Der VfB-Torhüter Sven Ulreich spricht im Interview über sein Image, die Tipps von Jens Lehmann und das Fernduell mit Bernd Leno.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Er hat als 23-Jähriger bereits 52 Bundesligaspiele absolviert - und doch war Sven Ulreich selten unumstritten. "Ich habe schon oft bewiesen, dass ich ein guter Torwart bin - und dem VfB helfen kann", sagt Ulreich selbstbewusst, denn er spielte zuletzt meist fehlerfrei.

 

Herr Ulreich, kennen Sie die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur?

Von der habe ich schon gehört.

"Jung und erfahren gibt es im Fußball nicht - das gibt es nur auf dem Straßenstrich." Mit diesem Zitat sind Sie für den Fußballspruch des Jahres 2011 nominiert. Und Sie führen die Abstimmung, die noch bis zum 27.Oktober läuft, bisher überlegen an.

Das freut mich. Mit diesem Satz habe ich im Februar nach unserem Auswärtssieg in Frankfurt auf die Debatten reagiert, dass ich als Nummer eins noch nicht reif genug wäre. Drei Tage zuvor hatte mich der Trainer vor dem Europa-League-Spiel gegen Lissabon aus dem Tor genommen.

Sie haben damals in Frankfurt stark gehalten. Der VfB hat letztlich nach schwachem Beginn in Unterzahl mit 2:0 gewonnen. War das auch ein Wendepunkt in Ihrer Karriere?

Als sich der Marc Ziegler gegen Lissabon schwer verletzte und ich zurückkam, habe ich mir gedacht: Jetzt zeige ich es allen erst recht und beweise, dass ich gut genug für die Bundesliga bin. Denn ich empfand meine Leistungen als ungerecht bewertet.

Sie hatten als junge Nummer eins tatsächlich keinen leichten Stand beim VfB.

Ich habe es irgendwann akzeptiert, dass ich immer ein bisschen mehr tun muss als andere. Ich muss mit Topleistungen überzeugen, um anerkannt zu werden. Am Anfang habe ich mich stets hinterfragt, woran das liegen könnte. Inzwischen mache ich das nicht mehr, weil es nichts bringt. Ich konzentriere mich auf mich selbst und will mein Torwartspiel in den nächsten Jahren ständig weiterentwickeln.

Was glauben Sie: woran hat diese kritische Grundhaltung Ihnen gegenüber gelegen?

Aufgrund der Formschwäche von Raphael Schäfer habe ich 2008 als 19-Jähriger in der Bundesliga debütiert. Wenige Spieler sind in diesem Alter gleich so kritisch angepackt worden wie ich damals von unserem Trainer Armin Veh. Das hat mich wohl ein, zwei Jahre gekostet. Denn mit ein bisschen mehr Rückendeckung wäre ich damals vielleicht gleich im Tor geblieben.

Seiner Zeit hat Armin Veh Ihnen etwa nach einem 0:3 in Leverkusen quasi die Hauptschuld an der Niederlage gegeben . . .

. . . und ich habe damals einen aufmunternden Anruf von Robert Enke erhalten, was zeigt, dass meine Leistungen in Torhüterkreisen oft anders bewertet werden.

Aus negativen Ereignissen lernt man meist sehr viel

Es heißt, auch Ihr Vorgänger beim VfB, Jens Lehmann, zähle zu Ihren Bezugspersonen. Stimmt das?

Auf jeden Fall. Ich habe es auch mit dem Jens häufiger davon gehabt: Aus negativen Ereignissen lernt man meist sehr viel. Ich habe ihn erst am vergangenen Freitag nach der unnötigen Niederlage gegen den HSV getroffen. Seine Ratschläge sind sehr wertvoll und zeigen mir, dass er es in seiner Karriere auch nicht immer einfach hatte.

Auch Ihr Verhältnis zu Teilen der VfB-Fans galt nicht immer als völlig sorgenfrei.

Die vergangene Saison war meine erste als die Nummer eins. Nach einem so großen Torhüter wie Jens Lehmann hat es der Nachfolger immer schwer, die Fußstapfen auszufüllen. Das hat auch der Michael Rensing bei den Bayern nach der Kahn-Ära erlebt. Wir haben als Mannschaft in der vergangenen Vorrunde ganz schlecht gespielt - da sieht man als Torhüter auch nicht immer gut aus. Die Fans haben mir aber auch einige Fehler verziehen. In der Rückrunde hat es tatsächlich einen Wandel gegeben: Durch meine Leistungen - es waren ja auch ein paar Paraden dabei - habe ich mehr Anerkennung bekommen.

Es fällt auf, dass Ihnen bei aller Kritik auch viele Leute wie einst Robert Enke Mut zusprechen. Das Magazin "Prinz" hat sie nun gar zum "wichtigsten Stuttgarter" gekürt. Woher rührt diese Zuneigung?

Vielleicht ist das so, weil ich geradlinig und ehrlich bin. So werde ich auch weiter durchs Leben gehen. Und in Stuttgart habe ich wohl einen Extrabonus, weil ich aus der Region komme und jeder weiß: der VfB, das ist mein Verein.

In den Vorwochen haben Sie sich aber einen medialen Maulkorb umgehängt, haben nicht mit der Presse gesprochen. Warum?

Ich fand, man hat mich zuletzt teilweise nicht korrekt betrachtet, so nach dem Motto: Der VfB braucht einen neuen Torhüter. Das fand ich nicht in Ordnung. Ich habe schon oft bewiesen, dass ich ein guter Torwart bin - und dem VfB helfen kann.

Sie spielen sicher auch auf die Diskussion an, wie der VfB im Fall des bis Januar nach Leverkusen verliehenen Bernd Leno verfahren solle. Ist er ein Konkurrent für Sie?

Er ist 19, und es ist für jeden jungen Spieler schön, wenn er vom VfB ausgeliehen wird und die Chance bekommt, auf hohem Niveau zu zeigen, was er kann. Bernd hat ein Riesentalent und macht seine Sache bisher sehr gut. Er hat beim VfB die Vorbereitung mitgemacht. Kein Trainer der Welt würde einen Torwart draußen lassen, der im direkten Duell der bessere ist. Also habe auch ich gezeigt, was ich kann. Was in Zukunft passiert, weiß ich nicht. Ich schaue nicht nach rechts und links, sondern richte den Fokus voll auf mich.

Sie haben auch eine soziale Ader. Also warben Sie zuletzt für eine Typisierungsaktion zu Gunsten des sechsjährigen Diego, der an Leukämie erkrankt ist. Da haben Sie auch Ihre Mutter und Ihre Freundin mitgebracht.

Mich hat es sehr bewegt, als ich bei Diego im Krankenhaus war. Der kleine Junge ist ein Kämpfer. Erst vier Millionen Menschen sind in Deutschland in der Knochenmark-Spendedatei registriert. Dabei braucht es nur ein paar Tropfen Blut - und man kann vielleicht ein Leben retten.

Liegt Ihr Engagement daran, dass Ihr Vater vor einigen Jahren an Krebs gestorben ist?

Dadurch habe ich früh erfahren, dass Gesundheit das Wichtigste im Leben ist. Daher war es keine Frage, dass meine Mutter und meine Freundin Lisa sowie einige Freunde und Bekannte mitkamen. Ich bin so erzogen worden. Als wir abends zu Hause waren, mussten wir alles erst verarbeiten. So wird man wieder geerdet.

Die Torwartfrage

Person Der gebürtige Schorndorfer Sven Ulreich (23) wechselte mit zehn Jahren zum VfB, für den er bis jetzt 52 Bundesligaspiele bestritt. Sein Vertrag läuft bis 2013. Er durchlief alle Jugendnationalteams des DFB bis zur U 21. Perspektive Wie die Konstellation bei den VfB-Torhütern in der Rückrunde aussieht, ist ungewiss. Entgegen des ursprünglichen Standpunktes ist es durchaus möglich, dass Bernd Leno (19) nicht nur bis Dezember, sondern bis zum Saisonende an Bayer Leverkusen ausgeliehen wird. Das hat der VfB-Manager Fredi Bobic vor einer Woche im StZ-Interview erklärt.