Reportage: Frank Buchmeier (buc)


Würde es wirklich etwas bringen, jedes Neonazikonzert aufzulösen?
Ja. Die Nazis sind frustriert, wenn sie von sonst woher angereist sind und unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen. 2006 hat der damalige baden-württembergische Innenminister Heribert Rech diese Strategie erfolgreich verfolgt: Im Verfassungsbericht ist nachzulesen, dass innerhalb eines Jahres das „rechtsradikale Personenpotenzial“ zurückgegangen sei, und zwar vor allem deshalb, weil die Polizei bei Rechtsrockkonzerten konsequent einschritt.

Sie haben rund 50 solcher Konzerte besucht. Was hat Sie dabei am meisten schockiert?
Menschenverachtende Liedtexte wie „In Majdanek, in Majdanek, da machen wir aus Juden Speck“ oder „Es weiß ein jedes Kind, dass Juden nur zum Heizen sind“.

Wenn man Ihren Film „Blut muss fließen“ anschaut, könnte man den Eindruck gewinnen, dass Sie über Jahre hinweg das Treiben unterbelichteter Kerle aufgezeichnet haben.
Bei so manchem voll tätowierten Nazi-Skinhead ist der Intellekt nur bedingt ausgeprägt, das stimmt. Aber es gibt auch andere Beispiele: Steffen Hammer und Alexander Heinig waren einst Sänger der Rechtsrockbands Noie Werte und Ultima Ratio, heute betreiben sie gemeinsam ein Rechtsanwaltsbüro im Stuttgarter Osten. Vor ein paar Jahren traten die beiden noch auf Konzerten in Erscheinung, bei denen das Publikum „Sieg Heil“ brüllte. Zurzeit verteidigen Hammer und Heinig vor dem Stuttgarter Landgericht Rechtsextreme, die an einer Hetzjagd auf eine Gruppe türkisch- und italienischstämmiger Männer in Winterbach beteiligt gewesen sein sollen.

Sind Sie sicher, dass es einen Zusammenhang zwischen geschmackloser Musik und schwerer Körperverletzung gibt?
Und ob! Die Zwickauer Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund hat ein Bekennervideo mit einem Noie-Werte-Stück unterlegt. Abgesehen davon ist es ja nicht so, dass Mord und Totschlag nur besungen werden, sondern dass Mord und Totschlag auch stattfinden – und zwar lange bevor der NSU aufgeflogen ist. Laut der Amadeu-Antonio-Stiftung gab es seit der Wiedervereinigung 182 Todesopfer durch rechtsextreme Gewalt, die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat 149 gezählt. Die offizielle staatliche Statistik weist seltsamerweise nur 60 Todesopfer aus, aber die zehn NSU-Opfer sind ja bis vor anderthalb Jahren auch nicht in dieser Statistik aufgetaucht. Bis die Zwickauer Terrorzelle entdeckt wurde, haben unsere Sicherheitsbehörden die Neonaziszene systematisch verharmlost.

Zumindest in Baden-Württemberg gibt es durchaus Beispiele, in denen der Rechtsstaat durchgegriffen hat. So wurden im November 2006 Mitglieder der Schwäbisch Gmünder Band Race War vom Landgericht Stuttgart wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Richtig. Aber der Sänger Max Hirsch ist bis heute in der Szene aktiv. In diesem September ist er unter dem Bandnamen „Heiliger Krieg“ in March-Holzhausen bei Freiburg bei einem Benefizkonzert aufgetreten. Dort wurde für eine Nazidemo in Göppingen gesammelt. Eine Band sang, dass Kreuzberg eine türkische Stadt auf deutschem Boden sei, die dem Erdboden gleichgemacht werden müsse, von einer schwarzen Division – also eine Anspielung auf die SS. Dazu Hitlergrüße, „Sieg Heil“-Rufe, das volle Programm. Und weit und breit keine Polizei, die diesen Spuk beendet hätte.

Ist der Staat auf dem rechten Auge blind?
Die Behörden werden dort aktiv, wo die Politik ihre Prioritäten setzt. Seit 2001 steht die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus an erster Stelle. Folglich sind andere Themen vernachlässigt worden. Das Problem ist meines Erachtens die Dokumentation. Wenn staatliche Ermittler so vorgehen würden wie ich, also die Straftaten auf Video festhalten, dann könnte man die Bands und die Konzertveranstalter problemlos juristisch verfolgen. Stattdessen muss man feststellen, dass Nazis manchmal gegen die Auflösung eines Konzertes klagen und die Polizei sich mit vorgeschobenen Argumenten wie unzureichendem Brandschutz für ihr Vorgehen vor Gericht rechtfertigen muss.

Warum ändern die deutschen Sicherheitsbehörden nicht ihre Strategie?
Das ist mir ein Rätsel. Bekannt ist ja mittlerweile, dass der Verfassungsschutz viel mit V-Leuten arbeitet, also Nazis, die vom Staat dafür bezahlt werden, dass sie Informationen liefern. Ich würde es für effektiver halten, wenn ausgebildete Beamten verdeckt ermitteln würden.