Zehn Jahre nach dem einmaligen Vierfachsieg spricht der Ex-Skispringer Sven Hannawald über Erfolg, Krankheit und das Rennfahren.  

München - Sven Hannawald (37) hat mit seinem Erfolg bei der Tournee 2001/2002 Sportgeschichte geschrieben. Doch der frühere Skispringer musste auch Tiefschläge verkraften. Im Motorsport hat er nun seine neue Leidenschaft gefunden.

 

Herr Hannawald, die Organisatoren der Vierschanzentournee haben zum 60. Jubiläum eine Million Schweizer Franken für den Athleten ausgelobt, der alle vier Springen gewinnt. Ist Ihr einmaliger Vierfachsieg nun noch mehr in Gefahr?

Seitdem ich es geschafft hatte, habe ich immer nach dem ersten Springen gedacht: Derjenige, der hier gewonnen hat, wird bestimmt bei allen vier gewinnen. Es war immer eine seltsame Zeit bis zu dem Springen, bei dem der zweite Tagessieger feststand. Erst danach kann ich den Rest der Tournee wieder genießen. Ich hoffe nach wie vor, dass ich der Einzige bleibe. Das ist ja logisch. Aber die Schanzen sind mittlerweile ähnlicher, die unterschiedlichen Bedingungen werden in der Wertung herausgerechnet. Damals gab es keine Windregel und keine Windnetze, es ist jetzt wahrscheinlich sogar einfacher, viermal zu siegen.

Ihr Vierfachsieg ist zehn Jahre her. Was bedeutet er für Sie?

Das ist mein Erfolg. Der Erfolg, der mich prägt, der mich auszeichnet und der mich bekannt gemacht hat. Davon lebe ich heute noch. Dementsprechend weiß ich das einzuschätzen. Es gab viele Weltmeister, viele Olympiasieger. Aber wenn du nicht ein Seriensieger bist, wirst du irgendwann nur einer von vielen sein. Ich habe seit sechs Jahren aufgehört, aber noch fällt mein Name. Nicht oft, aber er fällt. Und eines wird mir niemand nehmen können: dass ich der Erste war.

Historisches vollbracht

Nervt es Sie, dass Sie nur auf diesen Erfolg reduziert werden?

Nein. Denn die Tournee hat bei uns bisher die größten Geschichten geschrieben. Und dass es bisher nur einem gelungen ist, alle vier Springen zu gewinnen, ist eben noch mal etwas Besonderes. Die Tournee ist im Skispringen einfach das Größte, noch vor Olympia, vor Weltmeisterschaften. Sie wird von einem ganz speziellen Hype umgeben.

Wann war Ihnen damals bewusst, dass Historisches möglich ist?

Erst nach Innsbruck bin ich darauf gekommen: was machst du hier eigentlich? Denn das war der erste Wettkampf, den ich so richtig souverän gewonnen hatte. Wo wirklich keiner rankam. Da dachte ich: irgendetwas passiert gerade, das ziemlich groß wird.

Wie haben Sie den Druck wahrgenommen?

Ich musste mich natürlich auch all den komischen Fragen stellen. Und das ist dann auch die Arbeit, weil du dir natürlich irgendwann im Kopf ausmalst, wie du dich feiern lässt. Da ist es so schwierig, sich wieder zu konzentrieren. Denn jeder will irgendetwas von dir. Erst dann sieht man, wie viele Medien bei der Tournee überhaupt akkreditiert sind, weil sie dir alle hinterherrennen. Bei jedem Schritt. Das ist die pure Belastung. Denn eigentlich willst du nur in Ruhe deine Sachen machen, springen und es genießen. Aber das ist wie eine Karawane, die du mitziehst. Das ist so zäh.

"Erst Jahre später realisiert."

Haben Sie nach Ihrem Erfolg in Bischofshofen realisiert, was Ihnen da gelungen ist?

Irgendwie war ich mir nach dem letzten Sprung nur sicher, dass ich gewonnen habe. Da ging es mir gar nicht um die vier Siege, sondern um die Tournee. Obwohl das vor dem letzten Springen ja mit meiner bombastischen Form eigentlich von vornherein klar war. Ich war einfach nur froh, dass es rum war - und dass ich gewonnen hatte. Was ich da gewonnen hatte, habe ich erst Jahre später realisiert.

Welche negativen Erfahrungen haben Sie nach Ihrem Erfolg gemacht?

Der Nachteil ist natürlich, dass man wirklich fast keinen Abstand mehr vom Sport bekommt. Man wird immer wieder überall mit dem Skispringen konfrontiert. Dabei möchte man ja auch mal seine Ruhe. Man muss dann erst mal ein Gefühl dafür entwickeln: welche Sachen mache ich und welche lasse ich. Das ist natürlich auch heute für mich noch schwierig. Aber ich habe mir da einen gewissen Selbstschutz aufgebaut.

Wie ist es, wenn die Medien auf einmal alles interessiert, was Sie tun?

Ich habe immer versucht, Privates kleinzuhalten. Man muss die Klatschpresse richtig behandeln können. Und das ist ein ganz schmaler Grat. Man darf sich einfach nicht wichtig fühlen. Obwohl ich durch meinen Sieg gemerkt habe: die Tournee hat so einen extremen Stellenwert, besonders in Deutschland und Österreich ist sie so eine Macht, weil natürlich immer der Länderkampf ansteht.

Hoffnungsvoller Nachwuchs

Mit den Deutschen Richard Freitag und Severin Freund stehen die Chancen nun wieder gut für ein neues Duell mit Österreich.

Gott sei Dank. Besonders Freitag traue ich viel zu. Als ich ihn im vergangenen Jahr beim Springen zum ersten Mal gesehen habe, habe ich zu meinem Vater gesagt: Pass auf, der wird was. Freitag legt so eine Leichtigkeit an den Tag und trotzt dadurch gewissen Bedingungen. Er hat so ein stabiles, leichtes System und die Sprungkraft - und das ist eine ganz große Ansage.

Was trauen Sie ihm zu?

Ich weiß nicht, ob er die Tournee gewinnen wird. Ich möchte ihm auch keinen Druck aufbauen, und natürlich sind die Österreicher Thomas Morgenstern, Andreas Kofler und Gregor Schlierenzauer die Favoriten. Aber Freitag hat einen Vorteil: er ist sehr stabil und andere Springer merken: oh, da ist jemand, der macht mir richtig Dampf unterm Hintern. Und die Österreicher haben auch Druck. So kann eine Tournee für ihn schon mal super enden.

Es gibt Verbindungen zwischen Ihnen und Freitag.

Oh ja, er ist in Erlabrunn in Sachsen in der gleichen Klinik geboren wie ich. Mehr muss man dazu ja nicht sagen. In Erlabrunn gibt es überhaupt legendäre Verstrickungen: Dort ist auch Jens Weißflog geboren - und der Kombinierer Björn Kircheisen und der Boxer Markus Beyer.

Großen Respekt vor Martin Schmitt

Wie beurteilen Sie die Rolle Ihres ehemaligen Teamkollegen Martin Schmitt?

Er ist der Erfahrene und die Respektsperson. Es ist ein Geben und Nehmen. Und obwohl man ja heute oft mitkriegt, wie schlecht die Jugend mit den Älteren umgeht, wird Martin respektiert. Und wenn er etwas sagt, werden sie zuhören. Martin merkt natürlich auch, dass die Jungen jetzt dran sind. Und darum habe ich großen Respekt davor, dass er sich das noch "antut".

Wie ist es für Sie, wenn Sie wieder an die Schanzen zurückkehren?

Seit ich meine neue Aufgabe als Autorennfahrer gefunden habe, kann ich das genießen. Vorher ging das gar nicht. Die schönen Momente von damals sind natürlich immer präsent. Ich habe dann aber nie den Gedanken: Ach, wäre ich doch jetzt noch dabei. Ich merke, ich konnte damit abschließen. Und wenn ich dann weite Sprünge sehe, denke ich immer: das war einfach geil. Es ist etwas sehr Spezielles, weil es niemand nachmachen kann. Und da ich Erfolge hatte, kann ich auch mit dem Karriereende gut umgehen.

Dann haben Sie mit Ihrem Rücktritt alles richtig gemacht?

Die Zeit nach meiner Burn-out-Diagnose im März 2004 war wie mit einem Barometer oder Geigerzähler. Ich habe schnell gemerkt, welcher Weg für mich geht - und welcher nicht. Beim Skispringen hatte ich meine Gedanken ab 2004 immer öfter nur an das Drumherum und das Umfeld verschwendet. Nach dem Motto: Dort ist schlechtes Wetter, da sind schlechte Hotels. So hatte ich früher nie gedacht, da wollte ich einfach nur springen. Das war für mich das Zeichen: Mach es nicht mehr.

"Habe nur noch Sport gesehen."

Also hat die Diagnose Ihnen sehr geholfen?

Sie hat mir den Weg gezeigt. Weil ich nicht mehr in der Lage war, den Weg, der für mich vorbestimmt war, zu gehen. Ich habe so tief dringesteckt. Habe nur noch Sport gesehen, aber meinen Körper vergessen. Ich hatte keine Motivation mehr. Während meiner Karriere habe ich auch oft die Ski an die Wand gehauen, aber eine innere Stimme hat mir immer gesagt: mach weiter. Auch wenn ich nicht wusste wofür. Dann habe ich mich lustlos und müde gefühlt, war genervt. So kannte ich mich nicht. Das habe ich aber alles überspielt und übersehen. Bis irgendwann der Punkt kam, an dem ich gemerkt habe, ich kann nicht mehr. Da entscheiden dann einfach höhere Mächte.

Sie waren einer der ersten deutschen Sportler, die sich öffentlich zu ihrer Burn-out-Erkrankung bekannt haben.

Ich stehe noch immer dazu, um den Menschen zu zeigen: das ist keine Schwäche. Ich habe viel gegeben, und mein Körper hat mir gezeigt: es war zu viel. Aber es wird wieder normal, viele Leute leben ja mit der Angst, dass sie für den Rest ihres Lebens ein psychisches Problem haben. Es ist eine Erkrankung, die man heilen kann. Ich weiß ja, wovon ich rede.

Ist das Rennfahren nun der entscheidende Ersatz für Sie?

Ja. Ich spiele zwar auch gern Fußball und eifere da etwas David Beckham nach - mit meiner O-Beinstellung müsste ich eigentlich auch solche Flanken hinkriegen. Beim Fußball habe ich aber kein Adrenalin. Ich brauche einfach den Kick, den Kitzel von früher. Da ist Rennfahren absolut genial.

Es ist also vergleichbar mit Skispringen?

Vom Spiel mit dem Risiko her auf jeden Fall. Man muss sich an die Grenze herantasten - und dann ein kleines Stück darüber hinaus. Aber beim Skispringen ist es folgendermaßen: wenn man oben loslässt, ist es komplett geschmeidig. Alles geht ineinander über. Im Auto dagegen wirft es uns herum, und es ist etwas ganz anderes.

Titelsammler und Autonarr

Skispringer: Sven Hannawald hat in seiner Karriere zahlreiche Titel und Medaillen gewonnen. Neben dem Vierfachsieg bei der Vierschanzentournee 2001/2002 holte er bei Olympia einmal Gold und zweimal Silber und wurde je zweimal Weltmeister im Skispringen und im Skifliegen.

Rennfahrer: Seit seinem Karriereende 2005 bestreitet er Autorennen. Zurzeit fährt er in der ADAC GT Masters-Serie. Hannawald, der in München wohnt, ist mit dem Model Alena Gerber verlobt und hat aus einer früheren Beziehung einen fünfjährigen Sohn.