Der Iraner Amir Jannecary lebt in Stuttgart. Er ist als Kind mit seiner Mutter geflüchtet und unter falschem Namen nach Deutschland eingereist – das verfolgt ihn bis heute.

Stuttgart - Amir Jannecary und Beate Seidel sind sich vor zwei Jahren begegnet. Die Dramaturgin des Stuttgarter Staatstheaters suchte für ein Shakespeare-Stück Geschichten von Flüchtlingen aus Nordafrika, der junge Iraner suchte jemanden, der ihm zuhört. Die vielen Irrwege im Leben von Amir Jannecary sind in das Theaterstück über den römischen Feldherrn Titus Andronicus nie eingeflossen.

 

Und seit dieser Begegnung versucht Beate Seidel dem Iraner, der seit 15 Jahren in Deutschland lebt, zu einem dauerhaften Aufenthalt zu verhelfen. Den hat Jannecary noch immer nicht, stattdessen hangelt er sich von einer dreimonatigen Duldung zur nächsten. Der Grund dafür liegt schon ein paar Jahre zurück: Jannecary ist als neunjähriger Junge mit einem falschem Pass und unter falschem Namen nach Deutschland eingereist.

Beate Seidel kann über das deutsche Ausländerrecht nur den Kopf schütteln: „Er war damals ein Kind und konnte nichts dafür, dass seine Mutter nach Deutschland fliehen musste. Die falschen Papiere kann man ihm doch nicht Jahre später noch anlasten.“

Mit der Mutter floh Amir nach Deutschland

Die Ausländerbehörde dagegen beurteilt Amir Jannecarys Situation gänzlich anders: „Er hätte sich gleich mit seiner Volljährigkeit um einen iranischen Pass mit seinem richtigen Namen kümmern müssen“, sagt die Amtsleiterin Gerda Kinateder, darauf habe man ihn auch hingewiesen. Das aber hat der 24-Jährige nicht getan. Deshalb sitzt Amir Jannecary jetzt zerknirscht im neuen Café am Staatstheater und versichert, dass er nirgendwo anders leben will als in Stuttgart. „Ich wünsche mir, dass ich doch noch eine Chance bekomme. Früher habe ich auf Persisch gedacht und ins Deutsche übersetzt, heute denke ich auf Deutsch.“

Im Jahr 1998 floh Amirs Mutter mit ihrem jüngsten Sohn, wegen Ehebruchs und politischer Aktivitäten fürchtete sie sich vor den iranischen Sicherheitsbehörden. Mit falschen Pässen stellten die beiden in Frankfurt einen Asylantrag, kamen nach Karlsruhe und von dort nach Stuttgart.

„Im Iran haben wir in einem wunderschönen Haus mit Garten gelebt, wir waren eine wohlhabende Familie. In Deutschland lebten wir mit fremden Familien auf ein paar Quadratmetern“, erinnert sich der 23-Jährige, der Deutschland als grau, kalt und fremd empfand. Tagelang hätten er und seine Mutter nichts gegessen, weil sie sich nicht mit den anderen Flüchtlingen um die Lebensmittel, die von einem Wagen aus verteilt wurden, streiten wollten. Amirs Mutter, die im Iran als Lehrerin gearbeitet hatte, fand bald Arbeit als Putzfrau, Amir selbst lernte die Sprache, schloss die Hauptschule ab und später die Realschule.

Mit der Volljährigkeit kam die Angst vor der Abschiebung

Heute leben die beiden in einer eigenen Wohnung in Wangen, die Mutter drängt darauf, dass Amir, der zuletzt ein Abendgymnasium besucht hat, das Abitur ablegt. „Sie will, dass ich ein besseres Leben habe als sie“, sagt der 23-Jährige. Kontakt zu seinem Vater hat er keinen, mit seinen Brüdern im Iran telefoniert er regelmäßig. Doch während der Aufenthalt von Amirs Mutter gesichert ist, weil sie schon vor Jahren einen Pass mit richtigem Namen vorgelegt hat, ist der von Amir unsicher.

Mit seiner Volljährigkeit kam die Angst, abgeschoben zu werden. „Ein Jahr lang habe ich mich nicht mehr getraut, zu Hause zu schlafen und habe jeden Tag bei einem anderen Freund Unterschlupf gesucht“, erzählt der 23-Jährige. Damals hatte er vom Ausländeramt statt einer Duldung ein Schreiben vorgelegt bekommen, er solle binnen zehn Tagen die Bundesrepublik verlassen. „Das war ein Schock.“

Gerda Kinateder weiß, dass eine solche Ankündigung einen jungen Menschen aus der Bahn werfen kann, sie sagt aber auch, dass der Iraner selbst zu seiner Misere beigetragen habe. „Ausländerrechtlich hat sich Amir Jannecary seinen Aufenthalt durch den falschen Namen erschlichen, und er hat diese Straftat erst fast vier Jahre nach seinem 18. Geburtstag bereinigt“, sagt Gerda Kinateder. Hinzu kamen Anzeigen wegen einer Prügelei auf dem Wasen und wegen Schwarzfahrens in der Stadtbahn. „Das trägt nicht dazu bei, ihm eine günstige Prognose auszustellen.“

Anzeige statt Duldungsbescheid

Beate Seidel sieht die Dinge anders: Sie verweist darauf, dass sich Jannecary von der Hauptschule aufs Gymnasium hochgearbeitet habe, dass er zwischendurch auch gearbeitet und sich immer wieder auf Ausbildungsstellen beworben habe. „Aber welcher Arbeitgeber nimmt schon einen Flüchtling, der nur eine dreimonatige Duldung vorweisen kann?“, fragt die Dramaturgin und Mutter von zwei Kindern.

Um Amir zu helfen, hat sie im vergangenen Mai einen Petitionsantrag im Landtag gestellt, der Beschluss lautete, Jannecary bekomme eine halbjährliche Aufenthaltserlaubnis, wenn er sich nichts zuschulden kommen lasse. Diese werde um zweimal sechs Monte verlängert und schließlich in eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis umgewandelt, wenn er sich gut integriere.

Beim Ausländeramt aber blieb dieser Beschluss zunächst folgenlos. Als Jannecary im vergangenen Herbst in Erwartung einer sechsmonatigen Duldung gesagt bekam, er solle am nächsten Tag wiederkommen, verlor er die Nerven und hieß den zuständigen Mitarbeiter einen Idioten. Sein Verhalten brachte ihm eine Anzeige wegen Beleidigung ein. Genau das, was nicht sein dürfte. „Ich bin ausgerastet, es tut mir leid.“

„Die Schwaben sind zu meinem Volk geworden“

Amir Jannecary nippt an seinem Mineralwasser und schwärmt von Stuttgart. „Ich genieße die Freiheiten, die man in Deutschland hat. Die Schwaben sind zu meinem Volk geworden und wenn der VfB gewinnt, feiere ich mit.“ Beate Seidels Deutschlandbild dagegen hat an dem Fall Amir gelitten. „Da verstreicht die kostbare Lebenszeit eines jungen Menschen. Wie soll sich jemand vollständig integrieren, wenn man ihm keine Sicherheit gibt?“

Die Dramaturgin aber hofft noch immer auf ein besseres Ende als in Shakespeares „Titus Andronicus“: „Ich wünsche mir, dass sich ein Mensch findet, der Amir die Chance auf eine Ausbildung gibt.“ Und Amir wünscht sich nur eines: nicht in den Iran zurück zu müssen. „Ich will nicht in ein Land, in dem dir Schläge angedroht werden, wenn du Musik hörst und du die Nachbarin heiraten musst, wenn du mit ihr spazieren gehst.“