Der integrationspolitische Sprecher der Grünen, Memet Kilic, zweifelt, ob er seine Jungen noch beschneiden lässt. Der Politik traut der Grüne in dieser Grundsatzfrage wenig zu.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)
Stuttgart Nach dem umstrittenen Urteil des Kölner Landgerichts zur Beschneidung steckt der integrationspolitische Sprecher der Grünen in der gleichen Zwickmühle wie andere muslimische Eltern. Der Richterspruch ermahne, die Traditionen zu überprüfen, sagt Memet Kilic.
Herr Kilic, lassen Sie Ihre beiden Söhne jetzt noch beschneiden?
Darüber muss ich noch mit meiner Frau reden. Vermutlich wären wir einfach der Tradition gefolgt. Nun hat mich das Urteil aber nachdenklich gemacht. Die beiden sind ein und acht Jahre alt. Es könnte womöglich besser sein, wenn meine Söhne in späteren Jahren selbst entscheiden dürfen, ob sie dieses Merkmal unserer Religion tragen wollen oder nicht. Denken Sie nur daran: im Petitionsausschuss beschäftigen wir uns gerade damit, ob man Pferde wirklich brandmarken muss oder ob es nicht mildere Verfahren gibt. Da sollte die Frage nach der Beschneidung kleiner Jungen auch kein Tabu sein.

Stünden ihre Jungen dann gegenüber andern Gläubigen als Außenseiter dar?
Traditionen wandeln sich zum Glück. Es gibt heute keine religiös begründeten Menschenopfer mehr. Die Beschneidung von Mädchen ist zu Recht verboten. Viele Sitten, die früher als unumstößlich galten, haben sich geändert. Die Glaubensgemeinschaften, die auf den Stammvater Abraham zurückgehen, fordern zum Gebrauch der Vernunft auf. Das heißt: neue Einsichten erlauben es auch, alte Praktiken zu ändern.

Kirchen, Muslime und Juden beklagen, das Gericht habe die Religionsfreiheit verletzt, zu Recht?
Die Diskussion um Veränderungen sollte sensibel geführt werden. Bisher läuft sie viel zu reflexhaft ab. Ich verstehe das Urteil als einen Denkanstoß, der der Justiz in einem säkularen Staat durchaus zukommt. Wenn alle Religionen gemeinsam sich gegen den Richterspruch wenden, kommt bei mir der Verdacht auf, sie verteidigen auch ihren eigenen Machtbereich.

Viele befürchten, dass nun Pfuscher die Eingriffe vornehmen. Ist das eine Gefahr?
Das war schon bisher eine Gefahr, jedoch kann es sich noch zuspitzen. Allerdings darf die Einordnung der Lebensverhältnisse durch den Rechtsstaat sich nicht allein mit der einfacheren oder sichereren Handhabe begründen. Ansonsten könnte man dieser Argumentation folgen und auch die Mädchenbeschneidungen in Deutschland erlauben, damit diese hygienischer gestaltet werden. Dies wäre offensichtlich ein Irrweg. Daher muss man an die Religionsgemeinschaften appellieren, dass sie sich an der gesellschaftlichen Diskussion dahin gehend beteiligen, ob es nicht sinnvoll wäre, bis zur Religionsmündigkeit der Jungen abzuwarten.

Ist es aufgrund der unheilvollen deutschen Geschichte nicht undenkbar, hier Juden die Beschneidung zu untersagen?
Das ist tatsächlich ein schwer wiegender Aspekt. Nicht zuletzt deshalb bin ich gar nicht dafür, nun schnelle Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir sollten uns Zeit für eine gründliche Debatte nehmen. An deren Ende kann durchaus auch stehen, dass sich an den bisherigen Verfahren wenig ändert.

Muslime und Juden verlangen nun eine rechtliche Klarstellung. Kann die Politik dies leisten?
Da habe ich meine Zweifel. Es ist ja eine Frage, die niemals für alle Seiten befriedigend zu lösen ist. Vielleicht wäre eine Regelung ähnlich wie in Schwangerschaftskonflikten ein Ausweg. Dann würde festgeschrieben, dass eine Beschneidung kleiner Jungen zwar verboten ist, aber straffrei bleibt. Und man würde fordern, dass alles medizinisch korrekt ablaufen muss und überdies möglichst bis zur Religionsmündigkeit der Kinder gewartet werden soll. Ich nehme aber an, dass der Politik am Ende doch der Mut fehlen wird und schließlich das Bundesverfassungsgericht die Sache entscheiden muss.