Die Sparneigung sinkt wegen der niedrigen Zinsen. Dabei müssten die Menschen eigentlich mehr sparen, sagt W&W-Vorstandschef Alexander Erdland im Interview.

Stuttgart – - Statt das Geld aufs Sparkonto zu tragen, verzichten die Menschen auf die mickrigen Zinsen und setzen lieber auf Konsum. Das kurbelt die Konjunktur an, aber Alexander Erdland, Chef des Finanzkonzerns Wüstenrot & Württembergische (W&W), hält die Reaktion für falsch. Für ihn lautet die Parole: mehr sparen, nicht weniger.
Herr Erdland, Geld bringt kaum noch Zinsen. „Wohin mit dem Geld?“, hat jüngst ein Magazin auf der Titelseite gefragt. Wie kommen Sie privat mit der Zinsflaute klar?
In der Familie haben wir natürlich Lebensversicherungen und Bausparverträge. Privat bin ich in einer Situation, dass ich ein paar Aktien kaufen konnte. Vor Kurzem haben wir eine kleine Penthaus-Wohnung in Stuttgart erworben. In meiner Heimat in Oelde in Westfalen bewirtschaften wir seit Generationen einen landwirtschaftlichen Familienbetrieb. Ackerland ist wertvoller geworden. Allerdings denken wir nicht daran zu verkaufen, weshalb die Wertentwicklung nur auf dem Papier steht.
Viele Sparer quält die Frage, wie lange die Niedrigzinsphase anhalten wird.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass noch eine länger andauernde Niedrigstzinsphase vor uns liegt.
Die Bundesbank sagt, dass negative Realzinsen – also Nominalzinsen minus Inflation – in den letzten Jahrzehnten eher die Regel als die Ausnahme waren. Ist das also gar nicht so schlimm?
Wir sind gegenwärtig in einer Phase, in der private Vorsorge für eine auskömmliche Finanzausstattung im Alter noch sehr viel wichtiger ist als früher. Deshalb ist eine negative Realverzinsung ein gravierender Einschnitt. Erhebungen zeigen uns, dass gerade jüngere Menschen stärker im Hier und Jetzt leben; die Frage, was in 30 oder 40 Jahren im Rentenalter ist, liegt nicht mehr so auf der Hand. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat zusammen mit dem Institut für Demoskopie Allensbach die Generation der Mitte – Leute zwischen 30 und 59 Jahren – unter die Lupe genommen. Dass die Versorgungslücke immer größer wird, ist diesen Menschen durchaus bewusst. Aber es fehlt die Bereitschaft, etwas dagegen zu tun. Dabei wäre das gerade in Zeiten niedriger Zinsen doppelt wichtig. Denn der Zinseszinseffekt fällt ja kleiner aus.
Wie wirkt sich die Zinsflaute konkret aus?
Ein Prozentpunkt weniger beim Zinsniveau bedeutet, dass bei einem Zeitraum von 30 Jahren 15 Prozent mehr gespart werden muss, um am Ende das gleiche Vorsorgeniveau zu erreichen.
Lässt die Sparneigung der Bevölkerung wirklich nach? Die Sparquote sinkt zwar, aber das kann auch demografische Gründe haben. Zudem steigt das Geldvermögen, alleine im Jahr 2013 um 68 Milliarden Euro.
Beim Geldvermögen sind natürlich die Verzinsung der früher getätigten Anlagen und Kurssteigerungen mit drin. Andererseits haben wir in der Tat bei den Lebensversicherungen im letzten Jahr noch einmal ein Betragswachstum gehabt. Aber die Gespräche mit unseren Kunden und auch die genannte Allensbach-Umfrage zeigen eine größere Zurückhaltung. Das ist auch deshalb problematisch, weil die Babyboomer erst in zwei, drei Jahren anfangen, in Rente zu gehen. Dann wird sich die Situation der gesetzlichen Rentenversicherung – die im Augenblick gut zu sein scheint – wieder drastisch verschlechtern. Wir kommen dahin, dass nur noch die Hälfte des vorherigen Erwerbseinkommens durch die Rente abgedeckt wird. Der andere Teil muss durch eine betriebliche Rente und durch private Vorsorge abgedeckt werden.
Trägt die Branche nicht zur Zurückhaltung der Anleger bei, indem sie zum Beispiel Bausparverträge kündigt, bei denen zehn Jahre lang das Darlehen nicht abgerufen wurde?
Grundsätzlich gilt: die Branche muss mehr tun, um ihre Akzeptanz und Reputation zu stärken. Transparenz, Verständlichkeit, Service, das sind Themen, an denen wir tatsächlich arbeiten müssen. Zu den Bausparverträgen: für reines Renditesparen weit oberhalb des Marktzinses ohne jedes Interesse an einer Finanzierung sind Bausparen und Wohnungsbauprämie nicht gedacht.
Sie haben diese Kunden, die Sie Renditejäger nennen, gelockt.
Als ich hier bei W&W angetreten bin, haben wir das sofort gestoppt. Aber das Thema ist durch die Jahre vorher natürlich in unseren Büchern. Wenn Sie heute vier Prozent Zinsen zahlen, da stellt sich doch die Frage, wie das Geld erwirtschaftet werden soll. Das sprengt die Solidarität der Bausparergemeinschaft.
Das ist doch nicht das Problem der Anleger.
Auch die Anleger haben sich an Recht und Gesetz zu halten. Es gibt ein Urteil des Landgerichts Mainz, wonach Kündigungen nach zehn Jahren rechtens sind. Wir haben hier im Übrigen erst gehandelt, als dieses Urteil vorlag.
Was gewiss bleibt, ist ein Imageschaden für das Bausparen.
Als Branche kann uns das in der Tat nicht egal sein. Wir haben in jüngerer Zeit leider viel zu wenig die Fülle der Vorteile des Bausparens herausgestellt: Das Bausparen bietet hohe Flexibilität, denn der Kunde kann die Besparung ändern, die Tilgung variieren und braucht keine Vorfälligkeitsentschädigung zu zahlen, wenn er das Darlehen eher zurückführen will. Der Kunde hat extrem viele Optionen, die er ausüben kann, und die Bausparkasse ist immer Stillhalter, sie muss immer erfüllen.
Trotzdem werden Sie sich auf die Niedrigzinsphase einstellen müssen.
Da sind wir dran, denn wir brauchen mehr Flexibilität. Wir müssen schneller reagieren, weil sich die Märkte schneller ändern. Andererseits will der Kunde Sicherheit. Und Sicherheit kostet Geld, zumal in ungewissen Zeiten. Bei den Versicherungen ist es ja schon heute so. Wer größere Sicherheit haben will, muss eine geringere Rendite in Kauf nehmen. Wer eine höhere Rendite will, muss ein höheres Risiko in Kauf nehmen. Über diesen Zusammenhang muss mit den Kunden viel intensiver gesprochen werden, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Wie können Versicherer bei niedrigen Zinsen eine vernünftige Rendite erwirtschaften?
Das ist wirklich eine riesige Herausforderung geworden. Wir müssen unser Spektrum erweitern und in Anlageklassen gehen, die früher nicht bei jedem Versicherer eine Rolle gespielt haben. Für die Gesellschaften im W&W-Konzern war schon immer ein nennenswertes Immobilien-Engagement Tradition; dafür sind wir bekannt. Immerhin acht Prozent unserer Anlagen stecken in Immobilien. Zudem haben wir mehr in Unternehmensanleihen investiert.
Die Politik will mehr Investitionen in die Infrastruktur – Beispiel Straßenbau. Kann die Assekuranz da einen Beitrag leisten?
Darüber diskutieren wir in der Branche, und wir sind bereit dazu. Wir brauchen dafür allerdings verlässliche Rahmenbedingungen und regulatorische Anpassungen.
Solche Investitionen müssten mit 50 Prozent Eigenkapital unterlegt werden. Das ist doch illusorisch.
Da muss in der Tat noch nachgearbeitet werden. Es geht darum, dass solche Projekte so gestaltet werden, dass das Risiko nicht so hoch ist wie bei Venture Capital. Wir wollen keine Kapitalunterlegung, die unabhängig vom Risikogehalt ist. Deshalb sind zwei Schritte erforderlich: Wir brauchen zunächst Projekte mit einem geringeren Risikoniveau, dann kann auch die Unterlegung mit Solvabilitätskapital reduziert werden.
In ihrer Verzweiflung ruft die Finanzbranche jetzt nach dem Staat.
Wir rufen nicht aus Verzweiflung nach Hilfe, es geht um die Kunden. Wir sind gemeinsam mit der Politik aufgefordert, die Riester-Produkte verständlicher und einfacher zu machen. Aber auch die Förderung sollte angehoben werden, zumal die jetzige Riester-Förderung mehr als zehn Jahre alt ist. Sonst bekommen wir eine größere Vorsorgelücke und riskieren, ein Problem mit der Altersarmut zu bekommen. Wenn sich der Staat da engagieren würde, dann wäre das nicht mehr als fair, denn der Staat profitiert von den niedrigen Zinsen ganz wesentlich.
Wie wirkt sich die Zinsphase auf W&W aus?
Die Zinsen sind im Jahresverlauf noch einmal deutlich runtergegangen, und sie werden 2015 wohl so niedrig bleiben. Wirkt man sich daraus ergebenden Effekten nicht entgegen, kann das gesunkene Zinsniveau durchaus Lasten von 30 bis 40 Millionen Euro mit sich bringen. Dagegen müssen und werden wir ankämpfen, um dies zu kompensieren.
In den nächsten drei Jahren investiert W&W 500 Millionen Euro in ein neues Projekt. Wie sieht die Strategie aus?
Es ist zunächst einmal ein Projekt mit Investitionen in Kunden und Vertrieb. Auch das Thema Kosteneffizienz bleibt für uns wichtig, aber wir hatten bei den Programmen in der Vergangenheit den Eindruck, dass nur darüber gesprochen wurde. Das kann uns nicht recht sein, denn in unserem Fokus muss der Kunde stehen. Im Übrigen können Sparen und Kundennutzen durchaus miteinander einhergehen. Die Digitalisierung ist ein Beispiel dafür. Das ist ein Schwerpunkt, worauf auch der Name „W&W@2020“ hindeutet.
Was bedeutet das für die Mitarbeiter?
Effizienter zu arbeiten – da haben wir in den letzten Jahren schon eine Menge erreicht. Sparen muss jetzt verstärkt strukturell erfolgen. So bringen wir unsere Bank-IT im Standardbereich in ein Gemeinschaftsrechenzentrum ein, an dem viele andere Banken beteiligt sind. Dadurch allein sparen wir zehn Millionen Euro pro Jahr. Intelligentes Sparen bedeutet immer die Frage danach, was wir selbst einfacher oder mit anderen zusammen machen oder was wir von Dritten einkaufen können.