Der Ökonom Robert Kappel sieht im wachsenden Interesse an dem Kontinent eine große Chance. Doch die Chinesen hätten diese früher erkannt als Europa.

Stuttgart - Der Ökonom Robert Kappel sieht im wachsenden Interesse an Afrika eine große Chance. Die Chinesen hätten diese allerdings früher erkannt. Kappel, Jahrgang 1946, war Wirtschaftsprofessor am Institut für Afrikanistik in Leipzig und leitete von 2004 bis 2011 das German Institute of Global and Area Studies (Giga) in Hamburg. Er gilt als gewichtige Stimme in der Entwicklungspolitik. Von Berlin und Brüssel fordert er eine „umfassende Afrika-Strategie“.

 
Herr Kappel, Bundeskanzlerin Angela Merkel möchte Afrikas positive Seiten stärker betonen. Aber das fällt schwer angesichts der dramatischen Bilder von Afrikanern, die die Zäune von Melilla stürmen. Wo erkennen Sie Lichtblicke?
Robert Kappel. Foto: Werner Bartsch
Wir sehen im letzten Jahrzehnt in Afrika im Durchschnitt ein relativ gutes Wirtschaftswachstum. Aber das Bild ist gemischt. Die eine Hälfte der Länder hat sehr gute Zahlen, die andere hat Probleme mit nur drei bis vier Prozent. Positiv ist, dass sich die Weltgemeinschaft und die internationalen Investoren wieder für Afrika interessieren. Das war viele Jahrzehnte überhaupt nicht der Fall. Afrika wird wiederentdeckt. Das ist ein positives Zeichen, da stimme ich der Kanzlerin zu. Aber es gibt noch riesige Probleme. Die Zahl der Armen ist auf 350 Millionen gestiegen. Setzt man die Zwei-Dollar-am-Tag-Grenze an, sind 70 Prozent der Bevölkerung arm. Das ist nicht die ganze Misere. Es gibt Mängel in der Infrastruktur, der Bildung, Millionen sind auf der Flucht vor Krisen, seien sie politischer Natur oder bedingt durch Umweltzerstörung. Man darf sich keine Illusionen machen. Afrika hat einen langen Weg vor sich.
Das Ausland investiert wieder. Aber haben die Chinesen die Europäer nicht längst abgehängt?
Bei dem seit Jahrzehnten angewachsenen Grundstock an Investitionen steht Frankreich mit 18 Prozent auf Platz eins, gefolgt von Großbritannien, dann den USA und Deutschland auf gleicher Höhe. China hat in den letzten fünf Jahren aufgeholt, drängt massiv nach Afrika und ist wichtigster Geldgeber bei den neuen Zuflüssen an Investitionen. Die Chinesen gehen in den Rohstoffbereich, investieren in die Metallverarbeitung, den Tourismus, die Nahrungsmittel- und Konsumgüterproduktion sowie den Dienstleistungssektor. Die Chinesen haben die Zeichen der Zeit früher erkannt, sie sind uns einen Schritt voraus. Die gegenwärtige Diskussion in Europa zeigt, dass man das auch begreift.
Sie plädieren für eine neue Industrialisierung des Kontinents. Warum ist sie wichtig?
Afrika muss heraus aus der Rohstoff-Falle. Auch da machen die Chinesen uns etwas vor. Sie haben in sieben Ländern Afrikas Industriezonen gegründet mit Hunderten von Firmen. Dort werden Fertigwaren hergestellt. Darin zeigt sich ein neuer Trend, der stark von der African Development Bank und der Weltbank betont wird. Afrika hat Chancen in der Globalisierung, wenn es gelingt, in die Wertschöpfungskette der internationalen Konzerne zu kommen. Ein Beispiel ist die Lederindustrie in Äthiopien. Die kam lange Zeit nicht voran, weil die Äthiopier es mit eigenem Kapital probierten. Nachdem sie chinesische und türkische Investoren geholt hatten, sind Firmen mit Hunderten von Arbeitern entstanden, die bis zu 3000 Schuhe am Tag produzieren. Die alten staatlichen Industriezonen der 60er Jahre sind gescheitert. Das gängige Modell ist jetzt, dass sich internationale Unternehmen in Afrika ansiedeln und von dort die Welt bedienen. Das sehen wir in Äthiopien, Südafrika, Mauritius, Sambia, Kenia und anderen Staaten.
Der EU-Gipfel hat die Gleichberechtigung Europas und Afrikas beschworen. Glauben Sie daran?
Europa und die EU sind so mächtig, die EU ist der größte Wirtschaftsraum der Welt, sie hat ganz starke Institutionen im Vergleich zu Afrika. Es gibt ja auch beim AKP-Abkommen gemeinsame europäisch-afrikanische Institutionen. Aber das Verhältnis ist niemals auf Augenhöhe. Selbst in den postkolonialen Zeiten war Europa eher dominant, Afrika der Juniorpartner. Man sollte versuchen, gleichberechtigt zu verhandeln. Das setzt aber auch eine Änderung in der Mentalität in den afrikanischen Ländern voraus, da bedarf es mehr Selbstbewusstseins und eines Vertrauens in die eigenen Kräfte. Afrika sollte mit einer Stimme sprechen, was bei der Vielfalt von 55 Ländern schwieriger ist als bei 28-EU-Mitgliedern.