Die Industrie wird nach Ansicht des baden-württembergischen Umweltministers zu stark von den Kosten der Energiewende entlastet. Im StZ-Interview erklärt Franz Untersteller, wie Verbraucher auf höhere Strompreise reagieren können.

Stuttgart –Beim Thema Energiewende denkt jeder an Wind- und Sonnenenergie, auch Landesumweltminister Franz Untersteller. Aber der Grüne ist sicher: Ohne neue konventionelle Kapazitäten wird das Projekt nicht funktionieren. Im Interview erläutert er, warum.
Herr Untersteller, der Strom für Privathaushalte wird nach einer Erhebung des Leipziger Instituts für Energie , die Sie im Landtag präsentiert haben, bis 2020 um 22 Prozent teurer. Ist dieser Anstieg akzeptabel und verkraftbar für die Bevölkerung?
Ich weise darauf hin, dass das keine größeren Preissprünge wären, als wir sie im Zeitraum 2002 bis 2010 gehabt haben, im Gegenteil. Und wir haben keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Szenario des Leipziger Instituts so nicht kommt.

Für die Verbraucher heißt das doch ganz einfach: Strom ist bereits teurer geworden, und er wird noch teurer werden.
Dem ist der Verbraucher doch nicht einfach ausgeliefert; er kann reagieren. Ein Stichwort hierzu heißt Energieeffizienz, zum Beispiel bei Neuanschaffungen von Hausgeräten. Ein zweiter Punkt ist der Wechsel des Stromanbieters. Die geringe Wechselbereitschaft der Bürger ist nicht gerade ein Zeichen dafür, dass die Menschen Preiserhöhungen als so eklatant wahrnehmen, wie dies die Medien teilweise tun. Das gilt übrigens nicht nur für die Privathaushalte, sondern auch für die Industrie.

Sind die Kosten der Energiewende, die sich in der EEG-Umlage spiegeln, vernünftig zwischen Wirtschaft und Privathaushalten verteilt?
Ich halte es für richtig, dass wir für energieintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, Ausnahmen machen. Ich habe aber ein Problem mit der Ausweitung dieser Ausnahmetatbestände. Wenn ein Verkehrsunternehmen einer Großstadt auch unter die Ausnahmen fällt, dann frage ich mich: Wo bitte stehen die im internationalen Wettbewerb? Das ist aus dem Ruder gelaufen und muss künftig deutlich restriktiver gehandhabt werden. Von den 3,59 Cent, die jeder von uns aus der EEG-Umlage zahlt, entfallen 0,7 bis 0,8 Cent auf diese Ausnahmetatbestände in der Industrie. Mehr geht nicht.

Ministerpräsident Kretschmann hat die Energiewende als „historische Aufgabe“ bezeichnet, bei der die Versorgungssicherheit höchste Priorität habe. Sie haben vor Kurzem davon gesprochen, dass es im Winter erneut zu Engpässen bei der Stromversorgung kommen könne; wie passt das zusammen?
Bei der Energiewende sind die drei Säulen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit gleichrangig; da ist nicht das eine wichtiger als das andere. Kurzfristig geht es darum, unsere hohe Versorgungssicherheit auch in Extremsituationen in den Wintermonaten sicherzustellen. Wir haben nur 15 Ausfallminuten pro Jahr. Das ist besser als zu den Zeiten, als noch alle Atomkraftwerke am Netz waren. Wir sind damit weltweit in einer Spitzenposition.

Trotzdem gab es zu Jahresbeginn Engpässe.
Anfang Februar, als es eiskalt war, hatten wir eine angespannte Situation, die aber bewältigt wurde. Da sind in einem Gaskraftwerk durch reduzierte Lieferungen aus Russland Kapazitäten weggefallen, und zugleich gab es so gut wie keine Einspeisungen erneuerbarer Energien. Unser Netzbetreiber Transnet BW und die Bundesnetzagentur hatten aber vorgesorgt, so dass drei Kraftwerksblöcke mit einer Leistung von zusammen 1000 Megawatt aus der Kaltreserve ans Netz gehen konnten. Verträge mit österreichischen und italienischen Versorgern haben uns weitere 1000 Megawatt gesichert. Wir haben übrigens auch in dieser Zeit Strom exportiert. Jetzt schließt Transnet BW wieder Verträge über 2000 Megawatt oder sogar mehr für den kommenden Winter.

Entwickeln sich diese Probleme zu einem Dauerzustand?
Nein. Damit rechnen wir noch im kommenden Winter. Danach entspannt sich die Situation, weil im Winter 2013/14 der neue Block des Rheinhafen-Dampfkraftwerks in Karlsruhe ans Netz geht und im Winter darauf Block neun des Großkraftwerks Mannheim. Aber es ist klar, dass wir mittelfristig weitere konventionelle Kraftwerke brauchen. Denn die Schwankungen, die wir bei einem steigenden Anteil erneuerbarer Energien bekommen werden, müssen abgesichert werden. Die Preise an der Strombörse EEX, die sich gegenüber 2007/08 halbiert haben, sind aber kein Signal für die Versorger, in solche Anlagen zu investieren. Ich habe deshalb im vorigen Jahr den Vorschlag gemacht, sogenannte Kapazitätsmärkte zu schaffen, letztlich also Stromversorgern eine Prämie für die Bereitstellung von Ersatzkapazitäten zu zahlen. Diese Kosten müssten dann auf die Verbraucher umgelegt werden.

Sind Sie in der Sache vorangekommen?
Wir diskutieren noch immer darüber, wie das im Detail aussehen könnte. Grundsätzlich gibt es aber einen Konsens der Landesumweltminister. Insbesondere mein Kollege Marcel Huber in Bayern sieht das auch so.

Um wie viel würde der Strom durch solch eine Prämie teurer werden?
Wir haben kein bundesweites Kapazitätsproblem. Es geht um Süddeutschland, weil hier die meisten Atomkraftwerke stehen. Deshalb ist der Betrag, um den es geht, überschaubar. Nehmen Sie den Vergleich zum EEG, da sind wir bei 3,59 Cent pro Kilowattstunde. Nach unseren Rechnungen liegt das deutlich darunter. Und der Betrag würde auf alle Stromkunden in Deutschland umgelegt.

Wäre es nicht wirtschaftlicher, die Speichermöglichkeiten auszubauen?
Ein Projekt wie der Pumpspeicher Atdorf droht – anders, als viele glauben – nicht an Bürgerinitiativen zu scheitern. Es klemmt, weil die Schluchseewerke, die der EnBW und RWE gehören, keine Finanzierungsbeschlüsse fassen. Und das ist auch nachvollziehbar, weil sich das Geschäftsmodell von Speichern grundlegend geändert hat. Früher konnten die Pumpspeicher ihren Strom zu Spitzenlastzeiten teuer verkaufen. So gab es 2007/08 eine Preisdifferenz zwischen Spitzen- und Grundlast von 35 bis 40 Prozent. Heute liegt der Unterschied eher im einstelligen Bereich. Strom in Spitzenlastzeiten bieten jetzt andere an; im Sommer vor allem die Solarstromanbieter. Natürlich gilt das nur für einen Teil des Jahres. Aber für den Rest rechnen sich die Pumpspeicher nicht mehr. Da kommen wir dann wieder zu meinem Vorschlag Kapazitätsmarkt, der ja nicht nur Investitionen in Kraftwerke, sondern ebenso in den Bau von Speichern anreizen könnte. Denn Pumpspeicher und damit auch Projekte wie in Atdorf sind mittelfristig notwendig.

Das Land könnte da doch als EnBW-Teilhaber einen Schritt nach vorne gehen.
Nein. Auch für das Land Baden-Württemberg gelten die ökonomischen Rahmenbedingungen. Wir sind doch kein Wohltätigkeitsverein. Die Schluchseewerke müssen die Frage beantworten, ob es eine gute Idee ist, für so eine Sache 1,6 bis 1,7 Milliarden Euro hinzublättern.

Es scheint, als könnten Sie mit der Landesbeteiligung an der EnBW nicht viel anfangen.
Meine Idee wäre es nicht gewesen, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion kreditfinanziert 45 Prozent zurückzukaufen. Ich war noch nie der Meinung, dass es eine gute Idee ist, wenn ein Energieversorger auf einem liberalisierten Markt komplett in öffentlicher Hand ist.

Die Landesregierung will den Anteil der Windenergie an der Stromproduktion bis 2020 auf zehn Prozent verzehnfachen? Stehen Sie noch zu dem Ziel?
Rheinland-Pfalz, das gerade mal halb so groß ist wie Baden-Württemberg, hat 1300 Anlagen und deckt 9,5 Prozent des Strombedarfs aus dieser Quelle – ein Ziel, das wir für 2020 anstreben. Mir ist übrigens nicht bekannt, dass die Touristen einen Bogen um Eifel und Hunsrück machen würden. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir unser Ziel erreichen werden.

Bis 2020 müssen noch mehr als 1000 Windanlagen im Land gebaut werden. Zuständig für die Genehmigung sind nach einer Gesetzesreform nunmehr vielfach die Kommunen. Wie wollen Sie gewährleisten, dass das Ziel erreicht wird?
Die Anlagen werden immer leistungsfähiger und auch immer größer. Bei Anlagen mit 80 Meter Höhe, die um das Jahr 2000 herum gebaut wurden, gibt es nicht viele gute Standorte. Bei 130 bis 140 Metern haben wir insbesondere im nordöstlichen Landesteil großes Potenzial. Gegenwärtig ist es so, dass wir eine Übergangsregelung bis Ende des Jahres haben, so dass entsprechend der alten Regelung 99 Prozent des Landes immer noch Ausschlussgebiet ist. Deshalb ist im Augenblick auch noch nicht sichtbar, wie sich unsere Reform auswirkt. Aber überall werden jetzt die Flächennutzungspläne geändert, finden die Vorplanungen statt, werden Standortuntersuchungen gemacht. Wir werden 2013 und erst recht 2014 einen regelrechten Schub erleben.

Wie verträgt sich der Ausbau mit Zielen des Landschafts- und Naturschutzes? Wie viele Windräder in der Größenordnung des Ulmer Münsters, das gut 160 Meter hoch ist, verträgt das Land?
Natürlich sind diese Anlagen sichtbar, 140 Meter können Sie nicht verstecken. Aber das ist der Preis der Energiewende.

Ja, aber ist die Akzeptanz in der Bevölkerung da?
Ja. Das Beispiel Rheinland-Pfalz zeigt, welche Chancen die Windenergie insbesondere für den ländlichen Raum bietet. Die Anlagen bieten Wertschöpfung, sorgen für Gewerbesteuer- und für Pachteinnahmen. Ich glaube, dass es nach Fukushima und dem Atomausstieg ein Umdenken in der Bevölkerung gegeben hat. Die Akzeptanz steigt auch, wenn sich die Bürger an solchen Projekten beteiligen können. Landauf, landab schießen Energiegenossenschaften der Bürger wie Pilze aus dem Boden. Privates Kapital für solche Anlagen ist in erheblichem Umfang da, teilweise mehr, als jeweils gebraucht wird.

Windenergie ist effektiver als die Fotovoltaik. Ist es mit Blick auf die Kosten der Energiewende nicht besser, schnell von der Sonnenenergie wegzukommen?
Mit Blick auf die Versorgungssicherheit in einer neuen Energiewelt: eindeutig nein. Wir müssen die gesamte Palette der erneuerbaren Energien nutzen.