Thilo Weichert aus Kiel ist einer der profiliertesten Datenschützer Deutschlands. Ende August muss er seinen Schreibtisch räumen – verärgert, wie er sagt. Im StZ-Interview spricht er über sein Verhältnis zur Piratenpartei und das Gerichtsverfahren zu den Facebook-Fanpages.

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Stuttgart - Wie Thilo Weichert (59) hat sich kaum ein anderer Landesdatenschutzbeauftragter bundesweit und sogar international einen Namen gemacht. Wieso er nach elf erfolgreichen Jahren an der Spitze des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD) dennoch seinen Platz räumen muss, können viele nicht nachvollziehen. Im Interview mit der Stuttgarter Zeitung blickt er auf seine größten Erfolge zurück und verrät, welche Pläne er noch für die Zukunft hat. Einen wichtigen Termin hat er noch in seinem Kalender stehen: am 17. Dezember landet seine Auseinandersetzung mit Facebook vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Herr Weichert, könnten Sie einen Höhe- und einen Tiefpunkt während Ihrer elfjährigen Tätigkeit als Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein nennen?
Nicht wirklich. Der Datenschutz war und bleibt ein dauernder Kampf für digitale Grundrechte gegen kommerzielle und behördliche Begehrlichkeiten. Aber natürlich gab es Tiefschläge und Highlights. Die größten Tiefschläge – weil unerwartet – verpasste uns die schleswig-holsteinische Verwaltungsgerichtsbarkeit mit ihren Entscheidungen zu Facebook und zur Anonymisierung von Apothekenrezeptdaten. Damals erklärte diese das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz, das ULD, das ich leite, als Datenschutzaufsichtsbehörde für unzuständig und verweigerte eine inhaltliche Auseinandersetzung mit massiven Datenschutzverstößen. Ein Höhepunkt waren natürlich die NSA-Enthüllungen von Edward Snowden, die uns Datenschützern politisch massiven Rückenwind gaben.
Man liest, Sie würden „mit einer gewissen Verärgerung, aber ohne Groll“ gehen. Können Sie das näher erläutern?
Es ist nun mal ärgerlich, dass das Projekt „Datenschutz in Schleswig-Holstein“ dadurch in Gefahr gebracht wurde, dass mit der gesetzlichen Ermöglichung meiner Wiederwahl zwar Kontinuität versprochen wurde, von dieser Möglichkeit dann aber doch kein Gebrauch gemacht wurde. Anlass für Groll habe ich nicht, weil – sozusagen in letzter Minute – mit der Wahl meiner bisherigen Stellvertreterin Marit Hansen doch noch Kontinuität gesichert wurde. So können die wissenschaftlichen Projekte des ULD, unsere Datenschutzakademie, unsere Zertifizierungsverfahren wie auch unsere Konzepte zur Modernisierung des Datenschutzes weiter verfolgt werden. Bei jeder anderen Besetzung wäre dies alles in Frage gestellt gewesen.
Sie werden mit dem Satz zitiert: „Der Datenschutz ist Spielball der Politik.“ Ist das eine Andeutung darauf, dass die Politik den Datenschutz mal wichtiger nimmt – etwa wenn plötzlich das Thema durch die Piratenpartei im Blickpunkt steht – und dieser dann wieder aus dem Fokus verschwindet, so wie die Piraten selbst fast komplett von der Bildfläche verschwunden sind? Oder was meinen Sie damit?
Politik zielt auf kurzfristige mediale Effekte. Das langfristige inhaltliche Anliegen des digitalen Grundrechtsschutzes tritt dem gegenüber zurück. Es war für mich bestürzend, wie Opposition und Regierungsfraktionen in unserem Land auf dem Rücken des Themas sich gegenseitig vorzuführen versuchten. Davon war die Piratenfraktion nicht ausgenommen. Auch dort musste ich den Eindruck haben, das es weniger um den Datenschutz geht als um die mediale Profilierung und dass hierfür das ULD lediglich instrumentalisiert wurde. Es ist traurig, aber Fakt: Eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung zwischen mir und den Piraten fand – trotz einiger Vorstöße meinerseits – praktisch nicht statt.
Wie stehen Sie zur Vorratsdatenspeicherung? Von den Piraten wurden Sie dafür kritisiert, weil Sie aus deren Sicht nicht scharf genug dagegen vorgegangen seien. Auf der anderen Seite bekamen Sie auch viel Lob und Anerkennung aus der gleichen Partei.
Meine Position hat sich in den letzten Jahren nicht wesentlich geändert und steht voll im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes: Die zweckoffene Erfassung von personenbezogenen Daten von Telekommunikationsverkehrsdaten auf Vorrat hat totalitäre Züge und ist eine Gefahr für eine freiheitliche und demokratische Informationsgesellschaft. Dies darf uns aber nicht daran hindern, mit den Sicherheitsbehörden und den Kommunikationsdiensteanbietern das Gespräch zu suchen, wie Kriminalitätsbekämpfung und IT-Sicherheit realisiert werden können. Meine Initiative anlässlich des aktuellen Regierungsvorschlages zur Vorratsdatenspeicherung zielte genau auf diese Diskussion ab. Die Reaktion, auch der Piraten, hierauf schockiert mich noch heute: Sie ignoriert offenbar völlig berechtigte gesellschaftliche Anliegen wie auch Realitäten. Bisher diskutiert kaum jemand darüber, dass Kommunikationsdienste seit Jahren ungehindert Vorratsdatenspeicherung praktizieren. Das beginnt bei Facebook, Google, WhatsApp, setzt sich fort bei europäischen Internetdienstleistern und endet noch lange nicht bei Serviceprovidern wie Vodafone und O2.
Hier ist nicht nur eine Debatte, sondern auch gesetzgeberisches und aufsichtsbehördlichen Handeln dringend nötig.
Spätestens seit Ihrer Auseinandersetzung mit Facebook, bei der es um die Speicherung von Nutzerprofilen geht, kennt man Sie auch bundesweit. Wie erklären Sie sich, dass es Bundesländer gibt, in denen die Bürger nicht einmal den Namen der Datenschutzbeauftragten kennen?
Das Selbstverständnis, die Schwerpunktsetzungen und auch die Möglichkeiten der Datenschutzbeauftragten sind sehr unterschiedlich. Die einen konzentrieren sich auf das Prüfgeschäft, andere fokussieren auf die Vermittlung von Medienkompetenz. Meine Dienststelle hat sich stark – beileibe aber nicht ausschließlich – mit den globalen Playern der Datenverarbeitung auseinandergesetzt. Letzteres fand angesichts des gewaltigen Bedeutungsgewinns von Firmen wie Facebook und Google im Hinblick auf die Politik wie die Wirtschaft mediale Resonanz. Aber all unsere Aktivitäten sind wichtig. Wichtig war und ist für das ULD auch, dass wir bei unserer Kritik zum Beispiel an Facebook die Unterstützung der anderen Kolleginnen und Kollegen fanden.
Das Unabhängige Landesdatenschutzzentrum (ULD) zählt zu den wichtigsten Datenschutzbehörden – weltweit. Sie haben einen großen Beitrag dazu geleistet. Was wünschen Sie sich für das ULD in der Zukunft?
Alles Gute. Dazu gehört mehr Personal. Mit der Europäischen Datenschutzgrundverordnung, die dieses Jahr noch verabschiedet werden soll, muss die Kontrolldichte und die Kooperation der Aufsichtsbehörden massiv ausgebaut werden.
Am 17. Dezember landet Ihre Auseinandersetzung mit Facebook vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es geht darum, ob Betreiber von Fanseiten Verantwortung dafür tragen, was Facebook mit den Nutzerdaten macht. Was erhoffen Sie sich?
Ich hoffe, dass das ULD den Prozess gewinnt. Dies wäre vielleicht ein noch größerer Sieg für den Datenschutz als das Google-Suchmaschinen-Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom Mai 2014. Deutschen Webseitenbetreibern wäre dann nicht mehr die Ausrede bei der Nutzung von illegalen Plattformen wie Google oder Facebook möglich, für diese Datenschutzverstöße nicht mitverantwortlich zu sein.
Werden Sie sich weiterhin mit dem Thema Datenschutz beschäftigen? Oder haben Sie etwas ganz anderes vor?
Ich habe derzeit noch keine konkreten Planungen. Nach einer sauberen Übergabe der ULD-Leitung werde ich mich erst einmal etwas erholen, Sport treiben und mich mehr um meine Familie kümmern. Ich kann Ihnen garantieren, dass ich dem Datenschutz oder – genauer – dem digitalen Grundrechtsschutz erhalten bleibe.
Welche Tipps würden Sie unseren Lesern für den Umgang mit ihren privaten Daten im digitalen Alltag mit auf den Weg geben?
Der erste Tipp ist: das Digitale ist nur eine Hilfe und ein Abbild unseres analogen Lebens, wo die wirkliche Musik spielt. Wer das ignoriert, kann nicht glücklich sein. Der zweite Tipp: mit Datensparsamkeit, also mit dem Vermeiden und Verwischen von digitalen Spuren, lassen sich trotz der zunehmenden Digitalisierung aller Lebensbereiche auch künftig Privatsphäre und Selbstbestimmung wahren. Dies setzt aber drittens voraus, dass wir uns intensiv mit den positiven wie den negativen Seiten der Informationstechnik auseinandersetzen und gegen Überwachung, Manipulation und digitale Diskriminierung kämpfen.