Baden-Württemberg wird sich keinesfalls an höheren Kosten des Tiefbahnhofs beteiligen, sagt der Verkehrsminister Winfried Hermann. Er wirft der Bahn Täuschung vor und sieht den Bund in der Pflicht.

Stuttgart- Winfried Hermann hat trotz des Regierungswechsels nie gezweifelt, dass er seinen Ministerposten behält. Mit den CDU-Kabinettskollegen klappe die Zusammenarbeit gut, sagt er.

 
Herr Hermann, haben Sie während der Koalitionsfindung je gezweifelt, dass Sie Ihren Job behalten dürfen?
Nein. Viele Menschen haben mir gesagt, dass ich gute Arbeit gemacht habe. Ich wusste zudem die ganze Partei hinter mir und hatte die Unterstützung des Ministerpräsidenten. Vielleicht wären ja ein paar Zweifel angebracht gewesen. Doch ich bin offensichtlich ein optimistischer Mensch.
Optimismus wäre beim Thema Stuttgart 21 wohl unangebracht. Wie reagieren Sie auf die jüngsten negativen Botschaften der Bahn?
Ich fühle mich von der Bahn ein Stück weit getäuscht. Ich teile da die Kritik des OB Kuhn. Noch am Tag, bevor die Verzögerungen und drohenden Kostensteigerungen in der Zeitung standen, gab es von dem Unternehmen offizielle Informationen, dass im Grunde alles in Ordnung sei. Auf diese Weise hat die Bahn das Verhältnis zu den Projektpartnern belastet.
Ist die in Aussicht gestellte Verzögerung von Stuttgart 21 noch aufholbar?
Wer die Entwicklung des Projekts in den vergangenen Jahren verfolgt, stellt fest: Entgegen den beschwichtigenden Informationen der Bahn ist das Vorhaben stets immer teurer geworden, rückte das Bauende immer weiter nach hinten. Insofern fällt es immer schwerer, zu glauben, dass nun der Zeitplan eingehalten wird. Gleichwohl müssen wir auf Einhaltung der Zeit und Kostenpläne bestehen.
Schließen Sie sich der Forderung Ihres Parteifreundes Fritz Kuhn an, dass nun Vertreter des Bundes an Lenkungskreissitzungen teilnehmen müssen?
Selbstverständlich. Der Bund muss seine Eigentümerverantwortung endlich wahrnehmen. Erstens ist er an der Finanzierung beteiligt. Zweitens gehört dem Bund die Bahn. Drittens haben die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister bei der letzten Kostensteigerung vor drei Jahren, als das Vorhaben auf der Kippe stand, das Projekt durchgedrückt. Der Bund darf uns mit den Schwierigkeiten jetzt nicht sitzen lassen.
Muss das Land womöglich doch noch irgendwann seinen Kostenanteil erhöhen?
Die Landesregierung hat klargestellt, dass es für den Fall, dass der Kostenrahmen von 4,5 Mrd. Euro überschritten wird, zwar Gespräche, aber sicher keine höhere Beteiligung Baden-Württembergs geben wird. Wir zahlen 930 Millionen Euro und keinen Cent mehr. Das hat das Land bereits vor der Entscheidung der Bahn im Jahr 2013 für die Fortführung des Projekts nach der letzten Kostenexplosion erklärt. So steht es auch in der neuen grün-schwarzen Koalitionsvereinbarung. Das ist eine freiwillige Leistung des Landes. Auch Stadt und Region werden ihre freiwilligen Beiträge nicht erhöhen. Für den Bau von Bahnhöfen und Strecken sind grundsätzlich Bund und Bahn zuständig.
In Ihrer Stellungnahme zum Bundesverkehrswegeplan bemängeln Sie den Vorrang der Straße vor der Schiene. Müssen Sie angesichts der vielen Staus im Land nicht den Autobahnausbau favorisieren?
Auch ich bin viel mit dem Auto unterwegs und kenne die Situation auf den Straßen gut. Selbstverständlich bemühe ich mich – übrigens schon seit fünf Jahren – auch um die Verbesserung des Autoverkehrs in Baden-Württemberg. Die überlasteten Hauptachsen müssen wir ausbauen: Das sind die A8, die A81, die A5 und die A6. Der Bund hat im Entwurf für den Bundesverkehrswegeplan viele unserer Straßenbauwünsche aufgenommen, erstaunlicherweise hat er aber die A6 östlich von Heilbronn sogar zurückgestuft. Das ist nicht nachvollziehbar. Eine vierspurige Straße, wo pro Tag gut 60 000 Autos und davon 30 Prozent Lkw fahren, ist ein permanentes Unfallrisiko. Das kann man nicht verantworten. Zudem werden wir unsere Verkehrsprobleme nicht lösen, wenn wir den Schienenverkehr weiter vernachlässigen. Auf der A6 etwa sind so viele Laster unterwegs, weil es keine funktionierende Schienenachse gibt von Mannheim nach Nürnberg und weiter nach Tschechien. Es fehlen 30 Kilometer Elektrifizierung zwischen Öhringen und Schwäbisch Hall. Deswegen kann die Strecke nicht mit Güterzügen befahren werden.
Und wo muss noch dringend beim Schienenverkehr nachgelegt werden?
Die Achse Basel, Konstanz, Friedrichshafen, Lindau beziehungsweise Ulm ist ein weiteres Beispiel dafür, wo die Schiene das Nachsehen hat. Wir bauen dort die A 98, die B 33 in Konstanz, die B30 bei Ravensburg und die B31 entlang des Bodensees aus, weil der Autoverkehr die Orte am Bodensee massiv belastet. Aber dies alles wird nur wenig nützen, wenn nicht auch die Hochrheinbahn von Basel nach Konstanz und auch die Bodenseegürtelbahn elektrifiziert und ausgebaut werden. Da ist die Infrastruktur zum Teil noch von vorgestern. Es ist doch verrückt, dass der Bund alle diese Straßenprojekte für überregional bedeutsam hält und als Bundesfernstraßen ausbaut, bei den Eisenbahnen aber behauptet, das seien nur Regional- oder Nahverkehrsprojekte und er sei nicht zuständig. So können weder die Verkehrsprobleme gelöst noch die Klimaschutzziele erreicht werden.
Der grüne OB und die grün geführte Landesregierung konnten natürlich die Umweltprobleme etwa am Stuttgarter Neckartor nicht rasch lösen. Ein Anwohner hat geklagt, und das Kabinett will bald entscheiden, ob es den vom Richter vorgeschlagenen Vergleich annimmt. Wie fällt der Beschluss aus?
Der Richter hat eindeutig signalisiert, dass er uns harte Maßnahmen – auch drastische Fahrverbote – abverlangt, wenn wir kein belastbares Konzept zur Reduzierung der Schadstoffe vorlegen. In dieser Lage ergreifen wir die Chance, unser Konzept zu realisieren. Ich rechne damit, dass das Kabinett unseren Weg zu einem neuen Luftreinhalteplan billigen wird. Außerdem wird es bereits ab nächstem Winter an Tagen mit hohen Feinstaubwerten ein Verbrennungsverbot für Kaminfeueröfen geben. Bei Autofahrern werden wir auch noch einmal für ein freiwilliges Umsteigen werben und dieses mit vergünstigten Tickets fördern sowie den ÖPNV ausbauen. Wir wollen ein allgemeines Fahrverbot vermeiden. Zukünftig brauchen wir aber eine blaue Plakette für Fahrzeuge mit Euro 6-Einstufung, die an bestimmten Tagen allein in die Umweltzone einfahren dürfen.
Wann kommen diese Fahrverbote für Autos ohne blaue Plakette?
Das geht nur, wenn mindestens 80 Prozent der Fahrzeuge dementsprechend eingestuft sind. Wir erwarten, dass es etwa 2019/20 so weit sein könnte. Der Bund muss die blaue Plakette aber erst beschließen. Die Bundesumweltministerin haben wir schon überzeugt. Beim Bundesverkehrsminister braucht es noch ein bisschen.
Apropos Bund, Sie wollen Schweizer Raser in der Grenzregion mit Geschwindigkeitsbegren-zungen bremsen. Wäre ein allgemeines Tempolimit nicht konsequenter?
Als Land sind wir für ein allgemeines Tempolimit nicht zuständig. Selbst als die Grünen sieben Jahre im Bund mit der SPD regiert haben, konnten wir diese Forderung nicht durchsetzen. Für mich ist das eine endlose, frustrierende Debatte, weil man seit Jahrzehnten da nicht weiterkommt. Was in der Welt selbstverständlich ist, geht in Deutschland offenbar nicht. Deshalb ist auch klar: in Baden-Württemberg wird es neue Tempolimits nur geben, wenn dafür vor Ort jeweils gute Gründe – etwa im Blick auf die Sicherheit oder den Verkehrsfluss – vorliegen. Im Übrigen mache ich wie alle anderen im Ausland die Erfahrung, dass ein Tempolimit zu einem stressfreieren und sichereren Fahren führt.
Winfried Kretschmann ist ja als neuer Bundespräsident im Gespräch. Wie findet die Partei einen Nachfolger für den Fall, dass der Ministerpräsident wirklich geht?
Darauf gibt es keine Antwort. Dafür gibt es kein Verfahren, und ich will auch nicht darüber spekulieren. Der Ministerpräsident kommt uns nicht abhanden. Wir werden vielmehr alles tun, dass er uns möglichst lange erhalten bleibt.
Letzte Frage: Sie gelten als Vertreter des linken Flügels in der Partei. Wie regiert es sich da eigentlich mit den Schwarzen?
Die Stimmung im Kabinett ist sehr gut. Die Kolleginnen und Kollegen sind offen für den Neuanfang und ich bin das ausdrücklich auch. Wir hocken nicht mit dem Parteibuch da, sondern in der Verantwortung für das Land.