Der Internationale Währungsfonds hat gerade gesagt, seine Beteiligung am Kreditprogramm für Griechenland sei unsicher, da die Schuldentragfähigkeit nicht gesichert sei.
Das ist ein Missverständnis.
Sie steuern also nicht geradewegs auf einen neuen Großkonflikt mit dem IWF zu?
Überhaupt nicht. Der IWF bezweifelt – das ist aber nicht neu –, dass Griechenland umsetzen wird, wozu es sich verpflichtet hat, und dies ausreicht, um das Land auf einen dauerhaften Wachstumspfad zu bringen. Die Griechen haben dagegen immer gesagt: Wir schaffen das. Im Frühjahr haben wir uns deshalb darauf verständigt, dass Athen zusätzliche Maßnahmen ergreift, wenn der IWF mit seinem Pessimismus Recht behalten sollte. Daran habe ich meinen griechischen Kollegen gerade erst wieder in der Eurogruppensitzung am Montag erinnert – und er hat das auch so bekräftigt.
Also kein Schuldenerlass?
Wir werden das dritte Programm bis Ende 2018 abwickeln und dann entscheiden, was eventuell noch notwendig ist. Wenn wir jetzt über Schuldenerleichterungen reden, schwächt das die Reformbereitschaft. Griechenlands Problem sind doch nicht die Schulden, sondern die Schwäche seiner Verwaltung und seine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Dort muss angesetzt werden.
Mindestens so viel Arbeit wie in Griechenland haben Sie über die Jahre in die Bankenunion investiert. Was ist falsch gelaufen, dass wir dennoch wieder diskutieren, ob am Ende der Steuerzahler einspringen muss?
Manche Institute holen Geschichten aus der Vergangenheit ein. Mit der europäischen Bankenunion hat das erst einmal gar nichts zu tun. Sie ist auf einem guten Weg: Die Regeln gelten, wonach bei Problemen zuerst Eigentümer und bestimmte Gläubiger haften. Unsere Banken sind heute auch viel besser mit Kapital ausgestattet – man wird immer darüber streiten können, ob es genug ist, weil man ja nicht weiß, welche Entwicklungen noch auf uns zukommen. Die Ansteckungsgefahr aber ist heute viel geringer. Alle Beteiligten haben ihre Lehren gezogen, sodass wir gut gerüstet sind, um mit etwaigen neuen Herausforderungen zu Rande zu kommen.
Sie sagten gerade, die Regeln gelten. Ist es nicht ein Problem, dass mehr verabschiedet als eingehalten wird? Bräuchte ein neues Europa nicht eine stärkere Regelbindung?
Ich habe schon einmal darauf hingewiesen, dass wir die Funktionen der EU-Kommission schärfer voneinander abgrenzen sollten. Es ist ja nur konsequent, wenn Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aus dem Lissaboner Vertrag und der Europawahl eine stärkere politische Führungsrolle ableitet. Das beißt sich jedoch mit der Rolle der Kommission als neutrale Hüterin der Verträge. Deswegen denke ich darüber nach, ob man nicht den europäischen Krisenfonds ESM stärker schrittweise in diese Richtung entwickeln könnte – jedenfalls für die Länder der Währungsunion. Der ESM würde die Haushaltsentwürfe nicht politisch, sondern streng nach den Regeln beurteilen.
Das ginge nur mit EU-Vertragsänderung.
Nein, das Primärrecht müssten wir dafür nicht ändern. Das könnten wir in der Eurozone auch mit einer Änderung des ESM-Vertrages hinbekommen.
Sie haben immer für mehr politische Union plädiert, um die Währungsunion zu sichern. Seit dem Brexit-Votum dominiert der Ruf nach pragmatischen Lösungen. Haben Sie keine Vision von Europa mehr?
Ich habe viele Ideen dafür, wie wir die europäischen Verträge besser machen könnten. Mir fehlt aber jede Fantasie, wie man auf absehbare Zeit eine Änderung der Verträge zustande bringt – mit den einstimmigen Entscheidungen und Volksentscheiden, die es dafür bräuchte. Wir müssen Europa unterhalb der Schwelle von EU-Vertragsänderungen handlungsfähiger machen. Visionen sind dafür da, dass man sie verwirklicht, wenn man eine Chance dazu hat. Das ist derzeit nicht der Fall.