Klaus Grewe hat die Olympischen Spiele von London mitgeplant. Bei Großprojekten berät ihn die Psychologin Friederike S. Bornträger. Grewe glaubt nicht, dass es einen grundsätzlichen Widerstand gegen oder die immer richtige Strategie für Großprojekte gibt.

Stuttgart – - Welche Projekte über eine Bürgerbeteiligung gelingen und welche nicht – das beantworten Friederike S. Bornträger und der Projektmanager Klaus Grewe im Gespräch.
Frau Bornträger, was kann Bürgerbeteiligung leisten, damit Großprojekte verstanden und angenommen werden?
Bornträger Ich glaube nicht, dass es einen grundsätzlichen Widerstand gegen oder die immer richtige Strategie für Großprojekte gibt. Es geht immer um das konkrete Vorhaben. Bürgerbeteiligung kann dabei helfen, dass die Perspektive des Nutzers in die Gestaltung einfließt. Die Expertise der Planer, die Bedürfnisse der Nutzer und die Unterstützung aller Beteiligten gemeinsam kann die Qualität und die Effizienz eines Projektes jedenfalls deutlich verbessern.
Können die Menschen allein planen oder braucht es eine Instanz, die entscheidet?
Bornträger Ich würde so eine Instanz auf jeden Fall unterstützen. Ich glaube an die Expertise von Planern und Architekten. Deren Kompetenz muss unbedingt genutzt und gewürdigt werden. Nur so können wir innovativ sein.
Herr Grewe, für Bürgerbeteiligung braucht es Zeit. Steht das nicht im Gegensatz zu Kosten- und Zeitlimits?
Grewe Das muss ich mit einplanen, denn es kostet weniger, als später den Streit zu haben. Sie haben einen erhöhten Aufwand am Anfang, um einen verringerten Aufwand am Ende zu haben.
Wo liegen die Grenzen der Beteiligung?
Bornträger Ich kann durch eine gute Prozessgestaltung die Wahrscheinlichkeit verringern, dass es während des Projekts immer wieder unkonstruktive Gegenstimmen gibt. Aber es lassen sich nicht alle zufriedenstellen. Wie gesagt, es muss Personen geben, die etwas auch gegen Widerstand vertreten. Das klappt am besten, wenn ein Prozess als gerecht empfunden wird – und wenn Ehrlichkeit waltet. Grundlagenstudien in der Psychologie besagen, dass Menschen Entscheidungen gegen ihren Willen akzeptieren, wenn ein Prozess gerecht ist.
Die Ehrlichkeit ist auch bei Stuttgart 21 ein Thema – zumal wenn zwischen ersten Plänen und der Fertigstellung Jahrzehnte vergehen. Was tun Sie, wenn sich Kosten, Anforderungen und Wünsche ändern?
Grewe Ich kann ein Projekt so systematisch aufbauen, dass ich weiß, was es mich kostet und was passiert, wenn ich zu einem gewissen Punkt komme. Es geht immer um Technik, um Zeit und um Geld. Wenn ich am Anfang sauber rechne, weiß ich, was mich beispielsweise eine Unterbrechung kostet. Es darf eine Wunschdiskussion geben. Denn wenn ich so vorgehe, weiß ich, was mich diese Wünsche kosten. Wird aber von Anfang an mit Wunschzahlen gerechnet, kann ich natürlich auch nicht wissen, was eventuelle Unterbrechungen kosten.
Hat das etwas mit guter Vorarbeit zu tun?
Grewe Ja, auch wenn sich ein Projekt stetig entwickelt. Ich muss am Anfang eine Menge Fleiß investieren und genaue Kosten und Zeitrahmen errechnen. Das darf sich in der Planungsphase verändern, weil ich dazulerne. Aber in der Bauphase darf sich das nicht mehr verändern. Was Sie in Stuttgart in den vergangenen Jahren erlebt haben, ist, dass Wunschzahlen geäußert wurden und ein Projekt unter dieser Maßgabe betrachtet wurde. Wenn ich kalkulierte Zahlen habe, passiert das nicht.
Woran liegt es, dass von Verantwortlichen Wunschzahlen geäußert werden?
Bornträger Das müssen die Verantwortlichen beantworten. Psychologisch betrachtet: eine konkrete Zahl verspricht Kontrolle und lässt Kompetenz vermuten. Eine gerechnete Zahl würde das Kompetenzversprechen auch halten.
Grewe Ich verstehe auch nicht, woher solche Wunschzahlen kommen und wie jemand behaupten kann, etwas würde beispielsweise genau zwei Milliarden Euro kosten, ohne genau gerechnet zu haben.
Gibt es einen Grund dafür, dass Proteste zu einer bestimmten Zeit aufflammen?
Bornträger Unsere Wahrnehmung funktioniert abhängig von der Aktualität eines Ereignisses. Die Einladung der Großfamilie in einem halben Jahr ist toll, die Einladung morgen bedeutet hingegen Stress. Die Menschen beschäftigen sich mit den Dingen, wenn diese für sie relevant werden. Außerdem darf man nicht vergessen, dass hinter jedem Protest ein Bedürfnis steht, das verletzt wurde. Und: es geht selten um den Protest um seiner selbst Willen.
Was müssen wir in Deutschland lernen?
Bornträger Bei der Dialogkultur könnten wir besser werden. Heute gilt, wer recht hat, wird hoch angesehen. Was wäre nicht alles möglich, wenn wir denen unsere Anerkennung entgegenbrächten, die kritische Fragen stellen und Fehler zugeben?