Der Freiburger Kriminologe Hans-Jörg Albrecht hält die Angst der Menschen, Opfer eines Anschlags zu werden, für unbegründet.

Freiburg - Der Terror ändert an der entspannten Sicherheitslage in Deutschland nichts, meint der Freiburger Kriminologe Hans-Jörg Albrecht. Die Anschläge würden von der Öffentlichkeit aber bedrohlicher wahrgenommen.

 
Herr Prof. Albrecht, die Anschläge der letzten Wochen erwecken den Eindruck, dass die Zeiten unsicherer werden. Stimmt das?
Die Gewaltkriminalität nimmt nicht zu, sondern eher ab. Das mag für Frankreich zuletzt etwas anders aussehen, weil die Kurve der Tötungsdelikte wegen der Anschläge von Paris und Nizza einen kleinen Knick nach oben erhält. Insgesamt verändert sich der Trend jedoch nicht.
Die Bedrohung ist also nicht gewachsen?
Die Bedrohung wird eher kleiner. Alle Indikatoren deuten darauf hin, dass wir in einer sehr sicheren Gesellschaft leben. Die Kriminalstatistik zeigt zum Beispiel, dass die Zahl der Straftaten unter Einsatz von Schusswaffen abnimmt. An diesem Trend ändern die Anschläge der letzten zwei Wochen nichts. Wenn man es zynisch sagen wollte, ist ein Lottotreffer wahrscheinlicher, als bei einem Anschlag ums Leben zu kommen.
Viele Menschen nehmen das anders wahr. Woher rührt dieser Widerspruch?
Bestimmte Gewalttaten schlagen sich im öffentlichen Bewusstsein sehr viel stärker nieder als die durchschnittliche Gewalt, die sich meist im sozialen Nahraum abspielt. Dort finden die häufigsten Tötungsdelikte statt. Doch die Anschläge im öffentlichen Raum sind furchtbesetzter.
Lässt sich die Politik von dieser Furcht anstecken?
Da gibt es einen Zusammenhang. Die Politik reagiert auf solche angstbesetzten Ereignisse. Dazu tragen auch die Medien bei.
Welche Lehren ziehen Sie aus München?
Wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie es zu der offensichtlichen falschen Lagebeurteilung kam. Sicher, wir haben es mit einer exzessiven Gewalttat zu tun. Doch der Täter war binnen einer Stunde tot. Diese Situation wurde beantwortet mit dem Einsatz Tausender Polizisten, die über ganz München verteilt waren, mit einem lahm gelegten öffentlichen Nahverkehr, mit der Räumung von Bahnhöfen und mit der Aufforderung an die Bevölkerung, in den Häusern zu bleiben. Die gesamte Infrastruktur einer Großstadt war blockiert. Es gab ja sogar Überlegungen, die Bundeswehr einzusetzen. Das ist teilweise dem Ruder gelaufen.
Setzt man nicht besser zu viele als zu wenige Polizisten ein?
Man könnte auch versuchen, gezielter auf eine konkrete Lage zu reagieren. In München ist über Stunden hinweg das öffentliche Leben fast völlig zusammengebrochen. Das ist unverhältnismäßig – was die Kosten betrifft, aber auch mit Blick auf die Konsequenzen für das Sicherheitsgefühl der Bürger.
Bund und Länder wollen die Polizei stärken. Gilt hier: Viel hilft viel?
Die Polizei könnte sicher ein paar zusätzliche Stellen vertragen, denn sie ist durch sehr viele Zusatzaufgaben belastet, durch Demonstrationen, Fußballspiele und Ähnliches. Man kann das aber nicht mit den Ereignissen von München, Ansbach oder Würzburg begründen. Die haben nämlich gezeigt, dass die deutsche Polizei darauf sehr schnell und professionell reagieren kann.
Die Diskussion um ein schärferes Waffengesetz lebt wieder auf. Stimmt die Gleichung: Weniger Waffen = mehr Sicherheit?
So grundsätzlich stimmt das nicht. Als Beleg für die hohe Zahl der Tötungsdelikte in den USA wird ja gern der leichte Zugang für Schusswaffen genommen. Doch in der Schweiz gibt es auch einen sehr einfachen Zugang, schon deshalb, weil viele jüngere Männer zu Hause ein Sturmgewehr stehen haben. Auch in anderen europäischen Ländern ist die Verfügbarkeit von Schusswaffen relativ hoch. Das hat aber mit deren Verwendung nichts zu tun. Die Verschärfung des deutschen Waffenrechts bringt nichts, wenn Sie sehen, woher die Münchener Waffe stammt. In der Slowakei ist es offensichtlich nicht so schwierig, an umgebaute Pistolen zu gelangen. Und die Kalaschnikows, die in Paris verwendet wurden, stammen wohl auch aus der Slowakei.
Beeinträchtigen Flüchtlinge die Sicherheit in Deutschland?
Die Veränderungen sind im Rahmen des Erwartbaren. Bei einem Zuzug von mehr als einer Million Menschen, davon zwei Drittel jüngere Männer zwischen 16 und 35 Jahren, haben Sie einfach ein paar Hunderttausend, die sich im aktivsten Alter befinden, was Kriminalität angeht. Es wäre ein Wunder, wenn diese jungen Männer sich anders verhielten, als es andere in diesem Alter durchschnittlich tun. Man muss aber auch sehen, dass manche Flüchtlinge anfällig sind für die Parolen radikaler Gruppen, weil sie psychisch labil sind oder enttäuscht wurden. Solange der IS im Irak und in Syrien sein Territorium hält und auf dieser Grundlage jüngere Leute ansprechen kann, wird er auf Resonanz stoßen. Das wird an der gesamten Sicherheitslage aber nichts ändern.
Was raten Sie Politik und Bürgern im Angesicht des Terrors?
Ich rate zu Ruhe und Besonnenheit. Die allgemeine Unsicherheit rührt offensichtlich auch aus dem Gefühl, dass die Politik bei den Flüchtlingen nicht in der Lage ist, gestaltend einzugreifen.