Die Terrorliste will der Daimler-Vorstand nicht gekannt haben, ist aber froh, dass sie weg ist. Im Lkw-Werk Aksaray werden die Kapazitäten verdoppelt. Größere Verlagerungen streitet Daimler ab.

Stuttgart - In der Lastwagensparte von Daimler gibt es kurz nach dem Start des Sparprogramms „Stream“ am Standort Stuttgart neue Unruhe. So hat das Management die Mitarbeiter über Pläne zur Verlagerung des Bereichs Fahrversuch von Stuttgart ins Montagewerk Wörth (bei Karlsruhe) informiert. In Wörth soll nach Angaben eines Sprechers „ein neues, hochmodernes Versuchszentrum für Daimler Trucks“ gebaut werden; offiziell beschlossen werden soll das Vorhaben Anfang 2018. Mit „Stream“, so sagte der Sprecher, habe das nichts zu tun.

 

Mit „Stream“ hat das neue Versuchszentrum nichts zu tun, sagt der Sprecher

Im Rahmen des Sparprogramms „Stream“ bei Mercedes-Benz Trucks, auf das sich Vorstand und Betriebsrat im April geeinigt haben, sollen 400 Millionen Euro durch den Abbau von Personal in den indirekten Bereichen – also außerhalb der Produktion – eingespart werden. Den Mitarbeitern werden Abfindungen angeboten. Ziel ist die Verbesserung der Rendite von Mercedes-Benz Trucks; in dieser Einheit ist das Lastwagengeschäft in Europa sowie in der Türkei und in Brasilien zusammengefasst. Eine Zielgröße für den Personalabbau gibt es dem Vernehmen nach nicht. Wie berichtet, könnten aber mit Schwerpunkt in Stuttgart und Wörth 2000 Stellen wegfallen. Auf welche Resonanz das Abfindungsprogramm stößt, teilt Daimler nicht mit. Wie zu hören ist, ist das Interesse bei den Beschäftigten in Stuttgart aber eher gering. 1200 Mitarbeiter sollen vom Management angesprochen worden sein.

Die Stuttgarter Betriebsratsliste „Neue Perspektive“, die mit vier Vertretern im Betriebsrat Zentrale sitzt, beklagt sich nun bei dem neuen Nutzfahrzeug-Vorstandsmitglied Martin Daum darüber, dass es im Zuge von „Stream“ nicht nur zu einer Leistungsverdichtung für die verbliebene Belegschaft komme, sondern auch zu einer Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland – konkret: in die Türkei; die Rede ist von bis zu 1000 Stellen. Auf das Thema Arbeitsplatzverlagerung ist Daum weder in seiner Antwort an die Betriebsräte noch bei der Telefonkonferenz mit Journalisten am 26. Juli zu den Ergebnissen des zweiten Quartals eingegangen. Er zeigte sich bei der Konferenz vielmehr froh darüber, dass es zwei Tage vorher, am Montag, „Entwarnung aus der Türkei“ gegeben habe.

Wer etwas ändern will, muss Teil der Türkei bleiben

An diesem Tag zog das türkische Innenministerium eine Liste mit angeblich terrorverdächtigen deutschen Firmen zurück, auf der nach Medienberichten auch Daimler stand. Die türkische Regierung sprach von einem „Missverständnis“. Daimler hatte – im Gegensatz zur BASF – offiziell behauptet, von dieser Liste keine Kenntnis zu haben. Außenminister Sigmar Gabriel hatte nach Bekanntwerden der Liste deutschen Unternehmen von Investitionen in der Türkei abgeraten – in der Hoffnung, dass das Land auf wirtschaftlichen Druck reagiert. In der deutschen Politik herrscht Konsens darüber, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sein Land seit dem gescheiterten Putschversuch vor einem Jahr immer weiter von der Demokratie wegführt.

Daimler hält nicht nur an seinem Türkei-Engagement fest, sondern zieht auch die im vergangenen Jahr beschlossenen Investitionen durch. So sollen die Kapazitäten im Lastwagenwerk Aksaray in Zentralanatolien mit Investitionen von 113 Millionen Euro bis 2018 verdoppelt werden. „Wir planen langfristig und lassen uns nicht von kurzfristigen Entwicklungen irritieren“, sagte Daum. Man könne auf die Geschicke eines Landes am besten von innen heraus Einfluss nehmen – und nicht etwa von außen, schrieb er den Betriebsräten. „Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir ein Teil der Türkei bleiben. Nur dann können wir die Zukunft mitgestalten.“

Der Heimatmarkt ist eingebrochen

Intern hieß es bei Daimler, die Kapazitäten sollten von 17 000 auf 34 000 Einheiten verdoppelt werden. Das geht nach dem aktuellen Stand zumindest am Inlandsbedarf komplett vorbei: Im zweiten Quartal hat Daimler in der Türkei 2900 (Vorjahr: 3100) Lastwagen verkauft. Zur Perspektive für das Gesamtjahr heißt es im Quartalsbericht: „In der Türkei ist nach dem dramatischen Einbruch des Vorjahres ein weiterer deutlicher Rückgang zu erwarten.“

Mercedes-Benz Türk ist jedoch auch stark im Export Richtung Zentral- und Osteuropa tätig; insgesamt 70 Länder werden beliefert. Für Michael Brecht, den Vorsitzenden des Daimler-Gesamtbetriebsrats ist Aksaray kein Werk, das in Konkurrenz zum deutschen Montagewerk Wörth steht: „Wir passen immer auf, dass Wörth möglichst hoch ausgelastet ist. Natürlich müssen die Stückzahlen auch atmen können; das läuft dann vor allem über Aksaray.“ Mercedes-Benz Türk mit Sitz in Istanbul produziert in Aksaray Lastwagen und in Hosdere (in der Nähe von Istanbul) Omnibusse; beschäftigt werden insgesamt etwa 6000 Mitarbeiter.

In Aksaray entsteht ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum

Ein Sprecher stellte in Abrede, dass es Pläne für eine Verlagerung von bis zu 1000 Jobs gibt: „Das können wir nicht nachvollziehen und weisen wir als falsch zurück.“ Auch Brecht kann sich keinen Reim auf die Gerüchte machen: „Bestimmte Erprobungsumfänge und Aktivitäten im Einkauf gehen in die Türkei. Das sind 70 bis 80 Arbeitsplätze. Im Gegenzug bekommen wir aber hochwertige, bisher fremdvergebene Entwicklungsumfänge an die deutschen Standorte zurück. Etwas anderes ist mit den Betriebsräten nicht besprochen worden.“ Hintergrund der Befürchtungen ist womöglich ein zweites, kleineres Investitionsprojekt im Umfang von 8,4 Millionen Euro. So wurde vor einigen Monaten der Grundstein für ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum in Aksaray gelegt, das im nächsten Jahr fertiggestellt werden soll. Gegenwärtig arbeiten dort 140 Menschen, künftig sollen es 200 sein.