Der Undercover-Journalist Thomas Kuban hat jahrelang in der Neonazi-Musikszene recherchiert. Im StZ-Interview erklärt er, warum er die Südtiroler Band Freiwild sehr kritisch sieht.

Stuttgart – Freiwild polarisiert zurzeit wie keine andere Band. Gerade wurde den Südtirolern die Nominierung für den Echo entzogen – ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Musikpreises. Der Undercover-Journalist Thomas Kuban hat mit versteckter Kamera und unter Lebensgefahr bei Neonazi-Konzerten gefilmt und 2012 das Buch „Blut muss fließen“ veröffentlicht. Im StZ-Interview mit Olaf Neumann ordnet er die Band ganz klar dem Rechtsrock zu.
Herr Kuban, Freiwild wird mit goldenen Schallplatten geehrt und tritt in den größten Hallen auf. Wo steht diese Band?
Thomas KubanStZ In meinem Buch hatte ich sie noch in der Grauzone verortet. Ihre neue CD ist ganz klar Rechtsrock. Sie arbeiten subtil mit Andeutungen, wie es einige Neonazibands tun, die sich nicht strafbar machen wollen. Freiwild singen, „Gutmenschen und Moralapostel“ würden Geschichte nicht ruhen lassen, weil sie noch „Kohle“ bringe, und sie behaupten, dass „Gutmenschen und Moralapostel“ reich seien. Damit spielen sie auf das antisemitische Stereotyp von angeblich reichen Juden an.

Im Song „Wahre Werte“ heißt es: „Wir hassen Faschisten, Nationalsozialisten, unsere Heimat hat darunter gelitten.“ Nehmen Sie Freiwild dies ab?
Sie würdigen die Opfer der Nazi-Diktatur herab, die für ihre unbeschreiblichen Leiden Entschädigungszahlungen vom deutschen Staat erhalten. Freiwild opponieren gegen die politische Korrektheit. Wer sich nicht für sich selbst schäme, stehe am gesellschaftlichen Pranger. Für den gebe es keinen Stern mehr, sondern einen Stempel. Das ist eine gewaltige Verharmlosung der Judenverfolgung. Dass Freiwild sich selber in der Rolle der neuen Juden sieht, ist absurd. Hinzu kommt ein betont aggressiver Nationalismus.

Wie erklärt sich der Erfolg von Freiwild?
Viele Anhänger rekrutieren sich aus dem Fanspektrum der Böhsen Onkelz. Nach deren Auflösung waren zigtausend Fans heimatlos. Zudem haben einige Texte von Freiwild eine ähnliche Stoßrichtung. Sie stellen sich gerne als die Verfolgten dar, die gegen alle Widerstände den wahren Weg gehen. Das sind die gleichen spätpubertären Züge wie bei den Onkelz: wackere Jungs gegen den Rest der Welt.

Und worin unterscheidet sich Freiwild von den Böhsen Onkelz?
Bei den Onkelz gab es später keine rechtspopulistischen Texte mehr. Freiwild hat derartige Texte bis heute. Deswegen ist deren Bandgeschichte von Distanzierungen geprägt. Erst hat sich der Sänger aufgrund des Drucks von seiner Vergangenheit in einer klassisch rechten Band distanziert, dann war er in Südtirol auf einmal in der Partei der Freiheitlichen aktiv, einer Schwesterpartei der FPÖ in Österreich.

Auch davon hat der Sänger sich auf öffentlichen Druck hin distanziert.
Ja. Und da Freiwild mit der neuen CD erneut in die Kritik geraten ist, hat er sich in einer Videobotschaft einmal mehr von rechtem Gedankengut abgewandt. Andernfalls würde die Band natürlich auch Gefahr laufen, dass ihr die Großstadthallen verschlossen bleiben. In einer früheren Videobotschaft hatte der Sänger übrigens Skinheads noch willkommen geheißen – wenn sie sich denn benähmen. Dieses Statement stand jahrelang im Internet, vor kurzem hat er sich auch davon distanziert.

Freiwild wehrt sich gegen den Vorwurf, rechtsextrem zu sein. Heißt das, man sieht bei ihren Konzerten keine Nazi-Skinheads?
Am 6. Oktober 2012 war ich in Südtirol bei der CD-Präsentation. Ich sah eine Gruppe Fans, die das Lied „Ran an den Feind“ der Neonazi-Kultband Landser sangen. Im Refrain wird ein Bombardement Israels gefordert. Man sieht bei Freiwild-Konzerten relativ wenige einschlägige Shirts, weil die Einlasskontrollen streng sind. Aber Aufdrucke wie „Todesstrafe für Kinderschänder“, die auf eine gleichnamige Neonazi-Initiative zurückgehen, gibt es sehr wohl. Und wenn der Sänger sein Publikum auffordert, die Hände nach oben zu recken, sagt er sicherheitshalber dazu, dass es nicht nur die rechten sein sollten.

Wie eloquent ist der Sänger Philipp Burger?
Burger bringt eher diese rotzige Haltung rüber, wie sie auch für die Böhsen Onkelz typisch war. Er ist ein schlechter Texter. Wer aber entsprechend denkt, erkennt sofort die Botschaften in den wirren Texten, die bruchstückartig zusammengesetzt sind. Viele brüllen wohl gedankenlos mit, doch die Aussagen setzen sich fest. So wird Nationalismus selbstverständlich.