ZEW-Chef Fuest verteidigt die deutsche Haltung gegenüber Griechenland. Die Kritik von Nobelpreisträger Paul Krugman hat für den Ökonomen keine Logik.

Stuttgart – - Clemens Fuest, Chef des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), sieht die Zukunft Griechenlands skeptisch. An den Erfolg des neuen Hilfsprogramms glaubt er nicht.
Herr Professor Fuest, die Einigung Griechenlands mit den Gläubigern wird teilweise als Diktatfrieden geschmäht. Geht es zum Beispiel nach dem Nobelpreisträger Paul Krugman, dann ist das „ein Verrat an allem, wofür das Projekt Europa eigentlich steht“. Hat Krugman recht?
Ich halte das für eine Verzerrung der Verhältnisse: Wenn Griechenland „Nein“ sagt, dann ist das Demokratie; und wenn Nordeuropa darauf besteht, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist, sondern mit Reformauflagen verbunden ist, dann handelt es sich um einen Staatsstreich. Die Logik dahinter ist für mich nicht nachvollziehbar.
Ist es angemessen, wie Deutschland und die anderen Länder der Eurozone mit Griechenland umgehen? Kann Europa so funktionieren, dass die eine Seite der anderen über mehrere DIN-A-4-Seiten hinweg im Detail vorschreibt, was zu tun ist?
Es ging bei den Verhandlungen um die Grundsatzfrage, unter welchen Bedingungen Länder der Eurozone Anspruch auf die Hilfe und das Geld von anderen haben: Gibt es das ohne ernsthafte Auflagen oder nur mit Auflagen? Deshalb ist es richtig, dass Deutschland und andere Länder der Eurozone klargemacht haben, dass es Hilfe nur gegen Auflagen gibt. Sollen diese Auflagen wirksam sein und nicht beliebig, dann müssen sie auch vergleichsweise detailliert sein; das ist nicht zu verhindern.
Also könnte jetzt die Wende gelingen?
Ich sehe das Programm für Griechenland durchaus kritisch. Solche Reformen funktionieren nur, wenn Politik und Bevölkerung in dem Land davon überzeugt sind, dass diese Programme richtig sind. Die griechische Regierung ist aber mit dem Ziel angetreten, diese Reformen loszuwerden. Und die Volksabstimmung hat gezeigt, dass die Bevölkerung das Reformprogramm auch nicht will. Deshalb befürchte ich, dass es auch nicht funktionieren wird.
Es entsteht der Eindruck, dass die griechische Regierung aber auch keine anderen Reformen will. Es herrscht doch Stillstand.
Das ist leider so. Deshalb ist es auch gefährlich, wenn Deutschland jetzt ein detailliertes Reformprogramm durchsetzt und viel Geld zahlt. Wir geraten in Europa immer mehr in die Rolle des herzlosen Gläubigers, weil wir zwar zahlen, dafür aber Auflagen verlangen. Die Folgen der Sparpolitik werden Deutschland angelastet, obwohl die Sparpolitik in Griechenland ohne das Geld der Partner noch viel härter wäre. Das wird jedoch nicht so gesehen. Wir werden zunehmend angefeindet, nicht nur aus Griechenland, sondern auch aus Frankreich und anderen Ländern. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung, die Europa spaltet. Wenn das Programm in Griechenland – wie zu vermuten ist – nicht funktioniert, dann werden die Aggressionen gegenüber den Nordeuropäern und insbesondere Deutschland zunehmen. Wir werden unter Druck geraten, immer mehr zu zahlen.
Ist das neue Programm mehr als die Umschichtung von Mitteln des IWF und der EZB auf den Euro-Rettungsschirm ESM?
Ja, es fließt auf jeden Fall auch neues Geld. Und dabei handelt es sich nicht um Kredite, sondern um Transfers. Wir zahlen jetzt Geld an Griechenland, das nicht zurückkommen wird. Die jetzt in Rede stehenden 86 Milliarden Euro beinhalten zu einem erheblichen Teil auch neue Mittel, mit denen zum Beispiel Gehälter gezahlt und die Banken rekapitalisiert werden. Der griechische Staat braucht Geld, weil er sehr viele und sehr hohe Rechnungen nicht bezahlt hat.
Wird der Euro langfristig Bestand haben, obwohl es keine gemeinsame europäische Finanzpolitik gibt und wohl auch nicht geben wird?
Die Zukunft der Eurozone ist gefährdet, weil es unterschiedliche Meinungen darüber gibt, was es bedeutet, finanz- und wirtschaftspolitische Regeln einzuhalten. Viele in Europa verstehen die Eurozone als eine Transferunion und erwarten von den Ländern, denen es bessergeht, dass sie dauerhaft Transfers leisten. Nordeuropa hat da eine andere Vorstellung. Gerade in Deutschland hat man der Bevölkerung die Währungsunion mit dem Versprechen verkauft, dass es keine Transferunion gibt. Und diese beiden Philosophien prallen jetzt aufeinander.
Ist der Euro den hohen Preis wert, der gegenwärtig in Form einer lange nicht gekannten Zwietracht in Europa entrichtet wird?
Es wird so getan, als würde der Euro oder gar die ganze EU scheitern, wenn Griechenland aus dem Euro austritt. Das ist aber eine völlig unangemessene Übersteigerung. Die Währungsunion kann trotz Griechenland-Krise weiter funktionieren. Aber wenn wir so weitermachen wie bisher, wenn einige Länder zu Gläubigern der anderen werden und ihnen in die Politik hineinreden, dann bewegen wir uns auf das Scheitern des Euro zu.