Der Präsident des Tierschutzbundes, Thomas Schröder, kritisiert im Interview mit der Stuttgarter Zeitung, dass die Folgen der Massentierhaltung weiterhin verschleiert werden.

Berlin – Mit der geplanten Novellierung des Tierschutzgesetzes springt die Bundesregierung aus Sicht von Thomas Schröder viel zu kurz. Der Präsident des Tierschutzbundes betont, dass immer mehr Bauern das System der Massentierhaltung ablehnen.
Wie tierlieb sind die Deutschen?
Viele Bürger engagieren sich für den Tierschutz. Es gibt aber das Problem, dass viele nicht wissen, wie schrecklich die Lebenslage von Millionen sogenannten Nutztieren ist. Im Supermarkt sieht man Waren, auf denen schöne Sprüche wie „Bauernglück“ oder „Gutes vom Bauernhof“ aufgedruckt sind. Das ist eine Verbrauchertäuschung, da wird versucht, die Wahrheit zu verschleiern.

Wie sieht die Wahrheit aus?
In der Intensivtierhaltung, die unter den Namen Massentierhaltung besser bekannt ist, fressen, ruhen und koten Schweine an ein und derselben Stelle und dämmern dumpf vor sich hin. Drastisch ausgedrückt: stellen Sie sich vor, Sie würden den ganzen Tag mit dem Kopf über dem Urinal hängen. Dann wird sofort klar, wie ekelhaft das ist. Wollen Sie noch ein Beispiel hören?

Bitte.
Geflügel wird der Schnabel kupiert, weil sich die Tiere in der extremen Enge des Stalls gegenseitig verletzen.

Das Kupieren setzt laut Tierschutzgesetz eine Genehmigung im Einzelfall voraus.
Richtig. Und diese sogenannte Einzelfallgenehmigung gibt es in Deutschland abermillionenfach in den Geflügelintensivhaltungen. Das Gesetz läuft ins Leere.

Agrarministerin Ilse Aigner legt nun eine Novelle des Gesetzes vor. Ab 2017 dürfen danach Ferkel nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden.
Das heißt, dass bis dahin noch 100 Millionen Ferkel ohne Betäubung kastriert werden. Das hat mit einem Fortschritt im Tierschutz nur sehr wenig zu tun, das Verbot der unbetäubten Kastration muss sofort kommen.

Aigner will stärker gegen die Qualzucht von Tieren vorgehen.
Das ist fraglos gut. Die Debatte über Qualzucht bleibt aber oft bei Heimtieren wie zum Beispiel Nackthunden oder Nacktkatzen stehen. Die Novelle macht es zudem den Amtstierärzten nicht möglich, die strengere Kontrolle zu vollziehen, weil zum Beispiel dort gar nicht steht, wann aus Sicht des Gesetzgebers Qualzucht vorliegt. Im österreichischen Gesetz ist das besser geregelt. Dort steht, dass Qualzucht vorliegt, wenn ein Tier Atemnot hat – das ist ja bei vielen Möpsen leider so – oder Lähmungserscheinungen aufweist. Solche Bestimmungen können Veterinäre wirklich vollziehen. Die fehlen in Deutschland. Und zudem weicht der Gesetzgeber in der Novelle der Tatsache aus, dass es Qualzucht auch in der Landwirtschaft gibt.

Worin besteht diese?
Puten werden so gezüchtet, dass sie eine riesige Brust haben. Die Tiere können am Ende ihres Lebens nicht mehr aufrecht stehen, sie kippen vornüber. Das ist Qualzucht. Die Zucht auf intensive Nutzung ist außer Kontrolle geraten, auch wirtschaftlich. Sauen werfen heutzutage bis zu 22 Ferkel, das Tier hat aber nur 14 Zitzen.

Viele Verbraucher wollen aber nun mal die billigen Waren kaufen, die diese Nutztierhaltung erlaubt.
Das ist reine Schuldverschiebung. Jeder hat Verantwortung, ja. Aber es ist doch so, dass viele Bürger nichts von den schlimmen Lebensbedingungen wissen und bei konventionell erzeugtem Fleisch nicht erkennen können, wie ein Tier gelebt hat. Das ist Irreführung. Deshalb arbeiten wir im Tierschutzbund an einem zweistufigen Tierschutzlabel mit Standards weit über das Tierschutzgesetz hinaus, damit Verbraucher ihre Macht ausspielen können.

Teurer werden bessere Haltungsformen von Nutztieren aber allemal.
Den Aufpreis würden viele gerne bezahlen. Wenn man die Ferkelkastration mit Betäubung machte, würde das Kilo Schweinefleisch um 15 Cent teurer.

Selbst wenn der Staat strenge Auflagen für die Nutztierhaltung machte, könnten Bauern aus anderen Ländern weiter Massentierhaltung machen und entsprechend billige Waren nach Deutschland liefern.
Wenn dieses Argument unsere politische Kultur bestimmen würde, dürfte Deutschland bis heute kein Wahlrecht für Frauen haben. Einer muss der Vorreiter sein. Sonst ändert sich nie etwas.

Der Bauernverband zieht bei dem Systemwechsel, den Sie wollen, nicht mit.
Es bewegt sich was, immer mehr Bauern spüren doch längst, dass es so nicht weitergehen kann. Von der Geflügelproduktion kann heute ein Bauer im Vollerwerb nur leben, wenn er bei einem Mastdurchgang von etwa 30 Tagen circa 80 000 Tiere intensiv hält. Wir vom Tierschutzbund verteufeln die Bauern nicht. Ganz im Gegenteil machen wir ihnen mit unserem Label, das ab Januar in einzelnen Regionen startet, ein Angebot. Wir wollen, dass sich im konventionellen Teil der Landwirtschaft der Tierschutz Schritt für Schritt verbessert und dass das über das Tierschutzsiegel auf der Ware im Supermarkt erkennbar wird. Denn solange Fleisch gegessen wird, müssen wir für die Millionen Tiere etwas tun.