Seit dem Amtsantritt von Donald Trump gehen die amerikanischen Streitkräfte im Irak offenbar deutlich rücksichtsloser vor.

Mossul - Der amerikanische Generalleutnant gab sich ungewohnt kleinlaut. Zum ersten Mal räumte Stephen Townsend ein, die US-Luftwaffe könnte für den katastrophalen Raketenbeschuss in West-Mossul verantwortlich sein. „Wir haben wahrscheinlich eine Rolle gespielt“, erklärte am Mittwoch in Bagdad der US-Oberbefehlshaber im Irak und in Syrien gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS), und er fügte hinzu: „Wenn dadurch Unschuldige getötet worden sind, war das ein unbeabsichtigter Unfall im Krieg.“

 

Dieses gewundene Eingeständnis ist der vorläufige Tiefpunkt der unter dem Präsident Donald Trump offenbar gelockerten US-Einsatzregeln im Irak, die seit Anfang Januar Hunderte von Zivilisten das Leben gekostet haben. Ganze Wohnblocks wurden mit Raketen dem Erdboden gleichgemacht, wie am Morgen des 17. März im Stadtteil Al-Jadida, als irakische Bodentruppen die US-Luftwaffe gegen Scharfschützen des IS auf einem Hausdach herbeiholten. Als das komplette Gebäude nach einer gigantischen Explosion in Schutt und Asche lag, stellte sich heraus, dass im Erdgeschoss mehr als 140 Männer, Frauen und Kinder Schutz gesucht hatten – das wohl größte Massaker der US-Armee auf irakischem Boden seit Beginn der Anti-IS-Offensive. Die irakische Armee dagegen bezweifelt, dass ein einziger Luftangriff eine solche Verheerung anrichten kann. Ihre Experten vermuten, dass der IS das Gebäude in die Luft jagte. Das Haus war für die Opfer zu einer tödlichen Falle geworden, auch weil die Regierung in Bagdad alle Landsleute in West-Mossul per Radio und Flugblätter aufgefordert hatte, während der Straßenkämpfe in ihren Wohnungen zu bleiben. Mindestens 1353 Zivilisten sind nach Angaben der Organisation Airwars seit August 2014 durch alliierte Luftangriffe im Irak gestorben.

Brutaler Häuserkrieg

Allein seit Januar dieses Jahres dokumentierte diese Nichtregierungsorganisation 330 Opfer und weitere 1240 Tote, für deren Schicksal die Verantwortung noch strittig ist. „Die schiere Zahl von Vorfällen in diesen Monaten ist etwas, was wir bisher noch nicht erlebt haben“, erklärte Airwars-Chef Chris Woods, dessen Team Informationen zu Luftangriffen sammelt und überprüft. Nach Woods sind die amerikanischen Einsätze über Syrien und den Irak im März mit den schlimmsten Phasen russischer Luftangriffe in Syrien vergleichbar.

Denn am Boden kommt die Rückeroberung der nordirakischen Metropole mit ihren verwinkelten Gassen nur langsam voran – mit ein Grund, warum die Angreifer aus der Luft immer wahlloser und heftiger bombardieren. „Die Kämpfe sind die größten innerstädtischen Gefechte seit dem Zweiten Weltkrieg“, erklärte US-Oberbefehlshaber Stephen Townsend, „und wahrscheinlich der härteste und brutalste Häuserkrieg, den ich in meinen 35 Jahren als Soldat erlebt habe.“ Menschenrechtler aber machen auch gelockerte Einsatzregeln des Pentagons für die steil ansteigende Zahl ziviler Opfer verantwortlich.

Luftangriffe leichter möglich

Vor drei Monaten erklärte der Sprecher der US-Streitkräfte im Irak, die Zahl der Prüfschritte bis zur Autorisierung eines Luftangriffes sei reduziert worden. Nach seinen Worten muss die Angriffszentrale in Bagdad die Ziele nicht mehr prüfen und jeden Luftschlag ausdrücklich genehmigen. Auch scheinen das Pentagon und die Armee unter Präsident Donald Trump bei ihrer Kriegführung freiere Hand zu haben als unter seinem Vorgänger Barack Obama – ein Eindruck, den die irakische Militärführung dieser Tage vor Ort bereitwillig bestätigte. „Ich habe noch nie eine so schnelle Reaktion und eine so enge Koordination mit der Koalition erlebt wie jetzt“, erklärte ein irakischer General gegenüber der „New York Times“. Früher, wenn die irakische Seite Luftangriffe von den Amerikanern angefordert habe, „gab es immer Verzögerungen oder überhaupt keine Reaktion mit der Ausrede, man müsse erst die Gegend prüfen und nach Zivilisten schauen“.