Bahnchef Rüdiger Grube wirbt für den "besten Bahnhof der Welt" - und warnt vor den Folgen eines Ausstiegs aus dem Milliardenprojekt.

Stuttgart - Zwei Stunden lang stellt sich Rüdiger Grube, der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung allen Fragen rund um Stuttgart 21 und trifft dabei ebenso klare wie in einigen Punkten überraschende Aussagen. Sein Motto in der Debatte um die Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart: "Hart in der Sache, aber fair im Umgang."

 

Herr Grube, machen Sie am 27. November auch Ihr Kreuz bei der Volksabstimmung?

Natürlich, per Brief. An einer Veranstaltung, bei der gefeiert wird, werde ich aber sicher nicht teilnehmen. Mir ist sehr daran gelegen, dass wir uns hart in der Sache, aber fair im Umgang einbringen.

Wie sehen Sie denn die Volksabstimmung?

Ich sehe in der Volksabstimmung die große Chance, einen Schlussstrich im Streit um Stuttgart21 ziehen zu können. Ich bin grundsätzlich ein großer Befürworter der Idee, die Bevölkerung stärker zu beteiligen. Man muss aber im konkreten Fall deutlich machen, dass nicht für oder gegen den Tiefbahnhof abgestimmt wird, sondern ob der Finanzierungsvertrag vom Land gekündigt werden soll. Danach muss die Landesregierung Farbe bekennen: Will sie 1,5Milliarden Euro an Ausstiegskosten bezahlen, um nichts zu haben? Oder will sie für etwas mehr als die Hälfte der Kosten, nämlich für 930 Millionen Euro, den weltweit modernsten Bahnhof erhalten? Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Baden-Württemberger richtig entscheiden, denn 60 Prozent der Stuttgarter und 53 Prozent der Baden-Württemberger sind für Stuttgart 21.

Müssen Sie nicht fürchten, dass die Gegner viel eher zur Abstimmung gehen?

Leider ist es so, dass es leichter ist, gegen etwas zu sein, als Verantwortung zu übernehmen. Es gilt deshalb immer wieder deutlich zu machen, dass von elf Millionen Einwohnern im Land gut acht Millionen Menschen - also 75 Prozent - von Stuttgart 21 profitieren. Es geht aber auch um den Standort Deutschland: Ich bin kürzlich vom Emir von Katar konkret gefragt worden, ob es hier noch Planungs- und Investitionssicherheit gebe - wegen des Streits um Stuttgart 21. Und ein chinesischer Unternehmer hat mir gesagt, er habe wegen Stuttgart 21 vorerst von einer Investition in Deutschland Abstand genommen. Und wir sollten aufhören, eine Verschwörungstheorie nach der anderen zu erzählen.

Pardon, welche Verschwörungstheorien?

Denken Sie an die unzähligen Behauptungen, durch Stuttgart 21 würden die Mineralquellen beschädigt werden. Der grüne Umweltminister Franz Untersteller hat jetzt selbst erklärt, dass die Mineralwasserquellen nicht betroffen sind. Oder nehmen Sie die Behauptung, dass Stuttgart 21 zu Lasten von anderen Projekten gebaut wird. Das stimmt einfach nicht. Wir wollen gemeinsam mit dem Bund sowohl die Gäubahn als auch die Rheintalbahn und die Südbahn realisieren. Das Engagement des Landes für Stuttgart21 entspricht gerade einmal 0,35 Prozent des baden-württembergischen Haushalts. Übrigens, viel weniger, als das Land in einem Jahr in den Länderfinanzausgleich einzahlt.

Seite 2: "Im Vorfeld der Abstimmung nicht eskalieren"

Nehmen wir an, es gibt eine Mehrheit gegen den Ausstieg aus dem Finanzierungsvertrag. Wie geht es dann weiter?

Dann werden wir mit den Arbeiten am Südflügel beginnen, den wir bewusst bisher nicht angepackt haben, weil wir im Vorfeld der Volksabstimmung nicht eskalieren wollten. Das Grundwassermanagement wird fortgesetzt, wir werden das Technikgebäude bauen und das Baufeld vorbereiten, so dass wir Mitte nächsten Jahres mit den großen Baumaßnahmen beginnen können.

Was glauben Sie, wie sich das Verhältnis zur Landesregierung entwickeln würde?

So ein Projekt kann man nicht ohne Unterstützung des Landes realisieren. Und ich bin zuversichtlich, dass wir dann eine gute Form der Zusammenarbeit finden. Herr Kretschmann hat kein Interesse, bei einem positiven Votum den Streit fortzuführen. Das hat er so auch schon klar zugesagt.

Was passiert, wenn eine Mehrheit für den Ausstieg votiert, das verfassungsrechtlich notwendige Quorum von 33 Prozent aller stimmberechtigten Bürger im Land aber verfehlt wird?

Gerade dann gilt das Wort des Ministerpräsidenten, dass der Vertrag nicht gekündigt und Stuttgart21 realisiert wird. Denn er hat klar gesagt, wenn das Quorum nicht erreicht wird, gilt die Verfassung. Klarer konnte er es nicht formulieren.

Rechnen Sie auch dann mit einer befriedenden Wirkung?

Es kommt letztlich auf die Landesregierung an. Wenn der Landesvater sagt, in diesem Falle werde Stuttgart 21 umgesetzt, dann wirkt das sicherlich deeskalierend.

Und was passiert, wenn das Quorum erreicht werden sollte?

Dann ist die Landesregierung am Zug. Denn es wird ja nicht für oder gegen den Bau von Stuttgart 21 entschieden. Es wäre dann nur geklärt, dass die Landesregierung mit der Bahn als Bauherrin und den anderen Partnern von Bund, Stadt und Region Stuttgart Verhandlungen aufnimmt mit dem Ziel, die Verträge zu kündigen. Dafür müsste der Lenkungskreis einberufen werden und dort müsste das Land den Baustopp beantragen. Wir als Bahn würden dann Schadensersatz fordern.

Die Pro-S-21-Kampagne stellt Ausstiegskosten von 1,5 Milliarden Euro in den Mittelpunkt - dreimal mehr als die Gegner vorrechnen. Wie kommen Sie auf den Betrag?

Umgekehrt wäre die Frage besser gestellt, wie kommen die Gegner auf ein Drittel der Kosten? Wir hatten bisher nur Ausgaben und Belastungen, die wir zurückfordern müssten, um uns schadlos zu halten. Das sind summa summarum mindestens 1,5Milliarden Euro.

Seite 3: "Neubaustrecke wird es ohne Stuttgart 21 nicht geben"

Warum sind in diesem Betrag die Planungskosten für die Neubaustrecke enthalten?

Weil es eine Neubautrasse Ulm-Wendlingen ohne Stuttgart 21 definitiv nicht geben wird. Für die alternative Anbindung gibt es weder eine Planfeststellung noch einen Finanzierungsvertrag. Es gäbe auch keinen Bauherrn, der die Strecke ohne Stuttgart 21 realisieren würde. Es ist eine Mär, der Bevölkerung etwas anderes zu erzählen.

Der Bund sieht für diesen Streckenabschnitt immerhin einen vordringlichen Bedarf.

Die beiden Projekte muss man zwingend als eine Einheit betrachten. Die Neubaustrecke würde bei Wendlingen im Acker ohne Anschluss an den Bahnhof enden. Weder Bund noch Bahn werden dieses Projekt ohne Stuttgart 21 realisieren, übrigens die Stadt Stuttgart und die Region auch nicht.

Neben den Ausstiegskosten wird derzeit auch über Zusatzkosten geredet, etwa für das zweite Gleis am Flughafen oder für herkömmliche Signaltechnik. Diesen Betrag wollen sie nicht allein tragen. Warum nicht?

Wir reden hier über rund 80 Millionen Euro, die deshalb von allen Partnern finanziert werden müssten, weil alle zugesagt haben, die Ergebnisse der Schlichtung zu akzeptieren. Wir waren uns im Übrigen mit der alten Landesregierung einig, die Kosten von 25 bis 35 Millionen Euro für das zweite Gleis am Flughafen zu teilen. Mit der SPD bin ich mir einig, dass diese Kosten nicht heute anfallen. Deshalb sollten wir versuchen, das Geld aus dem Risikofonds zu entnehmen. Würde die Kostengrenze von 4,526 Milliarden Euro am Ende jedoch überschritten, müssten wir einen anderen Weg finden. Das heißt konkret: die Partner müssten sich die Kosten teilen. Diese Klärung sollten wir zeitnah mit dem Abschluss einer Finanzierungsvereinbarung herbeiführen. Das wäre auch ein wichtiges Stück Transparenz.

Liegen eigentlich alle Details hinsichtlich der Kosten und Risiken auf dem Tisch?

Ja. Ich sage eines auch ganz deutlich: Wenn ich vor der Volksabstimmung etwas erfahren sollte, das die Bevölkerung heute noch nicht weiß, werde ich das mitteilen. Ich stehe für Transparenz und Glaubwürdigkeit.

Dann findet die abgebrochene Lenkungskreissitzung, in der es um ungeklärte Kosten ging, doch ihre Fortsetzung?

Nein, dafür gibt es keine Notwendigkeit. Derzeit tagen - wie in der Lenkungskreissitzung mit allen vereinbart - die Arbeitsgruppen. Wir haben inzwischen 25 Prozent der Aufträge vergeben und wir liegen momentan im Budgetansatz. So viel zum Vorwurf der Gegner, wir würden die Kosten überziehen. Wir werden in absehbarer Zeit 50 Prozent aller Vergaben vornehmen, die 90 Prozent der kostensensiblen Tunnelbaumaßnahmen betreffen. Dann ist eine Sitzung des Lenkungskreises wieder sinnvoll, nicht aber vorher.

Seite 4: "Wir haben bereits einen Finanzierungsvertrag"

Die Bahn behauptet, ihre Kostenannahmen seien auch deshalb verlässlich, weil mit Baufirmen Festpreise vereinbart würden. Wären Sie bereit, dies auch dem Land anzubieten?

Wir haben mit dem Land bereits einen Finanzierungsvertrag. Und es gibt keinen Grund, diesen nachträglich zu ändern.

Es ist normal, dass über einen so langen Zeitraum Zweifel an der Kostenkalkulation aufkommen. Müssen sich die Projektträger nicht Gedanken darüber machen, wie sie sicher stellen können, im Rahmen zu bleiben?

Diese Gedanken machen wir uns täglich bei jedem Projekt, nicht nur bei S21. Es gibt kein Unternehmen, das mehr Infrastrukturprojekte in Deutschland verantwortet als die Bahn. Wir hatten Projekte, bei denen wir die Kosten überschritten haben; es gibt aber auch viele, die im Rahmen bleiben. Nur über die redet man nicht. Ich habe übrigens nie behauptet, dass wir bei Stuttgart21 am Ende der Bauzeit mit den auf Basis der Entwurfsplanung ermittelten 4,088 Milliarden Euro exakt auskommen werden. Das kann kein Mensch zehn Jahre vorher seriös voraussagen, beispielsweise wegen der Preisgleitklausel beim Stahl. Deshalb haben wir ja den Risikopuffer.

Es ist Konsens, dass Planungsprozesse beschleunigt werden müssen. Für den Filderabschnitt wird das noch nicht greifen, da sind sie mindestens zwei Jahre in Verzug. Geben Sie heute zu, dass Stuttgart 21 nicht wie geplant Ende 2019 fertig sein wird?

Ich sehe dafür keinen Anlass. Wenn es aber zu Verzögerungen kommen sollte, dann nicht, weil Bescheide fehlen, sondern weil uns die Projektgegner jeden Tag Stöcke in die Speichen stecken und am Baufortschritt hindern.

Nicht die Gegner des Projekts verweigern die Freigabe der Stuttgart-21-Planung auf den Fildern, sondern das Eisenbahnbundesamt.

Aber nicht weil es Bedenken hätte, sondern weil es keine Kapazität hat. Diese Behörde hat rund 1250 Mitarbeiter, leider waren davon für S21 bisher nur zwei abgestellt. Das EBA hat sein Team kürzlich erfreulicherweise verstärkt. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass wir für die Planung auf den Fildern keine Zustimmung erhalten.

Um wie viel sind Sie hinter dem Zeitplan?

Wir haben uns, unter anderem wegen der Schlichtung, ein Jahr mit Themen beschäftigt, die nicht vorgesehen waren. Das müssen wir aufholen. Wenn sich herausstellen sollte, dass der Termin Ende 2019 nicht einzuhalten ist, werden wir das frühzeitig sagen. Wir haben nichts zu verbergen.

Seite 5: Rüdiger Grube im Kurzporträt

Manager: Im April 2009 haben Bahn und Bund, Land, Stadt Stuttgart und Region die Finanzierungsverträge zu Stuttgart21 unterschrieben – kurz bevor Rüdiger Grube am 1. Mai neuer Vorsitzender der Deutschen Bahn AG wurde. Grube, der den umstrittenen Hartmut Mehdorn ablöste, hatte zuvor als Top-Manager etliche Stationen durchlaufen. Unter anderem war er bei Airbus und der Daimler AG in verantwortlicher Position, dort zuletzt auch im Vorstand.

Biografie: Grube wurde am 2. August 1951 in Hamburg geboren. Nach einer gewerblich-technischen Ausbildung im Metallflugzeugbau studierte er an der Fachhochschule Hamburg die Fachrichtung Fahrzeugbau und Flugzeugtechnik mit dem Abschluss Diplom-Ingenieur. Anschließend folgte ein Studium in Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der Uni Hamburg. Rüdiger Grube ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt im Großraum Stuttgart.