Das Karlsruher ZKM ehrt die Choreografin und Regisseurin Sasha Waltz mit einer genreübergreifenden Ausstellung. Die Fünfzigjährige fühlt sich in ihrer alten Heimat wohl.

Karlsruhe - Sie ist die prägende Gestalt des aktuellen Tanztheaters: Die Choreografin und Regisseurin Sasha Waltz arbeitet über alle Genregrenzen hinweg. Ihr fünfzigster Geburtstag und das zwanzigjährige Bestehen ihrer Kompanie „Sasha Waltz & Guests“ führt sie in ihre Geburtsstadt Karlsruhe. Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) zeigt „Sasha Waltz. Installationen, Objekte, Performances“.
Frau Waltz, wie ist es, in Karlsruhe seinen Wurzeln zu begegnen?
Ich bin gleich nach dem Abitur weggegangen, habe in New York und Amsterdam studiert. Seit fast zehn Jahren bin ich hier nicht mehr aufgetreten. Doch Karlsruhe ist die Stadt meiner Familie. Es ist spannend, wie nun im Arbeitsprozess am ZKM plötzlich Familie und Arbeit zusammenfließen.
Wie war es, den temporären Prozess ihrer Choreografien in eine museale Umgebung zu überführen?
Ich musste eine neue Perspektive einnehmen und die Schlüsselmomente meiner Arbeiten selektieren: Welche Szenen lassen sich von der Bühne in ein Objekt, eine Installation, in Videokunst übersetzen? Diese Neupositionierung jenseits des Kontexts ist eine Herausforderung. In der Schau werden daher die Szenen in den Videoinstallationen während der gesamten Ausstellungsdauer von Tänzern parallel getanzt. Tanz ist dabei skulptural gedacht: Der Besucher sieht eine Abfolge von Sequenzen von Tanz, Zeit und Raum, mehrfach präsent als Objekte, Installation und Performance des Tänzers.
Nach welchen Kriterien sind Sie an Ihr Werk gegangen?
Ich präsentiere Videoinstallationen unter anderem zu „Medea“, „Passion“ oder der Opernproduktion „Dido & Aeneas“. Ich arbeite grenzüberschreitend mit unterschiedlichsten Kunstformen, daher waren mir Elemente wichtig, die sich an der Grenze zwischen Tanz und Bild, Musik, Körper und Installation bewegen. Die Choreografie „Körper“ aus dem Jahr 2000 nimmt eine zentrale Funktion ein, sie war das erste Video, das ich für die Ausstellung vor acht Jahren umsetzte. Die Glaswand darin erzählt vom Bühnenraum, Volumen, Funktion und Herkunft werden spürbar. Übrigens, die Tänzer, die sich live in der Installation bewegen, sind mitunter dieselben wie auf dem Video, nur jünger. Gegenwart trifft auf Vergangenheit.
Inspirierte Sie die Architektur des ZKM?
Die Architektur gibt den Boden der Schau, im wahrsten Sinne. Nur in wenig anderen Räumen ist das so möglich – hier kann man mit großen Volumina arbeiten. Das kommt der Präsentation von Arbeiten, die zunächst für die Bühne gedacht sind, entgegen. Die Raumgegebenheiten in den Videos und jene vor Ort ergänzen sich oft, die Fluchten einer industriellen Ruine treten in Dialog mit den Gängen des ZKM.
„Dido & Aeneas“ war Ihre erste Operninszenierung. Was ist schwerer, Oper oder Tanztheater?
Im Arbeitsablauf gibt es kaum Unterschiede. Falls es sich um kein noch zu schreibendes Musiktheater handelt, hat man aber bei der Oper von Anfang an viel mehr Basisinformation – Libretto, Musik, einen geschichtlichen Hintergrund. Eine Choreografie muss ich aus dem Nichts erschaffen. Eine Suche nach Thema, Musik . . . Der kreative Prozess ist offener! Man bestimmt das Konzept selbst und muss daher noch stärker in sich hineinhorchen, was man erzählen will.
Wie gehen Sie Ihre Choreografien an?
Das hängt sehr vom Stück ab. Ich recherchiere viel. Nicht selten sind es einzelne innere Bilder oder körperliche Aufgaben, die mich umtreiben. Oft beginne ich mit der Konzeption des Orts, das Zusammenspiel von Bild, Körper und Raum ist wichtig. Bühnenräume, Elemente wie Wände oder Schrägen wirken sich auf die Choreografie aus. Dann kommt die Musik hinzu. Für mich sind Räume die Essenz. Sie wirken sich auf Menschen aus. Sie sind emotional geladen, zwar abstrakt, müssen aber dennoch Idee, Atmosphäre und den gefühlsmäßigen Rahmen des Stückes tragen.
Nennen Sie bitte ein Beispiel!
In „Impromptus“, das auch in der Ausstellung ist, habe ich mich mit Schubert und seinen Kompositionen auseinandergesetzt. Die Bühne ist gekippt, instabil – von der Fragilität seiner Musik getrieben. Im Raum erfährt das Unglück in Schuberts Leben seinen Spiegel.
Improvisieren Sie viel?
Ja, aber es gibt choreografische Ankerpunkte. Es ist ein Prozess des Ausprobierens im Raum mit Spielregeln und Regieanweisungen. Danach wird ausgewählt, welche Szenen schlüssig sind und im Stück bleiben. Das sind oft intuitive Entscheidungen. Dieser Prozess beginnt im Austausch mit den Tänzern in der spielerischen Phase, sie haben eine andere Perspektive als ich. Letztlich ist es aber meine Entscheidung, wie das Stück aussieht.
In den Workshops am ZKM bewarben sich Tänzer aus ganz Europa, um bei den Performances während der Ausstellungsdauer mitzumachen. Was muss ein Tänzer mitbringen, um bei Sasha Waltz dabei zu sein?
Technisches Basiswissen ist unerlässlich, vor allem zeitgenössische, moderne Techniken. Aber die Ästhetik einer bestimmten Schule darf nicht dominieren. Sonst muss sie ein Tänzer wieder verlernen, um frei im Ausdruck zu sein. Ich will keinen festgeschriebenen Bewegungscode. Mich interessiert die Persönlichkeit eines Tänzers, ob er in die Gruppe passt und die Fähigkeit besitzt, sich vorbehaltlos in eine Choreografie hineinzubegeben. Diese Suche nach nicht kodierten eigenen Formen war es auch, die mich vor zwanzig Jahren meine eigene Kompanie Sasha Waltz & Guests gründen ließ.
Sie arbeiten in Berlin auch in Kinderbildungsprojekten – etwa mit dem Dirigenten Simon Rattle. Als „kulturelle Bildung“ ist Tanz politisch en vogue. In der Finanzierung der Freien Szene schlägt sich das oft nicht nieder. Wo steht der Tanz heute in der Gesellschaft?
Der Tanz gibt uns heutzutage die Chance, eine Verbindung mit unserem Inneren aufzunehmen, wir kommunizieren nonverbal, jenseits aller Sprachgrenzen. Der Tanz muss auch in die Schulen gebracht werden, er vermittelt Teamgeist! In den Kinderprojekten erlebe ich immer wieder, was er mobilisieren kann, gerade bei isolierten Kindern, die psychische oder körperliche Probleme haben. Genau diese Erlebnisse haben mich nach einem Workshop in Freiburg bei Laurie Booth einst selbst zum Tanz gebracht – eigentlich wollte ich bildende Künstlerin werden.