Matthias Hörstmann hat als Verleger von „Intro“ und „11 Freunde“ und als Veranstalter von Festivals wie dem Melt oder dem Splash die Popkultur hierzulande mitgeprägt. Jetzt wagt der 50-Jährige einen radikalen Neuanfang.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Köln - Gerichtsviertel, Skulpturenpark, feine Gegend: In einer Kölner Stadtvilla von 1927 residiert die Redaktion des Musikmagazins „Intro“. Das Haus gehört Matthias Hörstmann, der als Verleger und Veranstalter Popkultur in Deutschland seit über 25 Jahren mitgestaltet.

 

Kürzlich musste Hörstmann das Ende von „Intro“ bekannt geben. Bald soll die letzte Ausgabe in gedruckter Form erscheinen. Dafür, dass hier ein Lebenswerk beerdigt wird, ist die Stimmung in der Villa erstaunlich entspannt. Ein Foodora-Radler bringt Lunchpakete. Hörstmanns Büro befindet sich im zweiten Stock. Der Hausherr, der den Palast einst errichten ließ, hat in die Treppe auf halber Strecke ein Plätzchen für ein Päuschen einbauen lassen. Der Treppenlift war noch nicht erfunden, dafür kann man heute in der Nische innehalten und Hörstmanns Geschichte anreißen: „Intro“ auf dem Bauernhof gegründet, auf dem Heft eine Unternehmensgruppe aufgebaut, die zu Hochzeiten 23 Marken von Bier über Booking-Agentur bis Turnschuh-Magazin in 16 verschiedenen Firmen verantwortete und heute einige der größten Festivals in Deutschland veranstaltet.

Verleger und Veranstalter: von „Intro“ über „11 Freunde“ bis zum Melt

Wie konnte das passieren? In den 90ern wurde Pop mehrheitsfähig, Grunge fand sich in der Dorfdisco wieder, und bei H&M gab es die zum Sound passenden Holzfällerhemden. In dieser Zeit wussten die Plattenfirmen nicht, wohin mit ihrem Geld. Hörstmann hatte Verwendung für die Deutschmark des Pop, stieg Anfang der Nullerjahre beim Fußballkulturmagazin „11 Freunde“ und beim Festival Melt ein, als es beiden Ikonen des guten Geschmacks finanziell nicht gut ging, und wurde so einflussreich, dass ihn ehemalige Mitarbeiter Messias Hörstmann nannten.

Das Gute an Hörstmann ist, dass er nicht wie der Heiland auftritt, laut und wichtig, wie man es bei anderen Pop-Protagonisten oft erlebt, sondern herzlich, verbindlich. Zwischen Schreibtisch und Bücherregal, in dem sich die gesammelten „Intro“- und „11-Freunde“-Werke befinden, bringt ein Fußabstreifer des 1. FC Köln die Erdung.

Nirvana wurden im Kinderzimmer mit Blick auf den Schweinestall interviewt

Hörstmann erzählt die unglaubliche Geschichte seines Herzensmagazins, das er 1991 auf dem Hof seiner Eltern im niedersächsischen 80-Seelen-Dorf Melle-Dratum gegründet hat. Die Anfangsjahre müsste man eigentlich auf die Leinwand bringen – Olli Schulz als Matthias Hörstmann, Soundtrack: Die Sterne, Produktion: Jochen Laube –, so unglaublich klingt das „Intro“-Intro: Nirvana wurden in Hörstmanns Kinderzimmer mithilfe des ersten Panasonic-Anrufbeantworters interviewt, mit Blick auf den Schweinestall; der Interviewer versuchte, mit einer „Intro“-Ausgabe die Fliegen zu verscheuchen. „Einmal haben Monster Magnet bei uns übernachtet. Der eine war auf LSD, kam vom Misthaufen und rief: ‚It’s magic!‘ Meinem Vater bin ich unendlich dankbar, dass er uns hat machen lassen. “

Hörstmanns Antrieb? „Ich wollte es mir selbst und dann allen anderen beweisen.“ Als DJ legte er in Indie-Clubs zwischen Osnabrück und Bielefeld auf. Alternative Musiktrends waren seine Heimat, es folgte der Schritt zum Verleger. „,Intro‘ war ein Sprachrohr. Es ging darum, sich mit Gleichgesinnten für wirklich gute Musik einzusetzen – wie wenn man einem Freund begeistert ein neues Album vorspielt.“

Aus „Intro“ wird die Hörstmann-Unternehmensgruppe

Dank „Intro“ hatte Hörstmann bald sehr viele Freunde. Während andere Magazine über Ausgrenzung funktionierten, bot er unterschiedlichen Musikbegeisterten eine Heimat, „ganz gleich ob sie Fans des Indie-Pop, Alternative Rock, Punk, Hardcore, Hip-Hop oder Techno waren“, sagt Hörstmann, und weiter: „Am Anfang haben wir 4000 Hefte gedruckt und diese von den Mitarbeitern mit eigenen Autos in Clubs und Plattenläden fahren lassen. Bis wir im Jahr 2000 nach Köln und Berlin gezogen sind, gab es keinen Businessplan, alles entwickelte sich und wuchs aus sich selbst.“

„Intro“ wurde als kostenlose Publikation zum reichweitenstärksten Musikheft. Schließlich wurde die „Intro“-Familie so groß, dass mit der Hörstmann-Unternehmensgruppe eine Dachorganisation gegründet werden musste. „Als wir an die 100 feste Mitarbeiter hatten, ging es nicht mehr ohne entsprechende Strukturen, die ich selbst immer wieder als ,Indie-Konzern‘ zu verniedlichen versuchte.“

Hörstmann hat mit „Intro“ zwei Millionen Euro verloren

Kern dieses riesigen Netzwerks war bis zuletzt „Intro“, mit der die Vor-Internet-Generation popkulturell sozialisiert wurde. Enttäuschte Herzen werfen Hörstmann jetzt vor, sich nicht genügend gegen das Aus des Magazins gewehrt zu haben. Diese Vorwürfe treffen den Entrepreneur: „In den vergangenen Jahren habe ich ins Magazin sehr viel Geld investiert und letztlich verloren, seit 2010 waren es über zwei Millionen Euro. Die Kritiker sehen jetzt die Villa. Die wurde aber nicht von der ,Intro‘ finanziert, sondern von den aus ,Intro‘ hervorgegangenen erfolgreichen Projekten.“ Diese Projekte laufen märchenhaft gut: „Alle Firmen zusammen werden in diesem Jahr deutlich mehr als 40 Millionen Euro Umsatz erreichen. Das sozialistische Prinzip, das ich innerhalb meiner Gruppe immer zugunsten von ,Intro‘ praktiziert habe, hat aber nicht mehr funktioniert, weil die erfolgreicheren Firmen nicht mehr bereit waren, ihren Solibeitrag zu leisten.“

Die heute erfolgreichste Unternehmung von Hörstmann, das Gastrobüro, zeigt, wie unbeirrt er seinen Weg geht. Zuerst hat das Unternehmen nur das Catering beim Melt verantwortet. Seit 2014 aber zeichnet die Firma für jedes Bier und jede Wurst verantwortlich, die bei Red Bull Leipzig im Stadion verkauft wird – bei dem Verein, der von „11 Freunde“ heftig kritisiert wird. „Die Dogmatiker wollen, dass ich mich gegen RB Leipzig positioniere, da es ja vermeintlich politisch unkorrekt ist, mit Red Bull Geschäfte zu machen. Natürlich gibt es berechtigte Kritik am Vorgehen, einen Club als Marketingprojekt zu kommerzialisieren, aber ist das alles? Leipzig ist eine Großstadt mit einer unglaublichen Geschichte und vielen Menschen, die sich nach großem Fußball gesehnt haben.“

Im Trikot des 1. FC Köln neben dem Champions-League-Pokal

Was bereut der 50-Jährige aus heutiger Sicht? „Im Nachhinein war der Verkauf der ,11 Freunde‘-Anteile an Gruner + Jahr vielleicht ein Fehler. Für mich war die Geschäftsbeziehung als Joint Venture angelegt, das wurde aber nie so gelebt“, so Hörstmann über den Verkauf von 51 Prozent der Anteile 2010 an den Verlag.

In einem anderen Feld schwärmt Hörstmann dagegen von gemeinsamer Arbeit: Beim Lollapalooza Berlin arbeitet er mit Melvin Benn zusammen, dem größten Konzertveranstalter Europas. Fun Fact zu dieser Beziehung: Benn ist Chairman des Wembley-Stadions. Hörstmann schickt ihm jedes Jahr das aktuelle FC-Trikot. So stand Benn 2013 beim Champions-League-Finale zwischen Bayern und Dortmund im FC-Jersey neben dem Henkelpott.

Ende einer Ära: Hörstmann will den Großteil seiner Firmenanteile abgeben

Als Matthias Hörstmann diese Anekdote erzählt, wird es für einen kurzen Moment sehr laut, und dann ganz schnell wieder leise: Für die Zukunft von Print sieht der Wahlkölner, den auch das Ende des „Festivalguides“ und vom „11-Freunde“-Ableger „No Sports“ getroffen haben, schwarz: „Wir sind mitten in einer üblen Entwicklung. Am Ende wird von den etablierten Musikmagazinen in Deutschland eine Handvoll für Special Interests überleben.“

Auch deshalb nutzt Hörstmann das „Intro“-Ende für einen radikalen Schnitt: „In den vergangenen 27 Jahren bin ich gerannt. Nun bin ich 50 und habe das Gefühl, dass die Projekte mich nicht mehr brauchen. Deshalb habe ich mich entschieden, den Großteil meiner Firmenanteile abzugeben. Das gilt allerdings nicht für meine Rolle bei ,11 Freunde‘, denn im und mit Fußball kann man anders altern.“

Und was bleibt von der „Intro“-Ära? „Dank Hörstmann hatten unglaublich viele Menschen die Möglichkeit, ihrem Traum zu folgen und Teil des großen Musikbusiness zu werden“, sagt ein langjähriger Begleiter. Hörstmanns eigener Traum? Er spricht von einem Sabbatical. Oder dem Äquivalent davon in mitteleuropäischer Hörstmann-Zeit. Sein Plan: „Den Sommer über ein bis zwei Monate gar nichts tun und danach neu und von vorne anfangen.“