Stihl-Chef Bertram Kandziora sieht sein Unternehmen trotz hoher Kosten in Deutschland fest verankert. Doch die im Bundestagswahlkampf präsentierten Versprechungen und Steuerpläne aller Parteien machen ihm Sorgen.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)
Stuttgart – - Stihl ist ein bodenständiges Familienunternehmen. Doch gerade das hat die Waiblinger zum weltweit führenden Hersteller von Motorsägen gemacht. Jetzt soll der asiatische Markt noch stärker ins Visier genommen werden.
Herr Kandziora, Stihl stellt nicht nur Sägen her, sondern fördert auch Timbersports, einen Wettbewerb für Waldarbeiter. Im Oktober gibt es unter der Federführung von Stihl sogar eine Weltmeisterschaft in Stuttgart. Was versprechen Sie sich davon?
Timbersports hat eine lange Tradition. Schon um 1890 gab es in Australien die ersten Wettbewerbe im Sportholzfällen. Wir selbst sind auch schon länger aktiv, in den USA seit 1985 und in Europa seit 2001. Wir organisieren Landesmeisterschaften und natürlich die Weltmeisterschaft, und wir sponsern sie auch. Diese Sportart passt zu unseren Geräten, die für Kraft, Präzision und Zuverlässigkeit stehen.
Was kostet Stihl das Engagement?
Es handelt sich um einen Millionenbetrag. Aber das ist natürlich nur ein ergänzendes Marketinginstrument.
Wollen Sie etwas für Ihren Ruf tun? Manche bringen Stihl mit dem Abholzen des Regenwaldes in Verbindung.
Darum geht es uns gar nicht. Mehr als 80 Prozent des Regenwalds gehen durch Brandrodung verloren. Dies wäre mit Motorsägen viel zu mühsam. Alles in allem sind wir über jeden Baum froh, der nicht abgeholzt wird. Ein Baum, der in öffentlichen oder privaten Anlagen steht, muss häufig in Form geschnitten und gepflegt werden. Ist ein Baum gefällt, ist es vorbei mit dem Schneiden. Dann braucht man keine Stihl-Säge mehr.
Stihl ist in mancherlei Hinsicht ein besonderes Unternehmen. Sie haben eine sehr hohe Eigenkapitalquote, brauchen keine Bankkredite für Investitionen und investieren an teuren Standorten wie Deutschland und der Schweiz. Weshalb?
Wir haben ein nachhaltiges Geschäftsmodell und schauen nicht auf kurzfristigen Erfolg. Wir nutzen die Standortvorteile unseres weltweiten Fertigungsverbundes, um günstige Marktpreise anbieten zu können, auf der Basis dazu passender Herstellkosten. So sind hohe Absatzmengen und ein ertragsstarkes Geschäft möglich.
Würde Stihl genauso dastehen, wenn die Firma kein Familienunternehmen wäre?
Nein. Es gibt einen Wettbewerber, der ebenfalls in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts gestartet ist. Unser Umsatz ist heute um ein Zigfaches höher als bei diesem Unternehmen.
Und die Investitionen?
Wir investieren seit Jahrzehnten weltweit in unseren Fertigungs- und Vertriebsverbund – in Deutschland und im Ausland. Zur Zeit bauen wir für mehr als 60 Millionen Euro in Waiblingen ein Entwicklungs- und ein Logistikzentrum – ein Bekenntnis zum Standort Deutschland. Diese Bauten können wir ohne Banken selbst finanzieren.
Sie haben doch erst 2004 ein neues Entwicklungszentrum in Waiblingen eingeweiht. Andere Firmen installieren Entwicklungen im Ausland. Warum nicht Stihl?
Andere Firmen stärken Forschung und Entwicklung rund um den Globus. Firmen wie etwa mein vorheriger Arbeitgeber, die BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH, sind weitaus größer, und ihre Produkte sind weltweit sehr unterschiedlich, so dass ausreichend große Entwicklungszentren machbar und sinnvoll sind. Eine Waschmaschine in Asien funktioniert beispielsweise völlig anders als in Europa. Motorsägen haben weltweit nur geringe Unterschiede. Unser Vorteil ist, dass wir in Deutschland Entwicklung und Fertigung eng verknüpfen können. Wir bekommen hier gut ausgebildete Ingenieure und Facharbeiter.
Sie widerlegen mit Ihrer Strategie die oft gehörte Klage, dass Deutschland viel zu teuer sei und dass es keine Fachkräfte gibt.
Ob man Fachkräfte bekommt, hängt vielfach von der Firma, dem Standort und von der Branche ab, in der man tätig ist. Zum einen haben wir traditionell eine starke Aus- und Weiterbildung. Zum anderen ist Stihl ein attraktiver Arbeitgeber mit vielen freiwilligen Sozialleistungen. Wir machen ein ausgeprägtes Hochschulmarketing, und viele potenzielle Stihl-Mitarbeiter binden wir schon über Praktika oder über Diplomarbeiten an uns.
Und einen Kostennachteil gibt es nicht?
Doch, natürlich. Der Fertigungsstandort Deutschland ist teuer. Daher können wir hier nur höherpreisige Profigeräte produzieren. Und auch die Entwicklungskosten sind höher als etwa in Tschechien. Aber Entwicklungskosten sind einmalige Aufwendungen, die sich durch besser entwickelte Produkte wieder bezahlt machen.
Gegenüber anderen Unternehmen fällt auf, dass Sie nur einen geringen Teil Ihres Umsatzes in Asien machen. Wie kommt das?
Asien hat sich in unserer Branche erst langsam entwickelt. Wir machen rund zehn Prozent des Umsatzes in Deutschland, weitere nicht ganz 40 Prozent im Rest von Europa. Nordamerika bringt 30 Prozent und Lateinamerika und Asien jeweils zehn Prozent. Asien ist in letzter Zeit aber deutlich gewachsen. In China gibt es praktisch keinen privaten Markt für unsere Produkte. Entweder haben die Chinesen kein Gartengrundstück, oder sie können es sich noch nicht leisten, mit unseren Produkten zu arbeiten. Aber der Markt wird sich weiterentwickeln, und als Produktionsstandort ist China für uns allemal interessant. Stihl beschäftigt in Deutschland über 4000 Mitarbeiter, in China haben wir mittlerweile schon rund 3000 Mitarbeiter.
Wenn Sie immer mehr an Hobbygärtner verkaufen wollen, werden Sie auch immer mehr im Ausland produzieren müssen, schon wegen der Kosten.
Das ist so. Aber auch heute schon liefern wir aus China preiswerte Geräte nach Europa. Alle unsere Produktionswerke auf der Welt liefern überall hin. In Deutschland werden die Profigeräte für die härtesten Anforderungen produziert, die USA produzieren sowohl das Mittelsegment als auch Einstiegsprodukte. Und besonders günstige Einstiegsprodukte kommen aus China. Alle Standorte liefern die gleiche Stihl-Qualität. Wir haben unseren Standort in China beim Aufbau 2006 nicht unbedingt gebraucht. Es war eine Art Vorsorgemaßnahme, die allen Märkten heute zugutekommt – auch Deutschland. Wir fahren keinen anderen Standort runter, weil China sich gut entwickelt, aber die größte Steigerung findet natürlich dort statt.
Spüren Sie die Schuldenkrise in Europa?
Ja. Das haben wir sofort gemerkt. Das hatte deutliche Auswirkungen. Wenn Staatshaushalte saniert werden müssen, werden beispielsweise Grünanlagen und Grünstreifen an Autobahnen nicht mehr so oft frei geschnitten. Und oft wird auch ein etwas preiswerteres Produkt gekauft. Das gilt für die öffentliche Hand, aber das gilt auch für Privatkunden.
Welche Rolle spielen Wechselkursentwicklungen für Standortentscheidungen? In der Vergangenheit haben Sie schon mal Produktion aus Brasilien hierher zurückgeholt.
Wir reagieren mit Blick auf die Produktion nicht kurzfristig. Als wir Produktion aus Brasilien zurückgeholt haben, war die Landeswährung Real sehr stark. Vor allem wollten wir aber in der Krise 2009 dem deutschen Standort helfen, um hier Beschäftigung zu sichern und Kurzarbeit zu vermeiden. Im Vertrieb müssen wir viel schneller reagieren. Wenn etwa der Rubel oder der ungarische Forint plötzlich sehr schwach werden, müssten unsere Vertriebspartner oder -gesellschaften teuer einkaufen und die Marktpreise erhöhen. Wenn wir aber nicht Marktanteile verlieren wollen, können wir beispielsweise die Abgabepreise an unsere Vertriebsgesellschaften und Importeure anpassen, so dass Preiserhöhungen im Markt vermieden werden können.
Sie haben seit einem Jahr einen neuen Aufsichtsrats- und Beiratsvorsitzenden, Nikolas Stihl. Was hat sich seitdem geändert?
Die Familie Stihl setzt auf Kontinuität. Hans Peter Stihl hat sich auf das Amt des Ehrenvorsitzenden zurückgezogen. Von Nikolas Stihl kommen neue Ansätze in Richtung Mitarbeiterführung und Märkte. Und wir diskutieren beispielsweise über die Vertriebsstruktur. Wir wollen nicht nur über die Produkte wachsen, sondern auch durch neue Vertriebsgesellschaften.
Hans Peter Stihl hat vor einem Jahr darauf hingewiesen, dass ein Unternehmen wie Stihl schnell seine Standorte verändern könne, wenn die politischen Rahmenbedingungen nicht mehr stimmten. Das war auch eine Kritik an der grün-roten Landesregierung.
Es wäre natürlich problematisch, wenn Stuttgart zur verkehrsberuhigten Zone erklärt werden soll oder wenn die Infrastruktur nicht so vorankommt, wie wir dies brauchen. Und auch die hohen Steuern auf den Strom gefallen mir nicht. Das sind alles Dinge, die den Standort schwächen. Ähnliches gilt für die Diskussion um einen höheren Spitzensteuersatz, eine Vermögensabgabe oder eine höhere Erbschaftsteuer. Bei vielen Firmen könnte es eng werden, dort drohen sogar Insolvenzen. Schon in den vergangenen beiden Jahren haben wir noch nie so viel mit Insolvenzen oder Insolvenzgefahr bei Lieferanten zu tun gehabt. Die Eigenkapitaldecke vieler Unternehmen ist einfach zu dünn. Und wenn ein Unternehmen hier schwach ist, ist eher eine Steuerentlastung notwendig. Aber viel kritischer als die kurzfristige Reaktion einzelner Unternehmen ist die langfristige Wirkung. Die Wirtschaft muss sich permanent erneuern, und bei falschen Rahmenbedingungen werden neue Geschäftsaktivitäten einfach nicht mehr in Deutschland platziert. Da verhandelt und droht niemand, das passiert dann eben einfach.
Wie sehen Sie den Bundestagswahlkampf?
Kurz vor der Wahl haben die Parteien fantastische Ideen. Die einen wollen Steuern erhöhen, die anderen versprechen Wohltaten ohne Ende, und dritte wollen beides. Würde das kommen, was die Parteien heute ankündigen, wäre das fatal. Bei den Unternehmen, die heute schon an der Grenze arbeiten, könnte es zu Insolvenzen kommen. Und diejenigen, die noch ganz gut dastehen, hätten weniger Geld für Investitionen in die Zukunft. Mittel- und langfristig birgt das die Gefahr, dass Unternehmen andere Länder als Standort wählen. Wir sind in vielen Regionen der Welt bestens aufgestellt und könnten uns überlegen, anderswo mehr zu unternehmen. Es kommt in den nächsten Jahren darauf an, die Unternehmen durch Steuervereinfachungen zu entlasten. Der Staat muss jetzt endlich sparen!
Kommen Sie mit der Haltung der IG Metall besser zurecht als mit den politischen Vorstellungen der Parteien? Sie haben ja auch IG-Metall-Mitglieder im Betriebsrat.
Was in der Krisensituation 2009 mit den Gewerkschaften möglich war, kann man nur loben. Da wurde mit Augenmaß gehandelt. Dass es immer grundsätzliche Differenzen gibt, liegt in der Natur der Sache. Aber wir kommen mit unserem Betriebsrat sehr gut aus. Und wir haben ein vernünftiges Gesprächsklima mit der IG Metall. Bei Stihl sitzen im Aufsichtsrat auch Vertreter der Gewerkschaft. Wir sind natürlich nicht immer einer Meinung, aber wir bemühen uns immer um vernünftige Kompromisse.