Der Stuttgarter Energieexperte Frithjof Staiß soll prüfen, ob genügend Stromtrassen gebaut werden. Wir haben mit ihm gesprochen.

Stuttgart - Das Bundeskabinett hat, wie berichtet, vier Wissenschaftler berufen, die Umsetzung der Energiewende zu überprüfen. Frithjof Staiß vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) ist einer von ihnen.

 

Herr Staiß, was ist in Sachen Energiewende alles geplant?

Die Energiewende steht zurzeit vor allem wegen der Katastrophe von Fukushima und dem plötzlichen Wechsel weg von der Kernenergie in der öffentlichen Wahrnehmung. Das ist aber verkürzt. Die Energiewende ist schon lange eingeleitet, nicht nur in Deutschland, sondern auch auf der europäischen Ebene. Auch in vielen Bundesländern gibt es Energiekonzepte, und das Gleiche gilt für die Kommunen. Fukushima war letztlich nur der wichtige Anstoß, diesen Prozess deutlich zu beschleunigen.

Sind die vorliegenden Konzepte konkret genug für eine Expertenprüfung?

Auf Bundesebene ist die Basis das inzwischen angepasste Energiekonzept der Bundesregierung vom September vergangenen Jahres. Das ist jenes Konzept, in dem zunächst die Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke festgelegt wurde und das deswegen durch die Medien ging. Doch in diesem Konzept steht viel mehr drin. Für die Politik gibt es drei Antriebskräfte: zum Ersten den Klimaschutz, zu dem wir Europäer schon Beschlüsse gefasst haben, und zum Zweiten die Frage, wo künftig unsere Energie herkommen wird. Der dritte Treiber liegt darin, dass wir uns von dieser Energiewende erhebliche wirtschaftliche Vorteile versprechen. Wenn wir auf Effizienz und erneuerbare Energien setzen, ist das ein Schwenk weg von den heutigen Ausgaben für Energieimporte hin zu einer heimischen Wertschöpfung.

Sie schließen sich nicht der Kritik an, dass es eine kurzatmige Entscheidung war, aus der Kernenergie komplett auszusteigen?

In der öffentlichen Wahrnehmung war das sicher so. Aber im Energiekonzept der Bundesregierung steht auch, dass wir den Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung von aktuellen 20 auf 35 Prozent anheben wollen. Da war bereits eine Fortentwicklung mit hoher Dynamik vorgesehen.

2020: eine Millionen Elektrofahrzeuge

Wie muss man sich die Arbeit Ihrer Gutachterkommission vorstellen?

 Wir werden uns zeitnah zusammensetzen und unser Vorgehen abstimmen. Sicher ist aber, dass wir uns auf wichtige quantitative Zielsetzungen in der energiepolitischen Konzeption der Bundesregierung stützen werden, außer dem genannten etwa, dass bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge über deutsche Straßen rollen sollen, dass wir den Wärmeverbrauch in Gebäuden um 20 Prozent senken wollen. Hier können wir anhand der Fakten prüfen, wie weit wir vorangekommen sind. Zudem müssen Maßnahmen eingeleitet werden, wenn die Ziele erreicht werden sollen. Ein Beispiel aus dem Energiekonzept: Wir brauchen einen Ausbau der Stromnetze. Um den zu beschleunigen, wurde das Energieleitungsausbaugesetz beschlossen. Unsere Frage wird sein: Sind gesetzliche Regelungen wie diese a) geeignet, um die Ziele zu erreichen, und b) lassen sie sich durchsetzen?

Sie werden nach möglichen Widerständen fragen, etwa gegen neue Stromtrassen?

Das Beispiel habe ich gewählt, weil wir die Rechnung nicht ohne den Wirt machen dürfen. Wenn wir für diese politischen Strategien nicht die Akzeptanz in der Bevölkerung finden, wird das Konzept niemals aufgehen. Die Kommission wird aber noch mehr tun müssen: Wir werden uns mit der Komplementarität von Maßnahmen befassen müssen. Man kann die Energieeffizienz erhöhen, und man kann die erneuerbaren Energien ausbauen. Beides muss aber zusammenpassen. Es ist zum Beispiel dann besonders sinnvoll, ein Gebäude mit Holz, Erdwärme oder solarer Wärme zu heizen, wenn es auch gut gedämmt ist. Und nicht zuletzt werden wir uns um die Kosten kümmern. Die sind entscheidend für die Akzeptanz in der Bevölkerung.

Sie sollen zwei Papiere erstellen: einen jährlichen Monitoringbericht und alle drei Jahre einen Fortschrittsbericht.

Eine Korrektur: zuständig für den Prozess der Energiewende sind in erster Linie der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesumweltminister. Die beiden Ressorts erstellen selbst die Berichte. Wir als Kommission begleiten diesen Prozess und geben zu den Berichten eine Stellungnahme ab, die von den Ministerien berücksichtigt und dem späteren Kabinettbericht beigefügt wird. Die Berichte werden nach Beschlussfassung im Kabinett dem Bundestag und dem Bundesrat zugeleitet. 

Finger auch mal in die Wunde legen

Werden Sie im Hintergrund arbeiten oder werden Einwände der Kommission auch in den Berichten auftauchen?

 Ich möchte die Kollegen nicht vereinnahmen. Für mich selbst kann ich sagen: Wenn man mich in ein solches Gremium beruft, werde ich sicher auch kritische Töne anbringen. Man muss den Finger schon mal in die Wunde legen und sagen: So wird es wohl nicht funktionieren, da muss mehr getan werden. Dafür sind wir unabhängige Sachverständige.

Wird Ihre Stellungnahme veröffentlicht?

Im offiziellen Wortlaut heißt es: "Die Stellungnahme der Kommission wird bei der Erstellung des Monitoringberichts der Bundesregierung berücksichtigt und diesem als Anlage beigefügt." Das heißt, unser Votum wird nicht nur den politischen Entscheidungsinstanzen weitergeleitet, sondern, da bin ich mir sehr sicher, auch der Öffentlichkeit zugänglich werden.

Wann geht es mit Ihrer Arbeit los, und für welchen Zeitraum gilt Ihr Auftrag?

Wir werden in Kürze ein erstes Treffen mit den beiden Bundesressorts haben. Dann wird bis Ende 2012 der erste Bericht erstellt. Was die Dauer des Auftrages angeht: der ist unbefristet. Es ist im Übrigen kein Auftrag, sondern eine ehrenamtliche Tätigkeit. Aber es freut mich, dass die Bundesregierung diesen Schritt geht, auch um die Energiewende transparent zu gestalten. Ich glaube, dass beides gelingen wird und möchte gern meinen Beitrag dazu leisten.

Der Politikberater

Transparenz bei der Umsetzung der Energiewende ist ihm wichtig: Frithjof Staiß, Jahrgang 1961, hat in Darmstadt Wirtschaftsingenieurwesen studiert und ist dort Honorarprofessor am Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Seit 1989 arbeitet er am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung. Seit 2007 ist er geschäftsführender Vorstand des ZSW, das Standorte in Stuttgart, Widderstall und Ulm hat.