Nicht nur an der Uniklinik Göttingen, sondern auch in Regensburg wird nun ermittelt. Einer oder mehrere Ärzte sollen Patienten bei Organspenden bevorzugt haben. Der Chirurg Wolf Otto Bechstein ist schockiert und schlägt vor, die Ausbildung zu verbessern.

Stuttgart – Warum fürchten sich viele davor, einen Organspendeausweis auszufüllen? Was sagt das aus über eine Gesellschaft? Und wie kann man Manipulationen vermeiden, wie sie an den Universitätskliniken Göttingen und Regensburg vorgenommen worden sind? Wolf Otto Bechstein ist Direktor an der Frankfurter Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie und Präsident der Deutschen Transplantations-Gesellschaft. Im Gespräch mit Christine Pander gibt er Einblicke in ein Arbeitsfeld, von dem die meisten recht wenig wissen.
Herr Bechstein, haben Sie heute schon ein Organ transplantiert?
Ja, in den letzten zwölf Stunden zwei Nieren, und mein Oberarzt hat eine Leber transplantiert.

Was denken Sie, kurz nach dem bisher größten Organspendeskandal Deutschlands?
Ich bin fassungslos und wundere mich, dass das funktioniert hat. Transplantationen geschehen nicht im Hinterstübchen. In Deutschland dürfte und kann das eigentlich nicht möglich sein.

Kein Prominenter kann sich einkaufen?
Nein. Das ist verboten und strafbar.

Ist das Verfahren zur Zuteilung der Spenderorgane denn noch zeitgemäß?
Das muss man differenziert sehen. Im Transplantationsgesetz hat der Gesetzgeber 1997 die Vorgabe gemacht, dass die Organe nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht verteilt werden sollen. Viele denken, die Verteilung funktioniert wie eine Warteschleife beim Bus: Wer hinten in der Schlange steht, kommt als Letzter dran. Jeder sollte aber die gleiche Chance haben.

Unabhängig davon, wie Erfolg versprechend die Transplantation ist?
Bei der Nierentransplantation wird ein hohes Gewicht auf die Übereinstimmung des Gewebes gelegt. Aber die Wartezeit spielt eine große Rolle, damit es keine Ungerechtigkeit gibt. Diese beginnt immer nach dem Datum der ersten durchgeführten Dialyse.

Spielt das Alter des Empfängers eine Rolle?
Da gibt es eine Sonderregelung über das europäische Seniorenprogramm. Wer älter als 65 Jahre und damit einverstanden ist, eine Niere von einem älteren Spender zu bekommen, erhält schneller ein Organ, als wenn er im Gesamtpool wartet. Für einen älteren Menschen ist es wesentlich, dass er innerhalb kurzer Zeit eine Niere bekommt. Sie muss dafür weniger lange halten.

Es kann also sein, dass ein junger Mensch länger wartet.
Diese ethischen Fragen sind schwierig: Soll ein älterer Mensch, der in einer verantwortungsvollen Position zum Wohl der Gesellschaft beiträgt, eher eine Niere bekommen als eine 20-jährige Sozialhilfeempfängerin? Nach unserem Verteilungsprinzip sind alle gleich – bis auf die Ausnahme, dass es alte Organe für alte Menschen gibt.

Wie lange muss ein altes Organ halten?
Das ist schwierig und tatsächlich ein Problem. Als wir in den frühen Neunzigern anfingen, Lebern von Menschen über 60 zu transplantieren, war das noch undenkbar. Aber es ging gut! Inzwischen weiß man: auch Organe von Hirntoten über 80 können erfolgreich transplantiert werden. Das ist bei der Leber etwas Besonderes, für andere Organe gilt das nicht. Die Laborwerte helfen uns, die Lebensdauer eines Organs abzuschätzen. Wenn eine Niere durch die besonderen Todesumstände des Hirntoten einen kurzfristigen Schaden genommen hat, kann es sein, dass sie sich wieder erholt. Die Frage ist aber auch Gegenstand von aktuellen wissenschaftlichen Studien.

Würden Sie nicht lieber selbst über die Zuteilung entscheiden?
Nein. Es muss gerecht zugehen. Das Prozedere muss zu jeder Zeit transparent sein.

Sind Sie mit dem Verfahren also zufrieden?
Die Zuteilungsregeln unterliegen immer wieder Änderungen. Mein Eindruck ist, dass bei der Lebertransplantation im Moment ein starkes Gewicht auf der Dringlichkeit liegt. Die Erfolgsaussicht ist unterbewertet. Es stellt sich die Frage, ob man das ändern sollte.

Angenommen, ein Alkoholiker braucht eine Leber. Hat er die gleichen Chancen wie alle?
Für die Lebertransplantation gibt es nach den Richtlinien der Bundesärztekammer strenge Vorschriften: Wer unter einer alkoholbedingten Lebererkrankung leidet und ein Organ benötigt, muss sechs Monate trocken sein. Da wir nie wissen, wann das Spenderorgan verfügbar ist, wird beim Patienten mit alkoholbedingter Lebererkrankung vor der Transplantation ein Blutalkoholtest durchgeführt. Wir haben Patienten auch schon nach Hause geschickt.

Die Deutschen liegen mit ihrer Organspendebereitschaft im hinteren Mittelfeld. Warum ist das so?
Transplantationen und die Krankheitsbilder, die dazu führen, gehören nicht zur Lebenswelt. Sie sind zu selten, die persönliche Betroffenheit fehlt. An der Transplantationsbereitschaft zeigt sich auch, wie eine Gesellschaft mit dem Tod umgeht. Welche Bestattungsriten werden zelebriert, wie wird über die Unversehrtheit des Leibes gedacht? Das sind die relevanteren Fragen, und nicht so sehr die Debatte um die Hirntoddiagnostik. In den USA ist der Umgang mit der Organspende viel lockerer. Dort gibt es den Spruch: Im Himmel gibt es kein Bier, also lass deine Nieren hier. In Deutschland käme das wohl nicht gut an. Auch in Länder mit vergleichbaren gesetzlichen Bedingungen kann die Spendenbereitschaft ganz anders sein: Japan hat ein ähnliches Gesetzessystem wie Deutschland, aber keine Organspende.

Wird der Göttinger Fall Auswirkungen auf die Spendenbereitschaft haben?
Das wird man in drei Monaten beurteilen können. Relevanter ist für mich, wie man Fälle wie diesen künftig verhindert. Eine harte Bestrafung schreckt sicher ab. Um die Qualität der Ausbildung zu verbessern, wird es künftig aber auch eine Zusatzbezeichnung Transplantationsmedizin geben. Zur Qualifikation gehört, dass sich die Mediziner intensiv mit ethischen Fragen der Transplantationsmedizin beschäftigen. Schließlich gehen wir mit einer stark limitierten Ressource um.