Ganztagsschulen nützen den in Sachen Bildung Benachteiligten, sagt die Bildungsforscherin Natalie Fischer. Und: Die regelmäßige Teilnahme an Ganztagsangeboten verbessert die Schulleistungen. Ein Interview.

Stuttgart - Der baden-württembergische Landtag entscheidet am Mittwoch über die gesetzliche Verankerung von Gemeinschaftsschulen. Grün-Rot geht es dabei auch um die Bildungsgerechtigkeit.

 

Dieser Weg ist tendenziell richtig, sagt die Bildungsforscherin Natalie Fischer im Interview mit der StZ-Redakteurin Renate Allgöwer. Und: Die regelmäßige Teilnahme an Ganztagsangeboten verbessert die Schulleistungen.

Frau Fischer, was ist der neueste Stand der Forschung? Fördert die Ganztagsschule die Bildungsgerechtigkeit?
Es gibt Hinweise darauf, dass vor allem die Bildungsteilhabe gefördert werden kann. Kinder aus sozioökonomisch etwas schlechter gestellten Familien besuchen selten Vereine oder Musikschulen. An Ganztagsschulen nutzen sie jedoch Angebote in Sport, Kunst und Musik genau so häufig wie die anderen Schülerinnen und Schüler auch.
Gilt das auch für die Schulleistungen?
Natalie Fischer Foto: privat
Ganztagsschulen können auch für die Schulleistung etwas tun. Wenn in der Sekundarstufe dauerhaft Ganztagsangebote wahrgenommen werden, entwickeln sich die Noten besonders positiv. In der Grundschule gibt es Ergebnisse, dass besonders Kinder mit Migrationshintergrund im Hinblick auf die Leseleistung profitieren können. Noch gibt es aber wenige Studien, die Leistung erfasst haben. Wir machen das gerade in StEG und werden 2015 mehr darüber sagen können.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit sich die Schulleistungen verbessern?
Wichtig scheint zu sein, dass Schüler Ganztagsangebote dauerhaft nutzen. Einmal in der Woche genügt nicht. Ab dreimal in der Woche dagegen scheinen sich auch bezüglich der Noten positive Effekte einzustellen. Es macht keinen Unterschied, ob die Angebote verpflichtend sind. Die Schüler, die sie am regelmäßigsten nutzen, profitieren am meisten.
Gibt es an den Ganztagsbetrieb in Grundschulen andere Erwartungen als an weiterführenden Schulen?
An Grundschulen ist der Betreuungsaspekt noch sehr wichtig. Eines der stärksten Motive, warum Eltern ihre Kinder an der Grundschule zum Ganztag anmelden, ist der Wunsch, Beruf und Familie zu vereinbaren. Dadurch ist die Verbindlichkeit höher. Grundschulkinder sind im Allgemeinen häufiger im Ganztag, nicht nur drei- oder viermal in der Woche, weil ihre Eltern voll berufstätig sind. Das führt auch dazu, dass in der Grundschule im Gegensatz zur Sekundarstufe die Ganztagsschulen sozial selektiver sind. Die Ganztagsgrundschule nutzen eher Kinder aus höheren sozioökonomischen Schichten, weil in diesen Schichten eher beide Eltern berufstätig sind.
In Baden-Württemberg wird die politische Debatte beherrscht vom Bemühen, die Entscheidungsfreiheit der Eltern nicht einzuschränken. Wirkt sich zu große Flexibilität negativ auf Inhalte aus?
Es ist schon klar, dass die Politik es sich mit den Eltern nicht verderben will. Es gibt bei einigen Eltern noch die Idee, dass die Ganztagsschulen die Kinder ihren Familien entfremden könnten. Hier können wir aus StEG auf jeden Fall eine Entwarnung geben. Die Studie hat gezeigt, je häufiger die Kinder in der Schule sind, desto besser beschreiben sie ihre Beziehungen zu den Eltern. Das gilt umgekehrt auch für die Eltern. Entlastend kann wirken, dass die Eltern sich bei den Hausaufgaben sehr stark durch die Ganztagsschule unterstützt fühlen. Auch Aktivitäten mit der Familie finden gleich häufig statt, unabhängig davon, ob das Kind im Ganztag ist oder nicht.
Sollen also alle durch ein gebundenes Angebot zur Ganztagsschule verpflichtet werden?
Da wäre ich vorsichtig. Es zeigt sich bei Sekundarstufenschülern, dass diese den Ganztag wesentlich besser bewerten, wenn sie sich selber für eine Teilnahme entschieden haben. Dann entwickeln sich auch ihre Motivation und ihre Noten besser. Allerdings würde dafür sprechen, die Ganztagsschule verbindlicher zu machen, dass regelmäßige Teilnahme die Leistungen verbessert. Man müsste einen Mittelweg finden und zum Beispiel verlangen, dass Kinder, wenn sie am Ganztag teilnehmen, an einer bestimmten Anzahl von Tagen dabei sind. Der Vorschlag Baden-Württembergs mit Angeboten an drei oder an vier Tagen klingt vernünftig.