Der Stuttgarter Thomas Hoerz erkundet im Irak im Auftrag der Caritas, wie den vertriebenen Kurden geholfen werden kann. Mitten im Leid gibt es auch hoffnungsvolle Momente.

Stuttgart - Als Thomas Hoerz in Kurdistan aus dem Flieger stieg, staunte der Stuttgarter nicht schlecht. In Erbil, der Hauptstadt der autonomen kurdischen Region im Norden des Irak, schießen Wolkenkratzer aus dem Boden. Mehrspurige Autobahnen führen bis ins Hinterland, am Rand der Stadt stehen Villenviertel. „Abgesehen von China habe ich noch nie in einem so wohlhabenden Land gearbeitet. Die Bautätigkeit ist enorm“, erzählt der 55-Jährige, der es zum Beruf gemacht hat, Hilfsorganisationen bei deren Arbeit zu beraten. Vor einigen Tagen ist Thomas Hoerz aus dem Irak zurückgekehrt. Dort verbrachte er zwölf Tage im Auftrag der Caritas, um in Kurdistan die weitere Flüchtlingshilfe zu koordinieren. Bisher war er vor allem in Afrika unterwegs, aber auch in Afghanistan, Pakistan, Indien und Myanmar.

 

Im irakischen Kurdengebiet leben die Vertriebenen in allergrößter Not. Zudem ist auch in der relativ sicheren Region die Bedrohung durch die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) mit Händen zu greifen. Vor allem Christen und Jesiden mussten in den vergangenen Monaten meist Hals über Kopf vor den Kämpfern des IS flüchten. Die kontrollieren inzwischen große Gebiete in Syrien und im Nachbarland Irak. Nach einer blutigen Offensive der Terroristen sind in den vergangenen Tagen über 100 000 Kurden allein aus Syrien in die Türkei geflüchtet. Manchen der Vertriebenen blieb nur die Kleidung am Leib. „Einige sitzen einfach am Straßenrand. Sie haben nichts – nicht einmal Decken oder Zelte“, erzählt Thomas Hoerz.

Viele Flüchtlinge sind Armut nicht gewohnt

Viele Flüchtlinge im Irak hatten allerdings noch Glück im Unglück. Sie sind bei Verwandten, Freunden oder hilfsbereiten Fremden untergekommen. In einem kleinen Dorf außerhalb Erbils erklärte der Dorfvorsteher Hoerz nicht ohne Stolz, dass in seinem Ort kein Flüchtling auf der Straße lebe. Die Dorfbewohner geraten aber offensichtlich zunehmend an ihre Grenzen, was die Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung betrifft.

Der Umgang mit den irakischen Flüchtlingen war für Hoerz neu. Man merke, dass viele von ihnen – vor allem die Christen – keine Armut gewohnt sind. „Das sind teils auch für unsere Begriffe wohlhabende Menschen, die etwa in der vom IS besetzten Stadt Mossul ein Restaurant oder ein Geschäft hatten.“ Er traf auf zurückhaltende, stolze Menschen, denen es sichtlich unangenehm war, Almosen anzunehmen.

Während seines Besuchs machte sich der Stuttgarter ein genaues Bild von der Lebenssituation der Flüchtlinge, er fragte, zählte und kalkulierte. Caritas Deutschland und seine Partner planen nun, in den nächsten Monaten 16 000 Menschen mit ihren Hilfsleistungen zu erreichen. „Es geht vor allem darum, die Flüchtlinge durch den Winter zu bringen“, sagt Hoerz. Dafür verteilt die Caritas Nahrungsmittel, warme Decken und Kerosinheizgeräte. „Wir versuchen in erster Linie, die Zeit zu überbrücken, bis das Hilfsprogramm der Vereinten Nationen auch im Norden in die Gänge kommt.“

Gut, dass die Welt hinsieht

Hoerz ist froh, dass die Situation in Kurdistan in der internationalen Presse Aufmerksamkeit erhält – in vielen seiner üblichen Einsatzgebiete sei das anders. „Die Erfahrung zeigt, je näher der Konflikt an Europa ist, umso mehr Hilfe erhalten Flüchtlinge“, sagt Hoerz. So werde ein Kriegsopfer im Kosovo besser versorgt als ein Flüchtling im Irak. Und ein Iraker erhalte mehr Hilfe als ein Kriegsopfer im Tschad. Für Hoerz ist das eine alltägliche Beobachtung und kein Grund für Bitterkeit. „Solche Diskrepanzen sind menschlich und begegnen uns allen. Wir hinterfragen ja auch nicht, warum eine Flüchtlingsfamilie in Sillenbuch auf fünf Quadratmetern pro Person lebt und wir selbst auf fünfzig“, sagt er.

Thomas Hoerz wird wieder nach Kurdistan aufbrechen. Er wird dort bis Ende des Jahres bleiben. „Nach über vierzig Grad im Schatten in der letzten Woche sehe ich dem kurdischen Winter, der sehr kalt sein soll, mit Bangen entgegen“, gesteht er. Bis dahin liegt aber noch eine Menge Arbeit vor dem Stuttgarter.