Der Soziologe Peter Weingart hat sich besorgt über den Zustand der Wissenschaftskommunikation geäußert. Im Interview verteidigt er sich nun gegen die Kritik: Es gehe ihm genauso um die Fehler der Wissenschaftler wie um die der Medien.

Hannover – - Auf einer Tagung in Hannover hat mir Peter Weingart gesagt, dass ich ihn kürzlich – in diesem Kommentar – missverstanden hätte. Weingart, der das Institut geleitet hat, an dem ich promoviert habe, ist Sprecher einer Arbeitsgruppe, die Empfehlungen zur Wissenschaftskommunikation herausgegeben hat. Die Technikakademie acatech hatte das Projekt angeregt und die Stellungnahme gemeinsam mit den Akademien BBAW in Berlin und Leopoldina in Halle verabschiedet. Weingart sagt, dass die selbstkritische Betrachtung der Wissenschaft in den Reaktionen auf die Stellungnahme zu wenig gewürdigt worden sei. Auf der Tagung in Hannover ging es – auf Einladung der Volkswagen-Stiftung – ebenfalls um die Frage, was gute Wissenschaftskommunikation ausmacht. Dort haben die beiden Kommunikationswissenschaftler Frank Marcinkowski und Matthias Kohring mit ihrer Frage, wozu Wissenschaftskommunikation überhaupt gut sei, für Aufsehen gesorgt. Damit beginnt mein Interview mit Peter Weingart.
Herr Weingart, Ihre Kollegen Frank Marcinkowski und Matthias Kohring haben zum Auftakt der Tagung behauptet, dass Wissenschaftskommunikation der Wissenschaft schaden könne, und damit vielen anwesenden Pressesprechern vor den Kopf gestoßen. Was war damit gemeint?
Der Ansatzpunkt, der für Nicht-Soziologen nicht nachvollziehbar ist, ist die Systemtheorie. Damit wird die Ausdifferenzierung der Wissenschaft und anderer Sozialsysteme beschrieben. Die Sozialsysteme operieren nach ihren eigenen Logiken, und wenn sie dazu gezwungen werden, sich an anderen Systemen zu orientieren, kann das unter Umständen zu Verwerfungen führen. Wenn sich die Wissenschaft zum Beispiel an den Medien orientiert und auf ihren Nachrichtenwert schaut, dann kann ein Preis dafür sein, dass sie an Vertrauen verliert. Die Schädlichkeit einer bestimmten Art von Wissenschaftskommunikation kann also Vertrauensverlust sein.
Sie sagen „unter Umständen“ und sprechen von „einer bestimmten Art von Wissenschaftskommunikation“. Das klingt schwächer, als ich es beim Vortrag von Marcinkowski und Kohring empfunden hatte. Die beiden sagten doch, dass die Kommunikation nicht zur Logik der Wissenschaft gehöre und daher immer außerwissenschaftliche Interessen hineinbringe. Marcinkowski und Kohring haben daher empfohlen, die Kommunikation nach außen darauf zu beschränken, die Arbeit der Wissenschaft darzustellen, weil sie zu großen Teilen öffentlich gefördert wird.
Das ist ein fatales Missverständnis. Marcinkowski und Kohring haben gesagt, dass Kommunikation nach außen nicht zum Kerngeschäft der Wissenschaft gehört. Aber sie haben nicht gefordert, dass die Wissenschaft gar nicht kommunizieren sollte, sondern nur, dass die Wissenschaft dabei ihre eigenen Regeln wahren sollte: also keine werbende oder strategische Kommunikation mit Blick auf die Medien oder die Politik, sondern wahrhaftige Kommunikation. In unserer Stellungnahme haben wir ähnlich argumentiert, und ich kann das nur unterstreichen.
Können Sie verstehen, dass einige Pressesprecher empört waren, weil sie den Eindruck hatten, dass man sie abschaffen wolle?
Ja, das bin ich auch bei der Präsentation unserer Stellungnahme gefragt worden. Dass die Wissenschaft über ihre Verwendung von Steuermitteln Rechenschaft ablegen muss, steht aber außer Frage. Das ist über die Grenzen von Sozialsystemen nur durch Vermittlung möglich, auch wenn das Systemtheoretiker für ausgeschlossen halten. Wissenschaftskommunikatoren vertreten dabei die Interessen ihrer Einrichtung. Sie erklären zum Beispiel, was eine Universität für die Gesellschaft relevant macht.
In Ihrer Stellungnahme habe ich einen Hinweis darauf vermisst, dass sich die Akademien als Stimme der Wissenschaft sehen und daher befangen sind.
Diese Kritik klingt so, als seien die Empfehlungen nur nach außen, also an die Medien gerichtet. Sie sind aber auch kritisch nach innen gerichtet. Auch Wissenschaftler kommunizieren manchmal übereifrig, produzieren Hypes oder orientieren sich an den Leistungsindikatoren, ohne sich zu fragen, wohin das führt.
Meinen Sie mit Leistungsindikatoren die Impact Faktoren, die angeben, wie oft ein Artikel oder eine Zeitschrift in anderen Artikeln oder Zeitschriften zitiert wird?
Die Orientierung daran wirkt wie eine innerwissenschaftliche Geschichte, aber der Impact Faktor ist eine unsinnige Zahl. Früher wusste jeder Wissenschaftler, wie die renommierten Journale in seinem Fachgebiet heißen. Heute schaut man auf den Impact Faktor – und der wird manipuliert. Zum Beispiel animieren manche Herausgeber ihre Autoren, Artikel aus ihrer Zeitschrift zu zitieren, obwohl sie der Autor ursprünglich gar nicht in seiner Literaturliste aufgeführt hatte.
Hätten Sie sich vorstellen können, in der Stellungnahme auf den Einwand einzugehen, dass die Akademien versuchen, die Rahmenbedingungen für ihre Kommunikation zu beeinflussen?
Ich muss gestehen, dass ich nicht darauf vorbereitet war, dass die Kritik in dieser Schärfe kommt, weil wir uns in der Arbeitsgruppe einig waren, dass das Problem die Wissenschaft genauso betrifft wie die Medien. Wir dachten also, wir hätten diesen Punkt erledigt.
Viele haben nicht verstanden, warum Sie die neuen Medien aus der Stellungnahme vorerst ausklammern. Kann man die klassischen Medien getrennt von den neuen behandeln?
Zunächst einmal haben wir eine Expertise von Christoph Neuberger von der LMU München eingeholt, die im Begleitband zur Stellungnahme enthalten ist. Aber zu Ihrer Frage: ja, das kann man getrennt behandeln. Nicht nur, weil es sich um unterschiedliche Technologien handelt, sondern vor allem, weil in den neuen Medien typischerweise eine Redaktion als Kontrollinstanz fehlt. Bloggen ist Kommunikation von allen für alle. Einige Blogger haben auch kritisiert, dass sie nicht gefragt worden seien. Aber die Arbeitsweise der Akademien ist nicht, ein öffentliches Forum zu schaffen, in dem alle sitzen. Wir rezipieren vielmehr Forschung – und zu den neuen Medien gibt es erst wenig Forschung.
Müsste man die neuen Medien nicht allein deshalb berücksichtigen, weil sie die klassischen Medien beeinflussen? Sie erhöhen zum Beispiel das Tempo und die Interaktivität, und Verlagshäuser entwickeln neue journalistische Formate.
Es gibt noch weitere Aspekte, etwa die Art der Themenauswahl. Die Selbstdarstellung der Blogger hebt sich schon von der zurückgenommenen Art der Zeitungen ab. Oder denken Sie an das Mobilisierungspotenzial: Es ist eine Sache, in der Politik für mehr Klimaschutz zu werben, und eine andere, zu einem Impfboykott aufzurufen.
Aus Ihren Äußerungen höre ich eine gewisse Abneigung gegenüber neuen Medien heraus.
So würde ich das nicht sagen. Ich sage nur, dass der Hype, der um sie gemacht wird, nicht gerechtfertigt ist. In den Reaktionen auf unsere Stellungnahme im Internet findet man zum Beispiel eine Menge flacher und redundanter Kommunikation. Die neuen Medien als demokratische Medien zu feiern, finde ich übertrieben. Aber das sind natürlich Themen, die der nächsten Stellungnahme vorbehalten sind, und in den Diskussionen werden wir dann sicher auch andere Meinungen hören.
In der aktuellen Stellungnahme schreiben Sie, dass die Medien nicht nur auf populäre Mainstreamthemen wie Dinosaurier setzen, sondern sich auch um die Forschungspolitik kümmern sollten. Haben Sie ein Rezept dafür, wie man Forschungspolitik für ein breites Publikum interessant macht?
Nein, das habe ich nicht. Aber ich frage mich, warum Zeitungen nicht auch wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen einem Bildungsauftrag nachkommen. Zeitungen sind natürlich Wirtschaftsunternehmen, aber der Wissenschaftsjournalismus könnte zum Beispiel durch Stiftungen gefördert werden. Wahrscheinlich werden sich die Medien differenzieren müssen und ein spezifischeres Publikum bedienen. Ein Beispiel dafür sind die Krautreporter, die über Crowdfunding Geld gesammelt haben und sich ihr eigenes Publikum schaffen.
Warum sollten für den Wissenschaftsjournalismus nicht dieselben ökonomischen Regeln gelten wie für andere Ressorts wie Politik und Sport? Für mich ist Wissenschaftsjournalismus eine ganz normale Spielart von Journalismus.
Das akzeptiere ich sofort. Aber die Wissenschaft gilt als schwer zugänglich und Journalisten neigen dazu, die Interessen ihres Publikums als gering einzuschätzen. Man sieht das beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Dort gäbe es eigentlich keinen Grund, nach der Quote zu schauen.
Man möchte doch ein Programm machen, das der Mehrheit gefällt.
Aber sie müssen auch die Minderheiten bedienen. Aus demselben Grund werden auch Theater subventioniert. Und es schadet der Mehrheit nicht, wenn im Unterhaltungsprogramm auch Bildung betrieben wird.