Sie haben vor einer Woche ein „Solidaritätsprojekt“ für die einheimische deutsche Bevölkerung gefordert. Sie begründeten dies mit dem Argument, der Satz „Für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts“ dürfe sich nicht in der Gesellschaft festfressen. Bedauern Sie inzwischen, das Thema so intoniert zu haben?
Warum sollte ich das?
Weil Sie damit diesen Satz, den Sie selbst für „supergefährlich“ erklären, womöglich selbst salonfähig gemacht haben. Die Rechtspopulisten werden sich künftig auf Sie berufen . . .
Umgekehrt wird doch ein Schuh daraus: Wenn die demokratischen Politiker die Sorgen und Ängste in der Bevölkerung nicht aufnehmen, dann werden sich am Ende die Rechtspopulisten zum Sprachrohr aufschwingen. Dieser Unfug, wir würden mit der Artikulation dessen, was wir täglich auf der Straße hören, die Rechtspopulisten stärken, ist das dumme Gerede von Leuten, die mit den Menschen nicht sprechen. Es gibt eine doppelte Aufgabe der Integration, das sage ich seit Monaten. Wir müssen diejenigen integrieren, die kommen, aber eben auch unsere Gesellschaft beieinanderhalten. Viele finden es richtig zu helfen, haben aber zunehmend den Eindruck, dass in diesem Land nur noch über Flüchtlingsthemen geredet wird. Die dürfen nicht den Eindruck gewinnen: uns hört ihr nicht mehr zu.
Aber Sie sagen doch selbst, dass das eine Stimmung ist, die mit der Realität nicht unbedingt etwas zu tun hat.
Wir dürfen aber doch nicht so lange warten, bis es überall Realität ist! Wenn es erst so weit ist, dass Bürgermeister sagen: wir können Angebote für unsere Bürger nicht aufrechterhalten, weil wir das Geld für die Flüchtlinge brauchen, dann ist es doch zu spät. Deshalb fordert Nils Schmid doch zu Recht, die Städte und Gemeinden mit der Flüchtlingsintegration nicht alleinezulassen. Die Menschen haben doch wenig Verständnis dafür, wenn wir für die Bankenrettung oder Griechenland Milliardenbeträge aus dem Hut zaubern, aber ihnen sagen, dass für die Sanierung der Schule um die Ecke kein Geld da ist. Und wer nach 40 Jahren Arbeit als Geringverdiener mit einer Rente unterhalb des Sozialhilfeniveaus abgespeist wird, der empfindet das zu Recht als ungerecht und der wird sehr genau beobachten, wie viel Geld für Flüchtlinge ausgegeben wird. Wir haben mindestens 1,5 Millionen arme Kinder, auch deshalb, weil Alleinerziehende oft keine Betreuungsplätze und deshalb keine Arbeit finden. Sollen wir denen sagen „Tut uns leid, kein Geld mehr da.“? Deutschland braucht ein soziales Investitions- und Modernisierungsprogramm. Das muss die Aufgaben der Flüchtlingsintegration umfassen, aber auch manches, was in unserem Land außerdem noch erledigt werden muss. Die Politik muss zeigen: wir sind für alle da.
Finanzminister Schäuble nannte Ihren Vorstoß „erbarmungswürdig“. Ist das ein angemessener Tonfall unter Koalitionären?
Leider ist das der Tonfall, in dem Herr Schäuble ganz Europa gegen uns Deutsche aufgebracht hat. Das rächt sich übrigens gerade in der Flüchtlingspolitik.
Tat Ihnen möglicherweise der Rat von Frau Merkel mehr weh, die SPD solle sich nicht so klein machen. Sie hätten doch in der gemeinsamen Regierung viele soziale Wohltaten durchgesetzt?
Es geht nicht um Wohltaten. Der Mindestlohn ist keine Wohltat. Oder wenn man nach 45 Jahren Arbeit ohne Abschläge in Rente gehen kann, ist das keine Wohltat, sondern der Lohn für eine große Lebensleistung. Dass die Union so ausfällig wird wie Herr Schäuble oder so pikiert reagiert wie Frau Merkel, das zeigt: sie ahnen, dass es einen wachsenden Verdruss in der Mitte der Gesellschaft gibt, weil sich die Menschen von der Politik nicht mehr wahrgenommen fühlen.
Die CDU möchte gern im Wahljahr 2017 einen Haushaltsüberschuss präsentieren.
Ich habe nichts dagegen. Aber das darf nicht auf dem Weg passieren, dass den Deutschen wieder mal verschwiegen wird, was das alles kostet. Das hat die Union schon mal bei der deutschen Einheit getan. Damals hat sie auch so getan, als könne man das alles aus der Portokasse bezahlen. Und nach der Wahl kam die dicke Rechnung in Form von rasant steigender Staatsverschuldung und Steuererhöhungen. Ich finde, dass wir den Menschen die Wahrheit sagen müssen. Und die heißt: Integration kostet Geld. Und innere Sicherheit und sozialer Zusammenhalt auch. Denn gute Bildung gibt es nur mit mehr Lehrern und weniger Kriminalität nur mit mehr Polizisten. Und soziale Sicherheit nur mit anständigen Löhnen und einer fairen Rente.
Sie sind also skeptisch, die Kosten der Flüchtlingsaufnahme und der Integration aus Haushaltsüberschüssen zu bezahlen?
Wenn wir es können, wunderbar. Wir werden jedenfalls nicht akzeptieren, dass Herr Schäuble sich in Haushaltsüberschüssen sonnt und die schwarze Null feiert, wenn das bedeutet, dass nach den Wahlen wieder die Rechnung kommt.