht beliebig aussteigen, nur weil die Grünen knapp 25Prozent der Stimmen bekommen haben. Bei der Wahl haben die Parteien, die für Stuttgart21 sind, gut 75Prozent erhalten. Das darf man nicht vergessen. Im Übrigen verweise ich darauf, dass es Verträge zwischen dem Land, der Stadt und der Bahn gibt. Ich erwarte von der neuen Landesregierung, dass die Verträge eingehalten werden. Wir haben einen parlamentarischen Rechtsstaat und darin gibt es Spielregeln. An diese Spielregeln müssen sich auch die Grünen halten.

Wie kommt die künftige Landesregierung aus ihrem Dilemma heraus: Die Grünen sind gegen, die SPD ist für Stuttgart21.

Es gibt ja in diesem Zusammenhang zwei Themen: Das eine ist der Stresstest. Wenn der bestanden wird, möglicherweise mit kleinen Ergänzungen, hat die Bahn keinen Grund, Stuttgart21 nicht fortzuführen. Dann steht die von SPD und Grünen versprochene Volksabstimmung im Raum. Da gibt es in der Landesverfassung klare Regeln. Die Hürden, um ein solches Projekt zu stoppen, sind hoch. Zudem ist mir überhaupt noch nicht klar, worüber die Bürger eigentlich abstimmen sollen. Über den Finanzierungsanteil des Landes können sie nicht abstimmen, denn die Verträge sind rechtsgültig. Und als Ersatzhandlung eine unverbindliche Bürgerbefragung anzusetzen, hielte ich für äußerst fragwürdig angesichts der schwankenden Stimmungen.

Gut möglich, dass es so weit gar nicht kommt, wenn die Kosten - wie spekuliert wird - weiter explodieren. Wie groß ist die Gefahr, dass Stuttgart 21 deshalb platzt, noch ehe es überhaupt zu einer wie auch immer gearteten Volksbefragung kommt?

Von einer Kostenexplosion zu sprechen ist doch völlig verfehlt. Es gab sie nicht, und auch der Stresstest wird eine solche nicht verursachen. Es leuchtet doch ein, dass ein Projekt in fast 25 Jahren seit Planungsbeginn teurer geworden ist. Auch die Brezel wird in zehn Jahren mehr kosten als heute. Falls der Stresstest zeigt, dass Optimierungen von Stuttgart 21 plus notwendig sind, steht uns der Risikopuffer zur Verfügung. Ich beschäftige mich nicht mit der Frage, ob S 21 gestoppt wird, sondern damit, wie wir die großartigen Chancen für die Stadt gemeinsam gestalten.

Sie machen dieser Tage einen fast gelösten Eindruck. Sind Sie eigentlich froh, dass speziell die Grünen, aber auch die SPD nicht mehr nur auf Opposition machen können, sondern Probleme lösen müssen?

Als Mitglied der CDU hätte ich mir natürlich ein anderes Wahlergebnis gewünscht, deshalb verspüre ich keine Genugtuung. Aber ich habe meine Aufgabe als Oberbürgermeister immer überparteilich verstanden und werde deshalb mit der neuen Landesregierung allein schon im Interesse der Landeshauptstadt fair zusammenarbeiten. Das erwarten die Bürger. Offen gestanden verhehle ich aber nicht, gespannt zu beobachten, ob und inwieweit die neue Regierung "ihren" Stresstest bestehen wird.

Stuttgart21 ist nicht das einzige Thema, bei dem es Berührungspunkte gibt zwischen Land und Landeshauptstadt - und die Karten werden durch den Regierungswechsel nun neu gemischt. Sorgt Sie das?

Sorge ist ein zu starker Begriff. Aber in der Tat ist es für eine Metropole wie Stuttgart wichtig zu wissen, ob etwa die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs, der Stadtentwicklung oder der gemeinsam betriebenen Staatstheater in der bisherigen Form aufrechterhalten bleibt. Und bei den Krankenhäusern gibt es ohnehin einen großen Investitionsstau. Auf all diese Fragen wird die neue Regierung hoffentlich plausible Antworten geben, wie auch im Blick auf die Neuordnung am Karlsplatz, wo Entscheidungen ausstehen.

Sie fürchten um das bisher von Breuninger und dem Land vorangetriebene Projekt?

Wir brauchen an dieser zentralen Stelle eine qualitätsvolle städtebauliche und architektonische Neuordnung - auch mit Ladenzeilen und Gastronomie. So, wie es ist, kann es nicht bleiben. Wie Sie wissen, ist das geplante Bauvolumen allerdings äußerst umstritten. Und auch die Debatte über das Hotel Silber, die ehemalige Gestapozentrale, wird neu belebt, da die SPD für einen kompletten Erhalt ist. Wir werden da zu Lösungen kommen müssen.

Die Baumasse wird benötigt, weil das Land Ministerien konzentrieren möchte. Müssen diese Überlegungen hinterfragt werden?

Ich habe schon Erwin Teufel, als der noch Ministerpräsident war, geraten, bevor man an solche Raumkonzepte geht, die Strukturen und die Abläufe innerhalb der Landesverwaltung grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen, um Rationalisierungen zu erreichen und Flächen zu sparen. Und in solche Überlegungen müssten alle Ministeriumsstandorte einbezogen werden, etwa auch der Kronprinzenbau am Schillerplatz oder das Neue Schloss, in das ja, wie Sie geschrieben haben, möglicherweise die Landtagsabgeordneten einziehen werden. Das hielte ich für vernünftig, zumal wir als Stadt eine Erweiterung des bestehenden Landtags im Akademiegarten strikt ablehnen. Und in diesem Zusammenhang könnte sich dann auch eine zentrale Lösung für die Ministerien herauskristallisieren - und zwar jenseits der Adresse Karlsplatz, was die Realisierung des Projekts nicht erschweren würde.

Wo könnte eine Zentrale der Landesministerien stehen - hinter dem Hauptbahnhof, auf dem Areal von Stuttgart21?

Nein, dort nicht, denn da haben wir bereits ein Bankenzentrum. Wir wollen keine Monostruktur. Ich habe ein anderes Areal im Auge, möchte es aber noch nicht nennen. Wenn ich gefragt werde, bringe ich mich in diese Diskussion konstruktiv ein. Aber zunächst bin ich gespannt, was die neue Landesregierung möchte.

Andere Dinge hat die Stadt selbst in der Hand - etwa wenn im Herbst die Haushaltsberatungen anstehen. Wo müssen aus Ihrer Sicht Schwerpunkte gesetzt werden?

Der millionenschwere Aus- und Neubau des Klinikums bindet erhebliche finanzielle Ressourcen. Daneben werden wir vor allen Dingen in die systematische Sanierung der Schulen investieren. Da besteht im Übrigen über alle Fraktionsgrenzen hinweg große Einigkeit. Und das Gleiche gilt auch für den Ausbau der Kindertagesstätten und Krippen, wo wir in den vergangenen Jahren viel getan, aber weiteren Nachholbedarf haben. Darüber hinaus - das sage ich ganz offen - werden wohl keine großen Sprünge möglich sein.

Wenn Stuttgart21 gestoppt würde, flössen viele Millionen Euro von der Bahn zurück, die die Stadt vor vielen Jahren schon für den Kauf der Gleisflächen bezahlt hat. Ist das keine verlockende Aussicht?

Zweierlei dazu. Erstens: ich wünsche mir nicht, dass dieser Fall eintritt. Denn dann gingen Investitionen in Milliardenhöhe an der Stadt vorbei, die Arbeitsplätze sichern, neue schaffen und erhebliche Steuereinnahmen in unsere Kasse spülen. Dies ganz abgesehen davon, dass uns die städtebauliche Chance neuer ökologisch vorbildlicher Stadtquartiere verloren ginge. Und zweitens: als wir damals aus der Beteiligung an der Energie Baden-Württemberg ausgestiegen sind, gab es eine klare Absprache im Gemeinderat: Vermögen muss Vermögen bleiben! Diesem bis heute richtigen Grundsatz haben alle, auch die Grünen, zugestimmt. Wenn das Geld also zurückflösse, könnten wir es nicht für laufende Ausgaben wie Schulsanierungen oder Neubauten verwenden.

In Stuttgart wird - finanziell betrachtet - auf hohem Niveau geklagt. Wie ist die Stadt durch die Finanzkrise gekommen?

Im Vergleich zu vielen, vielen anderen Städten stehen wir sehr gut da. Das ist auch das Ergebnis harter Arbeit in der Verwaltung. Wir haben faktisch keine Schulden mehr, und so wie es aussieht, fallen die Steuereinnehmen in diesem Jahr deutlich höher als veranschlagt aus. Auch deshalb mussten wir keine neuen Kredite aufnehmen. Ich hoffe, das bleibt so.

Dann besteht ja die Chance, die Bürger durch Steuersenkungen zu entlasten.

Davor kann ich nur warnen. Das könnten wir uns nur leisten, wenn wir Schulden machen. Und das wäre eine unredliche Politik. Um es uns heute gutgehen zu lassen, bürden wir unseren Kindern und Kindeskindern die Last der Rückzahlung auf? Das halte ich nicht für vertretbar.

Demnächst werden Sie den ersten grünen Premier im Rathaus begrüßen können, der gerne Ihren Parteifreund Erwin Teufel zitiert. Ist Ihnen das womöglich lieber als auf Herrn Mappus zu treffen?

Ich begrüße auch Herrn Mappus gerne im Rathaus. Wenn Sie aber auf die Kritik an meiner Person kurz vor der Wahl anspielen, kann ich nur sagen: Das ist nicht die Art, wie man miteinander umgeht. Deshalb muss man dazu nicht mehr sagen.

Haben Sie nach der herben Wahlniederlage eigentlich Mitleid mit Ihrer Kreis-CDU, die nur ein Direktmandat geholt hat?

Die Partei braucht kein Mitleid, zumal ich den Ausgang der Wahl hier nicht überbewerten würde, dazu war er zu knapp. Vor fünf Jahren, als die CDU in Stuttgart alle vier Direktmandate gewonnen hat, war Glück im Spiel, jetzt eben Pech.

Wolfgang Schuster steht seit 1997 an der Rathausspitze

Lebenslauf Der Stuttgarter OB ist am 5. September 1949 in Ulm geboren, hat in Tübingen, Genf und Freiburg Jura und Staatswissenschaft studiert und in Zivilrecht promoviert. Von 1975 bis 1980 war er für die CDU jüngster Stadtrat seiner Heimatstadt Ulm. In den siebziger Jahren wurde er Referent im Staatsministerium unter Ministerpräsident Filbinger, von 1980 bis 1986 Persönlicher Referent von Stuttgarts OB Manfred Rommel. Von 1986 bis 1993 war Schuster Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd. Im Jahr 1993 kehrte er als Bürgermeister für Kultur, Bildung und Sport ins Stuttgarter Rathaus zurück.

OB-Wahlen Im Herbst 1996 wurde Wolfgang Schuster zum Oberbürgermeister von Stuttgart gewählt, im Herbst 2004 im Amt bestätigt. Im Herbst 2012 läuft seine zweite Amtszeit aus - im Januar 2012 will er bekanntgeben, ob er noch einmal kandidiert. Wahrscheinlich wird er nicht wieder antreten.