Nach dem Bruch zwischen dem Kriminologen Christian Pfeiffer und der katholischen Kirche: Christian Weisner, der Sprecher der Reformbewegung „Wir sind Kirche“, sieht die Glaubwürdigkeit der deutschen Bischöfe erschüttert.


HHerr Weisner, wie bewerten Sie den Bruch zwischen den Kriminologen und der Kirche?
Das ist eine verheerende Nachricht für die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche. Bei allem Respekt vor den Einzelmaßnahmen, die sie in manchem sogar vorbildhaft ergriffen hat seit der Aufdeckung des Skandals durch die Jesuiten vor drei Jahren: es ist zu befürchten, dass man an die Ursachenforschung, warum es in der Kirche sexualisierte Gewalt gab und was das Besondere daran ist, nicht heranwill. Die Prävention, die telefonische Hotline, die nicht großzügige, aber gewisse Entschädigung für die Opfer – das ist alles gut und richtig. Aber es fehlt die Auseinandersetzung mit den tieferen Ursachen. Da käme man zu Fragen nach dem Zölibat, der katholischen Soziallehre sowie dem System Kirche, das geprägt ist von Gehorsam und Autorität. Jeder Einzelfall ist schlimm, aber es geht um Strukturen – vor allem um die Vertuschung, wenn in den letzten Jahrzehnten Täter einfach in andere Gemeinden versetzt worden sind.

Wird der Missbrauch unter den Teppich gekehrt?
Die Aufarbeitung des jahrzehntelangen Missbrauches, der ja immer Machtmissbrauch von Priestern und Ordensleuten gegenüber Schutzbefohlenen war, ist ein schwieriger Prozess. Manchmal denke ich, er ist genauso schwierig wie damals, als der Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld die Hexenverbrennung und Inquisition angeprangert hat. Wir brauchen einen Kulturwechsel in der katholischen Kirche. Wir müssen uns mit den sehr unangenehmen Wahrheiten auseinandersetzen. Jetzt entsteht der Eindruck, dass die Bischöfe diesen Prozess stoppen wollen. Ich verstehe nicht, warum der Widerstand ausgerechnet vom Münchner Erzbistum ausgegangen ist. Denn es war Kardinal Marx, der vor drei Jahren den forschen Aufklärer gegeben hat, der eine Untersuchung mit Anwälten veranlasste, die schockierende Ergebnisse brachte. Ich habe den Verdacht, dass anfangs in der größten Not und nach einer Schockstarre viel versprochen worden ist, und die Bischöfe sich nun schwertun, das einzulösen. Ich denke an den Dialogprozess, den Erzbischof Zollitsch angeregt hat. Der ist zu einem Gesprächsprozess heruntergekühlt worden. Man denkt heute, es ist Gras über die Sache gewachsen, man kann zum Alltagsgeschäft übergehen.

Wie geht’s nun weiter mit der Aufklärung?
Wir stehen vor einem Scherbenhaufen. Das Vertrauensverhältnis der Bischofskonferenz gegenüber Professor Pfeiffer ist gestört. Aber gestört ist auch das Vertrauen von Kirchenvolk und Öffentlichkeit in die Kirche. Besonders die vielen Opfer werden enttäuscht und schockiert darüber sein, dass die Bischöfe so schnell wieder einpacken. Ich warne davor, dass Ganze jetzt zu einer Causa Pfeiffer zu machen. Die Kirche will sich nicht in die Karten gucken und eine unabhängige Untersuchung über sich ergehen lassen. Aber schauen Sie nach Irland und Belgien. Da hat die Kirche es auch nicht geschafft. In Irland hat dann der Staat die Untersuchungen geführt, in Belgien ist der Staatsanwalt ins Ordinariat gekommen und hat Akten konfisziert. Es geht also auch anders.

Hat der Datenschutz die Untersuchung erschwert?
Der Hinweis des Münchner Generalvikars auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte ist ein vorgeschobenes Argument, wenn man weiß, wie die Kirche mit personenbezogenen Daten umgegangen ist. Es geht doch nicht darum, dass Namen an die Öffentlichkeit gelangen. Es geht um eine wissenschaftliche Untersuchung. Der Gutachter muss seine Schlüsse ziehen können, erst im nächsten Schritt kann die Kirche dazu Stellung nehmen. Es kann nicht sein, dass sie Ergebnisse diktiert. Ich glaube nicht, dass man in der jetzigen Lage einen renommierten Wissenschaftler findet, der Pfeiffers Arbeit fortsetzen will.