Ministerpräsident Winfried Kretschmann warnt seine Partei, sich nicht zu sehr von der Gefühlslage der Bürger zu entfernen. Ein Interview über die Zukunft der Grünen – und die Zukunft der Mobilität.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie – das ist Winfried Kretschmanns Schlüsselthema. Deshalb lädt er die Wirtschaft zu einem Spitzengespräch über die Zukunft der Mobilität. In Baden-Württemberg kann der Grüne das aus einer starken Position heraus machen – aber im Bund und in anderen Ländern schwächelt seine Partei.

 
Herr Ministerpräsident, an diesem Freitag treffen Sie die Manager aus der Autoindustrie. Warum haben Sie plötzlich ein Problem damit, den Termin Autogipfel zu nennen?
Weil er keiner ist.
Was ist es dann?
Der Beginn eines strategischen Dialogs zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Bei unserem ersten Treffen sollen die Themen aufgefächert werden, um die es bei dem historischen Transformationsprozess geht, vor dem die Automobilindustrie und ihre Zulieferer stehen. Wir werden ein Arbeitsformat schaffen, das mit der gewaltigen Geschwindigkeit der digitalen Revolution mithalten kann. Denn das Tempo der Demokratie ist bekanntlich das Schneckentempo.
So sinnvoll das ist: Müssten Sie jetzt nicht erst mal die drängenden Fragen des Feinstaubs und der Diesel-Umrüstung mit den Autobossen besprechen?
Wir befinden uns in dieser Frage ja in einem Dialog mit der Industrie. Wir müssen zwischen dringlich und wichtig unterscheiden. Und der strategische Prozess ist existenziell wichtig.
Und was sind dann Fahrverbote?
Ich habe gelernt, dass ich bei einer Sache aufpassen muss: Ich darf nicht dauernd die wichtigen Dinge hintanstellen, weil den Menschen ein anderes Thema gerade dringlicher erscheint. Es darf uns nicht passieren, dass wir beim Wandel in der Autoindustrie irgendwann hinterherhinken. Baden-Württemberg ist ein Autoland: Hundertausende Arbeitsplätze hängen von der Branche ab.

Sehen Sie hier unser Video-Interview mit Winfried Kretschmann.

Bleiben wir trotzdem mal beim Dringlichen: Sie hatten ja angekündigt, dass Fahrverbote nicht kommen, wenn durch Nachrüstung der Automotoren und bessere Straßenreinigung die Grenzwerte eingehalten werden können. Die Industrie hat inzwischen ein Konzept vorgelegt, wonach der Stickoxidausstoß bei den nachgerüsteten Fahrzeugen um die Hälfte reduziert werden kann. Sind Sie damit zufrieden?
Erst mal gilt es festzuhalten, dass mir, bevor wir den Vorschlag Fahrverbote gemacht haben, durchgängig von der Industrie gesagt wurde, Nachrüstungen seien völlig ausgeschlossen. Jetzt geht’s auf einmal doch. Mir ist wichtig, dass wir ab sofort alle mit offenen Karten spielen. Ansonsten funktioniert der Dialog nicht. Was den Vorschlag zur Nachrüstung betrifft, habe ich Hinweise, dass diese zu vertretbaren Kosten für bis zu 60 Prozent der bestehenden Euro-5-Flotte möglich sind. Das geht in die richtige Richtung. Wir prüfen den Vorschlag gerade auf seinen tatsächlichen Wirkungsgrad.
Sie gehen also davon aus, dass wir um die Fahrverbote noch mal herum kommen?
Das Ziel ist klar und vorgegeben – von der EU wie von den Gerichten: Wir müssen die gesetzlichen Grenzwerte endlich einhalten. Die Instrumente, die wir dafür einsetzen, müssen dieses Ziel erreichen. Das heißt, wenn die Nachrüstung älterer Dieselmotoren den gleichen oder gar einen besseren Wirkungsgrad haben sollte als die optionierten Fahrverbote, werden wir selbstverständlich auf ein solches Instrument verzichten. Auch wenn diese Frage dann abschließend natürlich auch noch mit den Gerichten geklärt werden müsste. Denn unser Ziel ist doch saubere Luft und nicht Fahrverbote.
Bei der rechtlichen Umsetzung werden Sie den Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt brauchen. Fühlen Sie sich ausreichend unterstützt?
Nein, das fühle ich mich nicht. Ich bin mit dem Koalitionspartner einig, dass wir die blaue Plakette brauchen und da weigert sich Herr Dobrindt. Er wartet offensichtlich auf die Lösungen, die wir in Baden-Württemberg finden. Ich will noch mal daran erinnern, dass er einmal laut getönt hat, er würde keine Fahrverbote verhängen, das könnten ja die Kommunen selbst tun. Das heißt: Er wollte den Schwarzen Peter den Kommunen zuschieben. Das ist schon eine ziemlich freche Nummer gewesen. Glücklicherweise konnte ich die Hersteller und die Zulieferer davon überzeugen, dass wir das Problem jetzt gemeinsam angehen. Denn der Bundesverkehrsminister war ja offensichtlich nur mit seiner Ausländermaut beschäftigt und alles andere ist liegen geblieben.