Die Regisseurin Andrea Breth inszeniert an der Stuttgarter Staatsoper Wolfgang Rihms Kammermusiktheater „Jakob Lenz“. Warum sie das Stück fast schon für einen Klassiker hält was das Besondere an der Stuttgarter Oper ist, verrät sie im Interview.

Stuttgart - Andrea Breth ist eine der bekanntesten Regisseurinnen im deutschsprachigen Raum. Beheimatet ist sie im Theater – aber gelegentlich inszeniert sie auch Opern. so wie jetzt in Stuttgart, wo sie Wolfgang Rihms 1978 uraufgeführtes Kammermusiktheaterstück inszeniert.
Frau Breth, warum haben Sie erst spät in Ihrer Karriere begonnen, Opern zu inszenieren?
Weil ich mir das nicht zugetraut habe. Es ist vollkommen anders als Schauspiel, das war mir unheimlich. Deswegen habe ich gewartet. Ich denke, dass die Oper eine andere theatralische Sprache finden muss. Sie ist nun mal in ihren Bildern und Bewegungen nicht unbedingt realistisch. Eine psychologische Herangehensweise geht: es gibt fantastische Charaktere.
Ihre erste Oper war Glucks „Orfeo ed Euridice“ 2000 in Leipzig, 2003 folgte „Die verkaufte Braut“ von Smetana in Stuttgart.
Das war ein Vorschlag von Klaus Zehelein. Als er mich anrief, sagte ich, ich weiß es noch genau: „Lieber Klaus, jetzt geht’s aber zu weit.“ Wie es seine Art ist, antwortete er: „Nein, das musst du machen, das ist ein ganz tolles Stück.“ Dann habe ich mir die „Verkaufte Braut“ noch mal angehört und bin draufgekommen, was das für eine grandiose, böse Geschichte ist.
Sie haben Werke wie „Carmen“, „Eugen Onegin“, „Katja Kabanowa“, Bergs „Lulu“ und Prokofjews Dostojewski-Oper „Der Spieler“ inszeniert, aber keinen Monteverdi, Händel, Mozart, Wagner, Strauss . . .
Wagner ist nicht meine Tasse Tee: kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Wenn man stundenlange Wagner-Opern inszeniert, muss man das lieben. Das hat vielleicht familiäre Gründe, Wagner wurde nicht gehört, was mit der Nazizeit zu tun hatte. Gut, dafür kann er ja nichts. Monteverdi sollte ich vielleicht mal machen, Händel: wunderschöne Musik, aber was das Inszenieren angeht, nicht so meine Sache.
Was ist mit Mozart, „Così fan tutte“?
Habe ich jetzt zweimal abgelehnt. Ich weiß nicht, was man mit Singspielen macht: das ist so grauenhaft, fürchterlich, dass ich es nicht aushalte. Wenn das nicht wäre . . . Denn es ist eine wunderbare Oper. Also, Mozart auf jeden Fall. Ich würde wahnsinnig gerne „Don Giovanni“ inszenieren. Je älter man wird, desto besser versteht man diesen Stoff.
Wie kam es jetzt in Stuttgart zu „Jakob Lenz“? War das Werk Ihr Wunsch oder der von Jossi Wieler?
Bei den Wiener Festwochen vor ein paar Jahren hat Georg Nigl den Lenz gesungen. Die Stuttgarter Operndirektorin Eva Kleinitz, damals noch in Brüssel tätig, und ich waren in der Premiere. Beide hatten wir unsere Probleme mit der Aufführung. Spontan meinte ich, das muss ich unbedingt inszenieren. Daraus hat sich das Projekt entwickelt, das nun in Stuttgart, später in Brüssel und dann an der Staatsoper in Berlin herauskommt.
Es handelt sich um eine Kammeroper, knapp achtzig Minuten Spielzeit, das Orchester besteht aus elf Musikern, es gibt nur drei Sängerrollen – ist das Haus dafür nicht zu groß?
Überhaupt nicht. Das Tolle am Stuttgarter Opernhaus ist, dass hier zwar viele Zuschauer reinpassen, aber die Nähe zur Bühne sehr groß ist. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, die nötige Fokussierung zu erzeugen. Ich hätte es nicht auf irgendeiner Seitenbühne akzeptiert. „Jakob Lenz“ ist fast ein Klassiker mit einer heftigen, aber grandiosen Musik, doch mich hat immer schon gestört, dass moderne Musik in eine Ecke gedrängt wird, dass dem Publikum abseits der Moderne-Musik-Festivals keine Gelegenheit gegeben wird, sich einzuhören. Mozart musste sich auch erst mal durchsetzen: zu seinen Zeiten war die Musik zunächst fremd. Denken Sie an Verdi, was hat der für Probleme gehabt, denken Sie an Janácek.
Sie gelten als eine Regisseurin, die extrem gut vorbereitet ist, was die technischen Abläufe betrifft. Woher kennen Sie sich in dem Bereich so gut aus?
Das gehört zu den Schularbeiten, die man zu machen hat. Ich war damals in der Bundesrepublik die erste Frau, die inszeniert hat – und das war nicht leicht. Mir wurde oft von der Technik gesagt: Nein, das geht nicht. Das bedeutete, dass ich alles genau wissen musste, um zu sagen, das geht sehr wohl. Das war ein langer Weg. Man sollte eben wissen, dass man keine kleine Tür hinbauen kann, wenn innerhalb kurzer Zeit 75 Chorsänger von der Bühne abgehen müssen. Oder wie viele Minuten Zeit ist für einen Umbau, damit wir in der Musik bleiben . . .
Ein Topos bei Büchner ist die Selbstentfremdung des Individuums. Ist er ein Nihilist?
Büchner hat die Novelle schon unter diesem Aspekt geschrieben, warum sollte er sich sonst für einen Dichter wie Lenz interessieren? Bei ihm zerbröseln die Utopien.
Sie sind keine Textzertrümmerin, aber in Berlin haben Sie in Absprache mit Daniel Barenboim bei Ihrer „Lulu“ einige Änderungen vorgenommen. Wie halten Sie es hier bei der Rihm-Oper, gibt es Zusätze, Weglassungen, Umstellungen?
Nein, nichts. Ist nicht nötig.
Haben Sie während der Probenzeit jetzt in Stuttgart Gelegenheit gehabt, Aufführungen in der Oper oder im Schauspiel zu sehen?
Nein. Ich schaue mir jetzt kurz vor der „Lenz“-Premiere die „Tristan“-Inszenierung meines Freundes Jossi Wieler an. „Jakob Lenz“ ist mental derartig anstrengend beim Proben, dass es nicht fair ist, sich Arbeiten von Kollegen anzuschauen. Um dort von einer Müdigkeit befallen zu werden und dann womöglich noch einzuschlafen! Das geht gar nicht . . .
Ihre weiteren Opernpläne?
Grundsätzlich bin ich bis 2017 verplant. Im Musiktheater gibt es in Amsterdam Verdis „Macbeth“, dirigiert von Marc Albrecht.
In der vergangenen Woche wurde bekanntgegeben, dass Karin Bergmann Intendantin am Wiener Burgtheater bleibt – eine Wahl nach Ihrem Geschmack?
Ich bin sehr erleichtert, dass sie es geworden ist. Ich halte das für eine außerordentlich kluge Entscheidung. Das Ensemble und die Technik werden froh sein, dass Bergmann bleibt.
Sie haben regelmäßig am Burgtheater gearbeitet. Hatten Sie jemals den Verdacht, dass es dort finanziell nicht mit rechten Dingen zugeht?
Nein, ich war in der Zeit, als ich dort inszeniert habe, auf der Probebühne und habe davon nichts mitbekommen. Ich hoffe, dass das Haus sich jetzt schnell erholt.
Ist es besser, wenn ein Intendant selber nicht künstlerisch tätig ist?
Ja. Es sei denn, es ist jemand wie Claus Peymann – aber diese Dinosaurier sterben aus. Heute müssen Sie mit Sponsoren essen gehen und all das – da geht so viel Zeit drauf, in der man sich nicht mit künstlerischen Fragen beschäftigen kann. Das ist das Elend der heutigen Zeit.
Ganz generell: Was sagen Sie zum heutigen Theater?
Manchmal erwischt man sich bei dem schrecklichen Wort „früher“ – das finde ich schon mühsam. Ich gestehe, dass ich mir lieber Filme als Theaterinszenierungen anschaue. Ein Video auf der Bühne finde ich total langweilig.
Mit Katie Mitchell können Sie also nichts anfangen.
Stopp. Völlig anderer Fall. Ich halte Katie Mitchell für eine hochinteressante Regisseurin! Ich habe von dem Mittelmaß gesprochen. Mir wird ja immer nachgesagt, dass ich überhaupt nichts gut finde: das stimmt nicht. Es gibt Dinge, die mich begeistern. Ich finde es schön, wenn man das Theater begeistert verlässt. Ich will ja nicht nur meinen eigenen Kram sehen.
Das heißt, Sie haben nichts dagegen, wenn man einen Film- oder Romanstoff auf die Bühne bringt?
Es kommt darauf an, ob es sinnstiftend ist. Ich habe das ja auch mal gemacht mit Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“. Aber da war kein einziger Satz von mir. Nur ein halber, den ich als Übergang brauchte. Warum soll ich Drehbücher auf die Bühne bringen, wenn es tolle Filme gibt? Das verstehe ich einfach nicht. Aber ich bin nicht die Theaterpolizei.
Zu Ihrem sechzigsten Geburtstag hieß es in einem Artikel, Sie seien eine „große, schwierige, geniale Regisseurin“. Sind Sie schwierig?
Das wird oft gesagt: ich weiß es nicht. Ich will ja keinem Journalisten an die Karre fahren, aber einer schreibt was – und von da an heißt es: Breth ist schwierig. Bei mir herrscht die beste Atmosphäre auf der Probe, ich brülle nicht rum, ich mache meine Arbeit. Es wird ja auch immer geschrieben, ich würde nur die Klassiker inszenieren: das ist völliger Unsinn – und irgendwann todlangweilig.
Und wie fühlt es sich an, wenn Sie Ihre genialen Momente haben?
Damit kann ich gar nichts anfangen. Ich lege Wert auf die Zweifel. Wer ist denn genial? Michelangelo ist genial. Wir sind Dienstleister. Unsere Aufgabe ist der Dienst am Werk und dass die Zuschauer nicht einschlafen. Und wir sollten Respekt vor den Autoren und Dichtern haben. Sonst muss ich es doch nicht machen, wenn ich alles blöd finde.
Klaus Dermutz zählt Sie zu den Gottessucherinnen. Sind Sie eine?
Damit kann ich eher etwas anfangen. Mich beschäftigt die Abwesenheit Gottes, die Leere der Welt, die wir gerade auf die entsetzlichste Art und Weise erleben. Da sind zwar die verrotteten Fanatiker, die mit dem Islam nichts zu tun haben, die anscheinend anziehend sind, weil sie eine blutige Donneridee verfolgen, die mit Macht und Ökonomie zu tun hat – aber ansonsten ist alles weg. Es gibt das Christentum, das an sich nicht schlecht ist, wie auch der Sozialismus als Idee. Beides haben wir aufgegeben. Was bleibt? Das Geld. Und jetzt haben wir Angst, dass wir auch das verlieren. Literatur und Theater sollten über solche Verluste sprechen – nicht über Tagespolitik.
Sie halten die Frage der Aktualität auf dem Theater für obsolet?
Die Frage, was hat das mit uns zu tun, halte ich für ziemlich öde. Da sollte man lieber Zeitung lesen. Oder ich setze mich auf einen Platz und schaue die Leute an. Oder ich schaue Fernsehen. Es gibt andere, poetische Welten. Friederike Mayröcker schreibt doch auch nicht über das Wetter. Da muss ich nur zum Fenster rausblicken: da weiß ich, was für ein Wetter ist.
Sie plädieren für das Fremde?
Ja, das Unbekannte macht mir etwas bekannt. Etwas Entferntes kann mir näher kommen.