Zur Lage im Euroraum: an den Finanzmärkten scheint das Vertrauen in die Eurostaaten zurückzukehren. Ist es Zeit zur Entwarnung?
Nein. Die Lage hat sich zwar eindeutig verbessert. Wenn wir daran denken, wie unübersichtlich die Situation noch vor einem Jahr war, haben wir große Fortschritte gemacht. Die Entwicklung bleibt aber fragil. Das zeigt sich an den innenpolitischen Auseinandersetzungen auf der Iberischen Halbinsel, der Unsicherheit über den weltweiten Konjunkturverlauf oder der Nervosität vor den Wahlen in Italien. Erfreulich sind die Signale aus Griechenland. Das Land ist nach Jahren, in denen sich wenig zum Besseren entwickelt hat, auf gutem Weg. Die gemeinsamen Anstrengungen und auch die Hartnäckigkeit der Partner haben geholfen, Griechenland voranzubringen. Das Land ist aber noch nicht überm Berg.

 


Am Wochenende wählt Italien. Im italienischen Wahlkampf werben manche Kandidaten mit erstaunlichen Steuerentlastungen. Halten Sie das für realistisch?
Nein. Es kommt aber auch in Deutschland vor, dass manche Parteien im Wahlkampf unrealistische Versprechen machen. Die Europäer – allen voran die EU-Kommission – haben darauf hingewiesen, dass Italien in der Zeit der überparteilichen Regierung unter Mario Monti wichtige Verbesserungen erreicht hat. Es ist im Interesse Italiens und seiner europäischen Verpflichtungen, wenn dieser Kurs fortgesetzt wird. Das muss Europa auch klar sagen. Aber es gilt, dass jedes Land sein Parlament und seine Regierung wählt. Mit denjenigen, die gewählt sind, müssen wir gut zusammenarbeiten.

Frankreich hat angekündigt, dass es in diesem Jahr das Defizitziel von drei Prozent verfehlen wird. Erst im vergangenen Jahr wurde der Fiskalpakt beschlossen und wurden strengere Budgetregeln eingeführt. Was bedeutet es für die Glaubwürdigkeit, wenn sich ein großes Euroland wie Frankreich nicht an die Abmachungen hält?
Frankreich sagt nicht, dass es sich nicht an die Abmachungen hält. Die französische Regierung hat darauf hingewiesen, dass sie nach der aktuellen eigenen Konjunktureinschätzung die Defizitziele möglicherweise nicht einhalten kann. Jetzt muss mit der EU-Kommission darüber geredet werden, was dies nach dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaket bedeutet. Nachdem die EU-Kommission jetzt ihre Winterprognose zur wirtschaftlichen Entwicklung vorgelegt hat, muss sie bewerten, wo die EU-Mitgliedstaaten stehen. Im April wird die Kommission Vorschläge machen, was zu tun ist, dann sprechen wir darüber im Kreis der Finanzminister. Ich vertraue fest darauf, dass sich Frankreich nicht nur an die europäischen Regeln hält, sondern alles tut, um in einer schwierigen Wirtschaftslage mit strukturellen Reformen mehr Wachstum zu generieren.

Wie wichtig ist, dass Berlin und Paris mit gutem Beispiel vorangehen und den anderen Mitgliedstaaten signalisieren, dass die Etatziele eingehalten werden?
Deutschland und Frankreich sind die größten Länder in der EU. Europa ist viel mehr als Deutschland und Frankreich. Unsere beiden Länder haben aber eine Führungsverantwortung. Die anderen EU-Länder schauen auf uns. Wenn Frankreich und Deutschland zu gemeinsamen Positionen finden, gibt es gute Chancen, dass sich andere anschließen. Deshalb ist die deutsch-französische Achse so wichtig. Dazu gehört auch das Wissen, dass nicht jeder immer nur seine eigene Meinung durchsetzen kann und dass man eine besondere Verantwortung hat. Regeltreue ist wichtig.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat Frankreich gewarnt, es müsse seine Etatziele einhalten.
Frankreich wird sich an europäische Verpflichtungen halten. Ich weiß nicht, warum es Leute gibt, die meinen, sie müssten andere immer zu irgendetwas auffordern. Ich ermahne auch nicht die Notenbank, dass sie sich an ihre gesetzliche Pflichten hält. Vielmehr habe ich volles Vertrauen in die Europäische Zentralbank.

Die Eurominister müssen entscheiden, ob sie Zypern mit Notkrediten helfen: In der Union und der FDP zweifeln viele Abgeordnete, ob Zypern systemrelevant für die Eurozone ist – und damit die Voraussetzung für Hilfskredite gegeben sind. Wie wollen Sie die Zweifler überzeugen?
Wer ein Hilfsprogramm beantragt, muss die Voraussetzungen dafür erfüllen. Eine Bedingung für Hilfskredite ist, dass das entsprechende Land systemrelevant für die Eurozone ist. So steht es im Vertrag zum dauerhaften Rettungsfonds ESM. Das ist eine Voraussetzung, die nicht nur für den Deutschen Bundestag maßgeblich ist, sondern auch durch Gerichte überprüft werden kann. Deshalb sind Aussagen, die Märkte hätten längst die Systemrelevanz Zyperns festgestellt, nicht die volle Wahrheit. Über wichtige Fragen des Haushalts entscheiden die Parlamente – und nicht Investoren auf den Bermudas. Wenn wir uns die Lage Zyperns anschauen, stellen wir fest, dass das eigentliche Problem der zyprische Bankensektor darstellt, der völlig überdimensioniert ist. Da gibt es Handlungsbedarf. Zypern sagt, es habe alle europäischen Regeln gegen Geldwäsche beschlossen. Ob alle Regeln auch dementsprechend umgesetzt werden, daran bestehen Zweifel. Auch diese Zweifel müssen widerlegt werden.

Wenn man sieht, wie lange die Verhandlungen der Troika im Falle Griechenlands dauerten, drängt sich der Eindruck auf, die Gespräche mit Zypern könnten noch Monate dauern.
Es wird immer wieder versucht, schnell zu Entscheidungen zu gelangen. Wenn wir uns die Erfahrungen mit Griechenland anschauen, kommt man zum Schluss, dass einige Zeit verflossen ist, bis Griechenland selbst zu Reformen bereit war. Ich lasse mich nicht unter Zeitdruck setzen.

Die EZB dringt aber auf eine rasche Entscheidung zu Zypern.
Die EZB trifft ihre Entscheidung in ihrer Verantwortung, wir treffen unsere Entscheidung in unserer Verantwortung. Die Kompetenzen wollen wir nicht verwischen.