Wenn ältere Autofahrer auf zu viele Reize reagieren müssen, können sie überfordert sein, sagt der Geriater Hans Jürgen Heppner. Auf andere Formen der Mobilität umzusteigen, sei für Senioren der große Wurf.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart - Der Geriatrieprofessor Hans Jürgen Heppner ist davon überzeugt, dass auch alte Menschen sich neue Techniken der Mobilität bedienen können. Im Interview erklärt er, warum das autonome Fahren für Senioren ein Befreiungsschlag ist.

 
Herr Heppner, warum fällt es Menschen so schwer, die Grenzen ihrer Fahrtüchtigkeit zu erkennen?
Weil man sich dann ganz stark in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt fühlt. Der Führerschein steht ja nicht nur für Mobilität, also etwa fürs Einkaufen gehen. Er ist ein Zeichen für Selbstbestimmtheit. Man muss 18 Jahre drauf warten, macht eine Prüfung und hat ihn – und kommt unabhängig von anderen dorthin, wohin man will. Das will man sich von außen nicht nehmen lassen.
Man spürt nicht selbst, dass es nicht mehr geht?
Das ist schwer. Unter meinen Patienten sind ganz wenige, die sagen, dass sie nicht mehr Auto fahren können. Es wird immer argumentiert, dass man die Strecken kennt, die man fährt.
Aber auch dort kann ein Kind vors Auto laufen.
Genau. Das ist die Problematik: Gewohnte Strecken wie etwa der Weg in den Supermarkt funktionieren sehr gut. Da kann man über Fahrerfahrung wettmachen, was man an Reaktionsvermögen vielleicht nicht mehr hat. Den Weg in die Innenstadt schafft man dann schon nicht mehr wegen der vielen Reize. Sobald eine andere Verkehrsführung oder eine neue Ampel die Aufmerksamkeit durcheinanderbringen, hat man große Schwierigkeiten, auf diese Außenreize zu reagieren.
Wie überzeugt man Menschen, dass es an der Zeit ist, den Führerschein zurückzugeben – das Selberfahren aufzugeben?
Das geht nur über Angehörigengespräche und den Rat, zu einem Check in der Fahrschule zu gehen.
Ist es gesünder, wenn man sich selbstständig vom Führerschein verabschiedet?
Ja. Dann behält der Betroffene auch die Würde. Im Alter redet man ja viel von Defiziten, also dem, was man nicht mehr kann. Beim Thema Autofahren ist es jedoch ein Zeichen von Kompetenz, wenn man sein Defizit erkennt.
Sind ältere Menschen in der Lage, sich technische Neuerungen wie das autonome Fahren anzueignen?
Ich denke nicht, dass man zu alt für neue Techniken ist. Es ist immer eine Frage, ob man das möchte. Assistenzsysteme sind sicher super. Es ist nur eine Frage der altersgerechten Bedienungsmöglichkeit.
Kann man darauf setzen, dass die Digital Natives dann alt sind, wenn die Systeme voll einsatzfähig sind?
Wahrscheinlich sind es Menschen so wie ich, die jetzt so um die 50 Jahre alt sind, die Nutzer dieser Technik werden. Ob es 80-Jährige heute anwenden würden, glaube ich nicht. Aber das ist eine Haltungsfrage und keine Frage irgendwelcher physiologischer Abläufe. Man müsste halt früh mit der Nachschulung anfangen. Aber das ist ja heute schon nicht der Fall. Man bekommt einmal einen Führerschein, wird im Laufe der Zeit zum Brillenträger und muss trotzdem nicht zu Gesundheitschecks. Es wäre angebracht, wenn man Autofahren, was ja nicht ungefährlich ist, kontinuierlich schulen würde.
Ist das autonome Fahren für Senioren ein Befreiungsschlag?
Nicht nur für die Senioren. Aber sie würden ganz besonders profitieren, weil sie durch körperliche Einschränkungen an Mobilität verlieren, die dieses System voll ausgleichen könnte. Das ist der Wurf für die Zukunft, unsere Selbstbestimmung zu erhalten.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.altersforschung-stadt-muss-lust-auf-bewegung-machen.ba95b463-ea12-4ed7-9dc3-033d2aaf3693.html http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.bad-saeckingen-85-jaehriger-steht-nach-toedlicher-irrfahrt-vor-gericht.0f29e6f8-28ec-462f-a117-a2d2ad9e34e7.html