Sie schreiben, dass wir die Fähigkeit verlieren unser Arbeitsleben zu einer zusammenhängenden Erzählung zu formen. Warum ist das so problematisch?
Der Verlust dieser Fähigkeit ist das Schlimmste. Es wird vollkommen unmöglich, Strategien zu entwickeln, sich zu positionieren, man ist komplett ausgeliefert. Zu wissen, dass man Fortschritte und Rückschritte messen oder überhaupt spüren kann, ist enorm wichtig. Heute verlieren immer mehr Menschen die Orientierung, sie wissen gar nicht mehr, wo sie eigentlich stehen. Der Gedanke, was will ich und wo will ich hin, wird zum Luxus. Stattdessen muss man schauen, was gerade im Angebot ist und muss draufspringen.
Gibt es da ein Entrinnen?
Ich arbeite gerade an einer Studie mit Aussteigern, die organische Bauern geworden sind oder für gemeinnützige Organisationen tätig sind. Aber auch diese Leute haben sich damit schwergetan, dass sie plötzlich in einer ganz neuen Rolle sind, dass sie nicht eine langfristig erworbene Fähigkeit ausüben. Im alten Kapitalismus hatte die Arbeit immer einen Kontext, eine soziale Matrix, innerhalb derer sie sinnvoll erschien. Im neuen Kapitalismus gibt es das nicht mehr. Alles ist transportabel, das Verhältnis zu den Institutionen ist vollkommen beliebig und unverbindlich.
Also kann nicht einmal ein Ausstieg mehr das Problem unserer Entfremdung lösen?
Nein. Ich habe eigentlich nur noch die Hoffnung auf den Kollaps des Systems. Es ist ja 2008 immerhin schon einmal kollabiert.
Aber die alte Ordnung hat sich danach ja sehr schnell wieder etabliert.
Ja, aber es wird wieder einen Kollaps geben. Und diesmal hoffe ich auf eine politischere Reaktion der Gesellschaft. Wir brauchen eine wesentlich stärkere soziale Kontrolle der Banken. Die Monopole von Firmen wie Microsoft oder Amazon müssen gebrochen werden. Dass alles braucht ein Ausmaß politischen Willens, das 2008 nicht vorhanden war. Aber der nächste Crash wird kommen, und ich glaube, er kommt bald.
Warum gab es diese Reaktion das letzte Mal nicht?
Das hat mich selbst überrascht. Die Leute haben einfach hingenommen, dass man sie auf die Straße gesetzt hat und dass niemand zur Verantwortung gezogen wurde. Ich bin heute noch schockiert, dass niemand ins Gefängnis gewandert ist.
Es gab aber doch Occupy.
Ja, ich fand Occupy auch sehr interessant. Aber das waren doch in der Hauptsache gut erzogene Bürgerkinder. Die Massen von Arbeitslosen waren nicht auf der Straße.
Woran lag das?
Ich denke, die meisten Leute haben sich schon zu sehr an die neue Wirtschaftsordnung gewöhnt. Niemand hat erwartet, dass die Institutionen irgendeine Verantwortung übernehmen. Und natürlich haben sie recht behalten.
Aber viele haben heute wieder Arbeit, insbesondere in den USA geht es aufwärts.
Die Arbeitsmarktzahlen scheinen positiv. Aber niemand fragt nach der Qualität der Arbeit. Viele haben zwei oder drei grauenhafte, schlecht bezahlte Dienstleistungsjobs, mit denen sie sich durchschlagen.