Immer mehr Hebammen geben ihren Beruf auf. Viele Frauen suchen daher vergeblich nach Hilfe. Im Interview spricht
die Vorsitzende des Hebammenverbandes Baden-Württemberg, Jutta Eichenauer, über die prekäre Situation im Rems-Murr-Kreis.

Rems-Murr-Kreis - Überlastete Hebammen auf der einen, verzweifelte Schwangere auf der anderen Seite – die Vorsitzende des Hebammenverbandes Baden-Württemberg, Jutta Eichenauer, spricht über die prekäre Situation im Rems-Murr-Kreis und die Gründe.
Frau Eichenauer, kann man im Kreis schon von einem Mangel an Hebammen sprechen und wie sieht die Lage insgesamt aus?
Ja. Ganz schlimm ist die Situation im Rems-Murr-Kreis, Ludwigsburg und Stuttgart, aber auch in ganz Baden-Württemberg gibt es einen Hebammenmangel. Inzwischen zeigt er sich auch in Ulm. Diese Region war bisher noch nicht in Not. Wöchentlich bekomme ich von zwei bis vier verzweifelten Frauen Anrufe, die als letzte Instanz versuchen, über den Landesverband eine Hebamme zu finden. Aber ich kann ihnen auch nicht helfen. Meine Kolleginnen müssen pro Woche im Schnitt fünf bis sieben Frauen ablehnen. Das haben Umfragen bei den jüngsten Bezirkstreffen ergeben. Bei allen Treffen war die Notsituation ein zentrales Thema. Früher hat man gesagt, wenn eine Frau keine Hebammen findet, hat sie sich zu spät gemeldet. Jetzt rufen Frauen an, sobald sie wissen, dass sie schwanger sind. Aber auch das ist inzwischen oft zu spät.
Was sind die Gründe für den Mangel?
Es sind die Rahmenbedingungen. Wegen ihnen reduzieren die Kolleginnen zunächst und ziehen sich dann ganz aus dem Beruf zurück. Bei den freiberuflichen Hebammen sind es ganz klar die schlechte Bezahlung, die sie dazu zwingt und steigende Haftpflichtbeiträge. Das Honorar entspricht nicht dem, was wir leisten. Seit 2007 verhandeln wir selbst mit den Spitzenverbänden der Gesetzlichen Krankenversicherungen. Bis dahin bestand ein Rückstand von 20 Prozent. Die Lebenshaltungskosten sind gestiegen, das Honorar nicht. Inzwischen haben wir eine durchschnittliche Steigerung von 15 Prozent erreicht. Aber das ist immer noch zu wenig. An den Kliniken ist es ebenfalls schlimm. Dort ist jede fünfte Hebammenstelle im Kreißsaal nicht besetzt. Auch hier liegt es an der schlechten Bezahlung und an dem hohen Druck, dem die Kolleginnen ausgesetzt sind. Denn es wird mit einem Personalschlüssel von Anfang der 90er Jahre kalkuliert. Das Arbeitsfeld hat sich aber vollkommen verändert, die Diagnostik hat zugenommen. Gebärende wünschen eine Eins-zu-eins-Betreuung. Hebammen müssen aber oft drei bis vier Frauen gleichzeitig begleiten. Das hat nichts mehr mit Qualität zu tun.
Was muss sich ändern?
Die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen an den Kliniken. Dabei geht es nicht nur um das Finanzielle, sondern auch um Wertschätzung. Die Arbeit von Hebammen wird immer noch mit ein bisschen Gymnastik und Hausbesuchen assoziiert. Aber es ist eine große Verantwortung, die wir tragen. Wegen des Berechnungssystems werden Frauen immer früher entlassen. Der dritte Tag ist jedoch der kritische, mit dem Einfließen der Milch bei der Mutter und der Gelbsucht beim Neugeborenen. Wenn eine Frau samstags heimgeschickt wird, gehe ich sonntags zu ihr. Wir arbeiten daher sieben Tage die Woche.