Peter Leibinger, der Vizechef der Maschinenfabrik Trumpf, sieht den Mittelstand gut gerüstet für die Arbeitswelt von morgen. Wenn Maschinen miteinander vernetzt sind, könne die Arbeit besser organisiert werden, sagt Leibinger.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)
Ditzingen – - Wenn Maschinen miteinander vernetzt sind, könne die Arbeit besser organisiert werden, sagt Peter Leibinger, Vizechef der Maschinenfabrik Trumpf in Ditzingen. Er erwartet davon enorme Vorteile.
Herr Leibinger, auf der Werkzeugmaschinenmesse EMO spielt das Thema Industrie 4.O eine große Rolle. Handelt es sich da um ein Modethema oder um eine wirklich zukunftsweisende Entwicklung?
Das ist in der Tat eine wichtige Entwicklung. Wir können heute von vier industriellen Revolutionen sprechen. Die erste war die Einführung der Dampf- und Kraftmaschinen, dann kam die Fließbandarbeit, schließlich die Informationstechnologie. Jetzt kommt die vierte Revolution, die Vernetzung aller Geräte. Dabei wird es zu einer völligen Veränderung unserer Welt kommen. Am besten kann man das als Internet der Dinge umschreiben. Es gibt heute schon mehr vernetzte Geräte im Internet als Menschen, die dort aktiv sind. Weltweit gibt es bereits 15 Milliarden Geräte, die über das Internet miteinander kommunizieren.
Und wie wirkt sich das in der Industrie aus?
Bei Industrie 4.0 geht es darum, was passiert, wenn Maschinen miteinander kommunizieren. Bei Trumpf haben wir den Begriff von der „Social Machine“ geprägt. Dies ist eine Maschine, die über sich selbst Bescheid weiß. Eine Blechbearbeitungsmaschine weiß etwa, wie viele Teile von ihrer Arbeit sie schon erledigt hat.
Was ist denn daran neu?
Neu ist, dass die Maschine nicht nur über sich selbst Bescheid weiß. Sie weiß auch, wie es bei anderen Maschinen aussieht, und sie teilt ihr „Wissen“ mit ihnen. Wenn die Maschine A weiß, dass sie belegt ist, neben ihr aber eine andere Maschine steht, die freie Kapazitäten hat, dann wird die Arbeit automatisch auf die andere Maschine umgelenkt.
Was bringt das ?
Es verbessert die Produktionsprozesse, die Kapazitätsauslastung und die Frühwarnsysteme. Diese zeigen, wann bei einer Maschine ein Eingriff von außen nötig ist. „Car to go“ ist ein Geschäftsmodell, das aus dem Internet der Dinge entstanden ist. Ich brauche ein Smartphone und das Internet. Das Smartphone weiß, wo ich stehe, und ich gebe ein, dass ich ein Auto brauche. Das Smartphone sucht dann das nächste Auto.
Sie haben als Beispiel jetzt ein Auto genannt. Wie aber ist es in der Industrie?
Dort geht es um ein Bauteil und eine Maschine. Das Bauteil kennt seinen Zustand, es weiß, welche Arbeiten bereits an ihm ausgeführt wurden. Und die Maschine kennt ihre Auslastung, und so entsteht eine automatische Optimierung der Produktionsmöglichkeiten.
Was ist bei Industrie 4.0 möglich, was bisher nicht geht?
Außer der Optimierung in der Produktion bekommen wir auch Echtzeitbilder vom Zustand der Maschinen bei unseren Kunden. Dies kann helfen, noch bessere Maschinen zu bauen.
An den Produktionsabläufen wird heute schon rumgetüftelt. Machen Sie nur besser, was bisher schon geschieht?
Das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist dann ein agiles Produktionsumfeld. Ein Beispiel: Heute verkaufen wir eine Lasermaschine, die Blechteile schneidet. Wenn wir kommunizierende Maschinen haben, ist denkbar, dass wir Laseraggregate verkaufen und Maschinen, die vernetzt arbeiten. Das heißt, die Laser liefern die Laserleistung dorthin, wo sie im Moment gebraucht wird. Man kann sich aber durchaus vorstellen, dass man eine Verknüpfung auch zwischen Maschinen in verschiedenen Werken einrichtet. Wenn man alle Blechfertiger in Deutschland kombiniert, die vernetzte Maschine haben, könnten man Kapazitätsengpässe bei dem einen oder anderen Unternehmen ausgleichen.
Was nützt das Trumpf? Sie verkaufen dann doch möglicherweise weniger Maschinen?
Das Marktpotenzial für unsere Maschinen ist längst nicht ausgeschöpft, wir werden also noch viele Maschinen verkaufen können, auch wenn sie noch effektiver genutzt werden. Wir könnten aber zusätzlich als Dienstleistung das Brokern von Kapazitäten anbieten. Von Trumpf stammen etwa 60 Prozent der in Deutschland installierten Lasermaschinen. Wir könnten also unseren Kunden anbieten, Blechverarbeitungsbedarf bei uns zu erfassen und an vorhandene Kapazitäten zu verteilen. So schaffen wir Zusatznutzen für die Kunden und eine zusätzliche Einkunftsquelle für Trumpf. Ein solches Geschäftsmodell gibt es heute noch nicht, es gibt bei uns auch keine konkrete Planung dafür. Aber es ist ein Beispiel dafür, was möglich wäre und wovon alle etwas hätten.
Ein solches Modell könnte zu einer gigantischen Rationalisierung führen.
Absolut. Ich glaube, dass Industrie 4.0 eine größere Veränderung mit sich bringen kann als die Digitalisierung der Wirtschaft. Wissen wir, ob es so sein wird? Nein, natürlich nicht. Es muss von der Industrie auch angenommen werden.
Es gab ja schon einmal einen Aufbruch in eine neue industrielle Welt. Das war die CIM-Fabrik, die für Computer Integrated Manufacturing stand. Spötter sprachen auch von „Chaos im Mittelstand“.
Den Begriff Chaos im Mittelstand habe ich noch nicht gehört, finde ihn aber ganz gut. CIM ist daran gescheitert, dass es erstens ein isoliertes Projekt war, das in der Theorie entstanden ist. Das ist etwas ganz anderes als das Internet der Dinge, das in großer Breite und von unten entsteht. Die Vorstellung bei CIM war, der Produktionsablauf werde besser, wenn alles über zentrale Rechner gesteuert würde. Dass Unerwartetes, etwa ein Fehler, eintritt, wurde völlig außer Acht gelassen.
Sie beschreiben Möglichkeiten. Aber wo stehen wir aktuell? Bei Visionen oder schon bei der Realisierung?
Sowohl als auch. Es gibt Dinge, die es heute schon gibt. Unsere Maschinen sind heute schon mit uns über das Internet vernetzt, wir machen Telediagnose. 60 bis 70 Prozent der Fehler lösen wir heute für unsere Kunden online. In der Produktion sind wir dagegen eher noch in einer frühen Phase der Umsetzung.
Was müsste sich im Maschinenbau verändern, damit Industrie 4.0 erfolgreich wird?
Wir müssen erkennen, dass Industrie 4.0 ein ganz wichtiges Thema ist. Zudem müssen die nötige Hard- und Software vorhanden sein. Die Maschinen und Produkte müssen vernetzbar sein.
Und wie sieht es mit der Datensicherheit aus? Könnten Hacker einen Crash in einer Fabrik produzieren?
Das auch. Aber das größte Problem ist die für Industrie 4.0 nötige Transparenz. Wir schauen dabei direkt in die Produktionsprozesse. Und die meisten Firmen nicht gläsern werden. Es muss also gelingen, eine Struktur zu schaffen, die bei vollkommener Transparenz gleichzeitig eine hundertprozentige Anonymität garantiert. Aber das haben wir noch nicht. Durch die jüngsten Vorgänge um die National Security Administration (NSA) hat dieses Problem noch an Brisanz gewonnen.
Wenn die Maschinen alles selbst machen, was tun dann die Mitarbeiter noch?
Dass ihnen die Arbeit ausgeht, diese Sorge habe ich nicht. Es gibt auf der Welt und in der Produktion viel mehr ungelöste Aufgaben als Menschen, die sie lösen können. Auch die Arbeitsinhalte werden sich zunächst wenig ändern. Die Arbeitsplätze von Maschinenbedienern beispielsweise bleiben vergleichbar. Durch den Fortschritt der Informationstechnik steigen die Ansprüche an das Know-how der Mitarbeiter.
Aber wenn Maschinen verknüpft arbeiten, könnten vielleicht mit denselben Kapazitäten 200 000 Teile produziert werden statt 100 000 wie bisher. Was ist, wenn die Nachfrage nicht in gleichem Maße steigt?
Ein Produktivitätszuwachs von etwa fünf Prozent pro Jahr ist immer nötig, um die Kostensteigerungen zu kompensieren. Durch Industrie 4.0 werden wir vermutlich einen höheren Zuwachs bekommen. Durch eine bessere Wettbewerbsfähigkeit könnten unsere Unternehmen wachsen und dadurch Arbeitsplätze erhalten werden.
Wie ist die Situation auf dem Markt? Sind wir bei Industrie 4.0 in Deutschland führend?
Ich glaube, dass wir da Treiber sind. Wir haben viele Hersteller von Produktionsmitteln in Deutschland, kleinere Firmen, mittlere Firmen, die agil und technologisch führend sind.
Hilft Industrie 4.0 der deutschen Wirtschaft, ihren Vorsprung gegen künftige Wettbewerber, wie etwa den Chinesen, möglicherweise sogar noch auszubauen?
Ich denke schon. Wir können Maschinen und ganze Maschinensysteme anbieten, die mehr können als andere. In Deutschland sind wir für Industrie 4.0 gut vorbereitet, weil wir in den letzten 20 Jahren in der Industrie vieles umgekrempelt haben.
Was unterscheidet eine Industrie-4.0-fähige Trumpf-Maschine von einem Vorgängermodell? Wer verdient an zusätzlichen Steuerungen und an der Software?
Wir machen bei Trumpf Software und viele Steuerungen selbst. Insgesamt wird die Steuerungstechnik und die Sensorik im Verhältnis zur Mechanik wichtiger..
Schafft der Maschinenbau den Wandel?
Ich denke schon. Den Wandel von mechanischen Werkzeugmaschinen zu computergesteuerten hat die Branche auch geschafft. Die Frage ist natürlich, wie groß muss man sein, um das zu können. Aber dies kann ich nicht beantworten. Die Firmen, die ich kenne und die sich damit auseinandersetzen, schaffen den für Industrie 4.0 nötigen Wandel jedenfalls.
Wie hoch sind denn die Ausgaben für Forschung und Entwicklung?
Das ist ganz schwer abzugrenzen. Von einem Forschungsbudget für Software sind sicher 60 bis 80 Prozent Industrie-4.0-relevant, ohne dass jedes einzelne Projekt damit zu tun hat.
Was bedeutet Industrie 4.0 für den Industriestandort Deutschland?
In erster Linie eine Chance. Wettbewerbern am Weltmarkt haben wir den hohen Forschungsstandard voraus. Das gilt für die Institute, aber auch für die Industrie. Und dank des dualen Berufsausbildungssystems haben wir auch einen hohen Standard bei der Umsetzung. Außerdem sind wir in unseren Unternehmen inzwischen sehr flexibel. Das gilt für die Firmen selbst, aber auch für die Beschäftigten. Flexibilität kann auch die Bereitschaft des Einzelnen sein, in zwei Jahren etwa anderes zu machen.
Der Maschinenbau ist vorwiegend mittelständisch geprägt. Ist dies kein Nachteil?
Das ist sogar ein Vorteil. Unsere kleinteilige Struktur fördert Agilität und Bewusstsein für neue Produkte, aber auch für neue Geschäftsmodelle. Wenn der Unternehmer der Entscheider im Tagesgeschäft ist, werden neue Geschäftsmodelle viel eher aufgegriffen als bei einer Entscheidung durch ein großes Gremium.
Welche Länder sind ähnlich weit wie wir?
Die Japaner sind weit, auch die Koreaner sind weit. In China spielt das Thema bisher eine geringere Rolle, weil es dort eher um Massenproduktion geht. Die USA sind sehr weit bei der Informationstechnologie, aber Amerika hat wenig Produktionsmittelindustrie. Aber über die Stärke in der Informationstechnologie haben die USA ebenfalls eine gute Ausgangsbasis. Was die Entwicklung und Umsetzung von neuen Geschäftsmodellen angeht, sind sie uns sogar weit voraus. Aber sobald es um das Produzieren selbst geht, sind wir im Vorteil.
Wann gibt es in Ditzingen eine 4.0-Fabrik?
In fünf Jahren könnte das soweit sein.