Der Krankenhausbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) sagt, er wolle die Personalprobleme im Olgäle nicht klein reden. Den Vorwurf, sich in beim Neubau der Psychiatrie in Bad Cannstatt verkalkuliert zu haben, weist er zurück

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)
Stuttgart – Im Olgahospital und in der Psychiatrie des städtischen Klinikums herrscht Unruhe. Beim Kinderkrankenhaus haben Ärzte, Pflegekräfte und Eltern wegen des Personalmangels Alarm geschlagen. Auf mehreren Stationen wurden Betten reduziert, Kinder werden mangels Kapazität abgewiesen. Die neue Psychiatrie in Bad Cannstatt macht mit Baumängeln von sich Reden und ist zudem überbelegt. Krankenhausbürgermeister Werner Wölfle hat den Krankenhausausschuss um zwei Wochen vorverlegt. Im Interview beklagt er eine politisch gewollte Unterfinanzierung der Krankenhäuser und ruft Eltern dazu auf, mit ihm in Berlin zu demonstrieren.
Herr Wölfle, Mitarbeiter aus dem Olgäle berichten von unhaltbaren Zuständen. Demnach müssten Operationen verschoben und herzkranke Kinder für die OP ausgeflogen werden. Patienten würden mangels Kapazität nicht aufgenommen und Hygienestandards nicht eingehalten. Das muss sie als Vertreter der Träger doch beunruhigen.
Das Klinikum ist nicht ohne Grund ein Eigenbetrieb mit einer starken Geschäftsführung, der die operative Tätigkeit obliegt. Natürlich nehme ich als Bürgermeister die Situation ernst. Ich bin über die Klagen aber nicht etwa erst durch Presseveröffentlichungen informiert, sondern durch Gespräche mit Mitarbeitern, die ich seit einem halben Jahr führe. Und eines vorneweg: Das Olgäle ist immer noch die erste Adresse. Die medizinische Versorgung für die Kinder, die im Olgäle sind, ist nicht gefährdet. Die Aussage über angeblich mangelnde Hygiene weise ich zurück.

Den Vorwurf erheben nicht nur Mitarbeiter. Auch eine Mutter berichtete, ihr herzkrankes Kind sei mit Lungenentzündung in einem Zimmer mit einem Kind gelegen, das an Bronchitis erkrankt war.
Dass die Mutter die Situation kritisch bewertete und daraus schloss, Hygienestandards seien unterschritten worden, will ich nicht ausschließen. Ob diese Belegung medizinisch wirklich nicht vertretbar gewesen war, ist aber eine andere Sache.

Laut der Geschäftsführung ist die Zahl der Stellen im Olgahospital seit 2010 nahezu stabil geblieben. Wie hat sich der Stellenplan im längeren Zeitraum verändert?
Wir haben weder in der Pflege noch bei den Ärzten Personal abgebaut. So hatten wir etwa 2008 exakt 339 Stellen in der Pflege – 2012 waren es 333 Stellen. Und diese sechs gestrichenen Stellen waren sonderfinanziert. Nur sind sie in einer Situation weggefallen, als es ohnehin schon sehr eng war.

Die Zahl der Überlastungsanzeigen von Mitarbeitern des Olgäle hat sich im Jahresvergleich fast verdreifacht. Das ist doch ein klares Signal dafür, dass sich 2012 etwas zum Negativen verändert haben muss.
2012 sind mehrere Faktoren zusammen gekommen. Da ist zum einen der geplante Umzug, auf den sich die Mitarbeiter vorbereiten müssen. Im November, wenn die Kinder im Neubau sind, muss alles reibungslos funktionieren. Außerdem haben wir tatsächlich einen Personalmangel in der Pflege. Am größten ist die Not im Intensivbereich. Auch in den EU-Nachbarländern finden wir nicht auf die Schnelle ausreichend ausgebildete, erfahrene Deutsch sprechende Intensivpflegekräfte.

Wo setzen Sie an, um gutes Personal zu bekommen – Stichwort Großstadtzulage?
Ich bin kein Freund einer Großstadtzulage. Das kostet den Arbeitgeber viel, macht Netto aber bei den Beschäftigten kaum etwas aus. Wir müssen klügere Lösungen finden – Wohnen, Fahrtkostenzuschuss, Kinderbetreuung. Das sind Faktoren, um uns von anderen Arbeitgebern abzuheben.

Müssten Sie im Olgäle nicht eigentlich sogar zusätzliches Personal einstellen? Die Fallzahlen sollen jedenfalls stark gestiegen sein.
Meine Zahlen sagen allerdings etwas anderes. Wir hatten im Jahr 2008 insgesamt 14 660 Fälle, 2012 waren es fast 500 weniger, nämlich 14 137. Trotzdem rede ich die Überlastung, die die Mitarbeiter spüren, nicht klein. Sie müssen enorm viele Überstunden leisten, weil wir eben nicht genügend Fachkräfte finden.

Über wie viele Überstunden reden wir?
Die Überstunden machen umgerechnet rund 23 Stellen aus – davon etwa acht bei den Ärzten.

Also fehlen 23 Stellen.
Das ist so nicht zutreffend. Die Stellen sind da, wir sind nur nicht in der Lage, sie derzeit zu besetzen.

Der Ärztliche Direktor des Olgäle beklagt, dass die Behandlung langwieriger Krankheiten nicht auskömmlich honoriert wird.
Das ist das Grundproblem im Olgäle, das viele komplizierte Fälle mit langwierigen Behandlungen hat. Diese werden von den Krankenkassen nicht auskömmlich vergütet. Wir legen also drauf. Im Gegensatz dazu werden oft leichtere Fälle, die wir dann aus Kapazitätsgründen an andere Krankenhäuser in der Region verweisen, durchaus auskömmlich vergütet.

Werden mehr Kassenpatienten als Privatpatienten in andere Kliniken verlegt?
Nein. Das wird wirklich nur nach medizinischen Gesichtspunkten entschieden. Noch.

Das Olgäle nimmt die schwierigen Fälle aus der ganzen Region auf. Warum gibt es eigentlich keinen Ausgleich ähnlich wie bei den Kindertagesstätten?
Dass wir in der Region eine Lösung fürs Olgäle finden, halte ich für nicht realistisch. Und auch nicht für die Ursache des Problems. Die Unterfinanzierung der Krankenhäuser ist leider politisch gewollt.

Wie meinen Sie das?
Der Bund und die Krankenkassen gehen eben immer noch davon aus, dass es zu viele Krankenhausbetten gibt und setzen deshalb darauf, dass so manche Klinik in diesem Wettbewerb nicht überlebt.

Wenn es aber keinen regionalen Ausgleich geben kann und das Finanzierungssystem der Kassen dazu führt, dass das Olgäle draufzahlt, wäre es doch nötig, dass die Stadt auch künftig einen Zuschuss leistet?
Das wäre das falsche Signal an jene, die für die systematische Unterfinanzierung verantwortlich sind: der Bund und vor allem die Kassen. Wir haben genug Geld im Gesundheitssystem. Es ist halt nur falsch verteilt.

Auch unter Rot-Grün im Bund hatten die Krankenhäuser keine große Lobby.
Mich wundert, dass das Thema in den Wahlkämpfen so eine geringe Rolle spielt. Ich ermuntere jede Mutter und jeden Vater und jeden Arzt und jede Pflegekraft, mit mir zu den Demonstrationen nach Berlin zu fahren.

Empfehlen Sie doch ihrem Parteifreund Cem Özdemir, das im Bundestagswahlkampf zum Thema zu machen.
Das tue ich auch. Wir bringen das Thema aber auch den gesundheitspolitischen Sprechern im Bundestag nahe – und nicht nur der Grünen-Vertreterin. Noch einmal: Wir können das Problem der Unterfinanzierung des Systems nicht als Stadt alleine lösen. Die Kassen und die Regierungskoalition verkünden, dass sie keinen ökonomischen Anreiz und keinen Druck auf Ärzte ausüben. Sie sollen nur nach medizinischen und ethischen Überlegungen entscheiden. Gleichzeitig wird der ökonomische Druck permanent erhöht. Das bezeichne ich als heuchlerisch.

Der Gemeinderat gönnt sich durchaus Leuchtturmprojekte: das Staatstheater bekommt 45 Millionen Euro Betriebszuschuss. Das Olgäle ist auch ein Aushängeschuld und bekommt „nur“ 5 Millionen.
Deshalb übernimmt die Stadt zusätzlich zu den fünf Millionen auch noch beachtliche 192 Millionen Euro Investitionskosten. Wir haben die größte Klinikbaustelle einer Kommune überhaupt in Deutschland.

Was wäre, wenn das Klinikum keine städtische Angelegenheit mehr wäre, sondern privatisiert würde. Könnte das Olgäle dann wirtschaftlich geführt werden?
Natürlich ginge das. Aber das hätte auch einen Preis. Man würde zuerst Ambulanzen schließen, dann die Onkologie und die Kardiologie, weil diese Abteilungen nicht kostendeckend geführt werden können. Man würde Reinigungs- und Schreibkräfte ausgliedern, und man würde die Belegschaft nicht mehr nach Tarif bezahlen. Das alles wollen wir nicht.

Unruhe herrscht auch im ZSG, dem Zentrum für seelische Gesundheit. Sie müssen sich die Augen gerieben haben, als sie von den Problemen an Fenstern und Türen gehört haben.
Meine Begeisterung über den Neubau ist und bleibt dennoch groß. Wir werden überrannt von Patienten, das ist ein gutes Zeichen. Natürlich sind die baulichen Mängel ärgerlich. Aber sie sind für den Bestand und fürs Arbeiten im ZSG nicht von entscheidender Bedeutung. Das lässt sich beheben. Wer verantwortlich ist, wird gerade geklärt.

Wie hoch ist der Schaden?
Das weiß man noch nicht. Vor allem ist noch unklar, wer die Rechnung am Ende begleichen muss.

Bauherren gehen in der Regel davon aus, dass ein neues Gebäude eine größere Nachfrage generiert. Die Psychiatrie ist aber schon kurz nach der Einweihung chronisch überbelegt. Haben Sie sich verkalkuliert?
Davon kann keine Rede sein. Ein Träger kann ein Krankenhaus nicht so groß bauen wie er will. Das entscheidet das Land, das die Investitionskostenzuschüsse nur für die Anzahl an Betten leistet, die im Landeskrankenhausplan vorgesehen sind. Ich kann Ihnen versichern, die Kassen versuchen alles, um mehr Betten zu verhindern.

Im nächsten Krankenhausplan könnten weitere Betten genehmigt werden.
Der Antrag wird auf jeden Fall gestellt. Wir hoffen, die Regierung kommt dem nach. Entsprechende Signale haben wir erhalten.