Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker eröffnen morgen die Osterfestspiele in Baden-Baden mit Puccini. Der Dirigent über die Akustik im Festspielhaus, den Sound der Berliner und seine Opernerfahrungen.

Baden-Baden – - Nach dem Wechsel von Salzburg vor einem Jahr scheinen Simon Rattle und sein Orchester im Badischen angekommen zu sein. Neben Puccinis „Manon Lescaut“ steht Bachs Johannespassion auf dem Programm.
Sir Simon, was lässt sich in Baden-Baden gestalten, das in all den Jahren in Salzburg nicht möglich gewesen ist?
Das hat viel mit der Atmosphäre in Baden-Baden zu tun, das ist ein Ort, der sich uns öffnet und bittet: Spielt für uns! Wir sind hier sehr willkommen, und man erlaubt uns, all das, was wir machen wollen, aufzuführen, sei es Kammermusik oder Oper. Salzburg ist wunderbar, aber speziell. Wir haben viel Zeit investiert, uns da zu behaupten. Aber die Strukturen dort stammen aus einer anderen Zeit. Das gleicht den Gebäuden aus den Sechzigern in London, die man nicht abreißen darf, denn wenn man an sie rührt, explodieren sie. Man war in Salzburg sehr von dem Subskriptionsprinzip abhängig, das Publikum musste drei Konzerte abnehmen, um eine Opernaufführung zu sehen. Hier sind wir viel flexibler, wir können drei oder vier Opernvorstellungen geben, das ist wunderbar.
Wie unterscheidet sich die Akustik der Häuser in Baden-Baden und Salzburg?
Keine Frage, in Baden-Baden ist es bei Opern einfacher, der Salzburger Orchestergraben ist berühmt-berüchtigt, jeder Dirigent hat mit dessen Schwierigkeiten zu kämpfen. Irgendwann bei der Arbeit findet man heraus, wie etwas am besten klingt. Dann hat man in Salzburg die Breitwandbühne, die auch ihre Probleme mit sich bringt. Bei Konzerten ist das Haus hier trockener als das Festspielhaus in Salzburg.
Sie führen jetzt Bachs Johannespassion in Peters Sellars’ szenischer Einrichtung auf . . .
Peter ist so musikalisch, es ist beinahe so, als habe man einen zweiten Dirigenten neben sich. Wie überhaupt die Solisten, die sich sehr gut kennen, auch in gewisser Weise Dirigenten sind, etwa Mark Padmore als Evangelist. Von wem die musikalischen Ideen kommen, spielt keine Rolle.
Offen gesagt, mich hat bei der Aufführung in Berlin die Pause in der Konzentration stark beeinträchtigt, der zweite Teil fiel ab. Geht es nicht auch ohne Pause mit Champagner, Häppchen und Smalltalk?
Der Einwand ist berechtigt, und wir haben das lange diskutiert, denn tatsächlich könnte man auf eine Pause verzichten. Ich habe Peter Sellars gefragt, ob das ginge. Er antwortete, wenn du mir einen zweiten Sänger für die Rolle des Pilatus gibst, ja. Da aber Christian Gerhaher Petrus und Pilatus darstellt und singt, braucht er Zeit, um jemand anderes zu werden. Übrigens können wir davon ausgehen, dass zu Bachs Zeiten zwischen den Teilen die Predigt stand. Die Pause hat aus künstlerischer Sicht einen Vorteil: Wenn das Publikum zurückkommt, sieht es Pilatus, der über sein Verhältnis zu Jesus nachdenkt, still auf dem Stuhl sitzen.
Sind Sie im Moment der Aufführung in der Lage, Ihre Gefühle im Griff zu behalten – bei diesem Stoff, dieser Musik?
Die Proben helfen sicherlich. Ich erinnere mich gut, als wir 2010 mit Peter Sellars die Matthäuspassion in Berlin herausbrachten. Bei der ersten Aufführung weinten viele Orchestermusiker beim Schlusschor „Wir setzen uns mit Tränen nieder“. Ich glaube, von allen Komponisten hat Bach den direktesten Zugang zu den Tränen der Menschen. Und wenn Peter so etwas umsetzt, dann kann man sicher sein, dass er alle Emotionen herausholt, die möglich sind.