Durch die türkische Community in Deutschland gehen nach dem Putschversuch gleich mehrere Risse, sagt der Berliner Anwalt und SPD-Abgeordnete Erol Özkaraca im Interview.

Berlin - Der gescheiterte Putschversuch wühlt die türkische Community in Deutschland auf. „Durch die Gesellschaft gehen mehrere Risse“, sagt der Berliner Rechtsanwalt und SPD-Abgeordnete Erol Özkaraca im Interview. Er befürchtet das Erstarken der Vertreter eines politischen Islam in Berlin – der Stadt mit den meisten türkischen Einwohnern außerhalb der Türkei. „Der Streit wird sich verschärfen.“

 
Herr Özkaraca, Sie sind seit Freitagabend in Istanbul. Was erleben Sie zur Zeit?
Im Moment erlebe ich viele Menschen, die auf Pickups und in Privatwagen durch die Straßen fahren und „Allahu Akbar“ rufen oder „Wir wollen die Scharia wiederhaben“.
Sie leben in Berlin und sind als Abgeordneter des Bezirks Neukölln im Landesparlament. Wie ist Ihr Eindruck von der türkischstämmigen Community in der Hauptstadt derzeit?
Durch die türkische Community gehen nach dem gescheiterten Putsch gleich mehrere Risse. Die Anhänger Erdogans hatten zu einer Demonstration aufgerufen, zu der Tausende kamen, um das Scheitern zu feiern. Auf der anderen Seite leben in der Stadt viele Aleviten. In der Türkei haben die Aleviten Angst vor einem Einfluss der religiösen Sunniten, der so stark ist, dass sie um ihr Leben bangen müssen. Die Berliner Aleviten wissen das und haben nun große Sorgen um ihre Angehörigen in der Türkei. Die Aleviten sind bisher in der Türkei die einzige Gruppe, die klar und stark für Laizismus und eine freie Gesellschaft eintritt. In Berlin wird das zu einer weiteren Segmentierung führen.
Hier in Berlin ist auch eine junge Community wahrnehmbar, die sich zu AKP-Anhängern wahrnehmbar. Was sehen Sie da?
Ein Beispiel für das sehr offensive Auftreten dieser Gruppe lässt sich aktuell im sozialen Netzwerk Facebook besichtigen. Die Berlinerin Betül Ulusoy, die durch ihre Kampagne für das Tragen des Kopftuchs als Rechtsreferendarin im Staatsdienst bekannt geworden ist, schreibt hier in Berlin zu dem Putschversuch: „Alles hat seinen Segen, jetzt können wir ein wenig Dreck säubern. Jeder kriegt seine Strafe.“
Wie ordnen Sie solche polarisierenden Äußerungen in der Debatte hierzulande ein?
Unser Problem ist, dass wir keine gesellschaftlichen Konsens darüber haben, wie wir mit einem politischen Islam umgehen wollen. Wir sind uns nicht mal einig darüber, wann politischer Islam beginnt. Das ist eine Gefahr für eine freie Gesellschaft. Wenn wir dieses Thema nicht offensiv angehen, machen wir einen großen Fehler.
Geben Sie ein Beispiel?
Wir debattieren zum Beispiel kontrovers über die Frage, ob die türkisch-islamische Union Ditib, die in Deutschland als Dachverband für viele Moscheen agiert, für einen politischen Islam steht. Angesichts der Tatsache, dass das Freitagsgebet aus Ankara vorgegeben wird und die Imame hierher entsandt werden, ist es mindestens naiv, das in Frage zu stellen. Frau Ulusoy gehört der Ditib an. Und in ihrem Kampf zur Durchsetzung des Einflusses eines politischen Islam in öffentlichen Ämtern kann sie sich der Unterstützung der AKP sicher sein.
Was finden einige junge Berliner mit türkischen Wurzeln, die in einer sehr laizistischen Stadt leben, an einem erstarkenden Islam anziehend?
Für sie ist es die Gesellschaft, in der sie keinen Erfolg haben und sich nicht akzeptiert fühlen. In islamistischen Kreisen wird ihnen erzählt, dass sie etwas wert sind – und zwar mehr wert als andere, weil sie die richtige Religion haben. Sie erfahren Bestätigung. Und sie sehen an aktuellen politischen Entwicklungen wie der Armenienresolution des Bundestages oder dem Umgang der EU mit der Türkei eine Parallele zu ihrem eigenen Empfinden. Das distanziert sie weiter von dieser Gesellschaft. Sie machen sich kein Bild, wie frei die deutsche Gesellschaft ist, in der sie leben. Vielleicht würden sie die richtigen Fragen stellen, wenn sie derzeit in der Türkei wären.
Die Fragen stellte Katja Bauer.